Essen. . An der Spitze der AG Wohlfahrtsverbände Essen gibt es einen Wechsel. Der neue Sprecher mahnt: Soziale Angebote dürfen nicht privatisiert werden.
Sie vertritt alle gemeinnützigen Träger der Stadt und damit rund 25.000 Mitarbeiter und mehrere Tausend Ehrenamtliche: die Arbeitsgemeinschaft (AG) der Freien Wohlfahrtsverbände. Nun gibt es einen Wechsel an der Spitze der AG, die sich als Partner der Stadt versteht – und als kritisches Sprachrohr. „Wir machen Politik“, stellt der scheidende Sprecher, Caritasdirektor Björn Enno Hermans, klar.
Wirkungsvoll sei die AG dabei auch deshalb, weil sie geschlossen auftrete. Anders als in anderen Städten gebe es kein keine Kollisionen unter den Mitgliedern. „Gestritten wird schon“, ergänzt Hermans’ Nachfolger, Diakoniepfarrer Andreas Müller: „Aber nicht auf offener Bühne.“
Gegenüber der Stadt – etwa im Jugendhilfe- sowie im Sozialausschuss – gelte es, „unsere Gemeinnützigkeit hochzuhalten“, sagt Müller. Soziale Angebote dürften nicht privatisiert werden. Es drängten ja durchaus privatgewerbliche Anbieter in diesen Bereich, ergänzt Hermans. Das habe sich nicht zuletzt bei der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen gezeigt, dem Thema das seine dreijährige Zeit als AG-Sprecher geprägt habe. Als Heimbetreiber bekam damals vielfach die Essener Firma European Homecare (EHC) den Zuschlag. Allerdings vor allem in den Zeiten der Krise, als schnelle Lösungen gefragt waren.
„Nur einige Talentschulen helfen dem Ruhrgebiet nicht“
Später hätten sich die Stärken der Wohlfahrtsverbände durchgesetzt: Etwa, dass sie Ehrenamtliche einbinden und mit Beratungsangeboten in den Stadtteilen vertreten sind. „Damit sind wir jetzt auch der erste Ansprechpartner der Stadt, wenn es um die Integration der Menschen vor Ort geht“, sagt Hermans. Auch in den ohnehin belasteten Quartieren im Norden der Stadt laufe das übrigens besser als erwartet und ohne große Verwerfungen, sagt Müller. Allerdings wäre es fatal, nun Mittel und Mitarbeiter abzuziehen. Man müsse dranbleiben, dürfe die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, die eine Generation kaum integrierter, schlecht ausgebildeter Zuwanderer zurückließen – und bekanntlich auch die Familienclans begünstigten.
Die Stadt habe erkannt, dass man nicht allein die Flüchtlinge in den Blick nehmen dürfe, sondern Integration allgemein, sagt Hermans, auch die nachholende, auch die von EU-Zuwanderern wie Bulgaren und Rumänen. Um das zu bewerkstelligen, müsse sie auf Landes- und Bundesebene auf den besonderen Förderbedarf hinweisen. „Auch wenn es keine Freude macht, immer als Armenhaus der Republik wahrgenommen zu werden.“ Und Müller ergänzt: „Allein mit ein paar Talentschulen ist dem Ruhrgebiet nicht geholfen.“
Kita-Gipfel: Stadt soll Strukturen vereinfachen
Für seine nun ebenfalls dreijährige Amtszeit sieht Müller ein weiteres großes Thema: die offene Seniorenarbeit. „25 bis 30 Prozent der Essener sind über 60 Jahre alt – egal in welchem Stadtteil.“ Daher müsse es auch in jedem Stadtteil ein passendes Angebot geben, niedrigschwellig und gut erreichbar; die wenigen existierenden Senioren-Begegnungsstätten reichten da nicht aus. Eine Analyse solle nun erstmal klären, wie sinnvolle Angebote aussehen könnten: Schließlich reiche die Klientel vom dementen Hochbetagten über verarmte Senioren bis zu aktiven 60-Jährigen, „die nicht mal alt genannt werden wollen“.
Einen politischen Einsatz hat Andreas Müller demnächst beim Kita-Gipfel, zu dem der Oberbürgermeister am 10. Mai einlädt. Immerhin betreiben die Wohlfahrtsverbände 75 Prozent der Kitas in Essen. Dass ein Ausbau des Angebot schon angesichts des Fachkräfte-Mangels schwierig sei, könne die Stadt nicht ändern. Aber ein kraftvolles Signal an Grundstücks- und Immobilieneigentümer könne sie schon senden, findet Müller. Und: Strukturen vereinfachen, Baugenehmigungen beschleunigen und den Trägern einen festen Ansprechpartner nennen, der sie durch die Bürokratie lotst.
>>> AG VERTRITT RUND 25.000 MITARBEITER
- Zur Essener Arbeitsgemeinschaft (AG) der Freien Wohlfahrtsverbände gehören Arbeiterwohlfahrt, Caritasverband, Diakoniewerk, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz und Jüdische Kultusgemeinde Essen. Mehr als 25.000 Mitarbeitende und mehrere tausend engagierte Ehrenamtliche sind in etwa 500 Einrichtungen im gesamten Essener Stadtgebiet tätig.
- Neuer Sprecher ist Diakoniepfarrer Andreas Müller, sein Stellvertreter ist Konrad Lischka, der Geschäftsführer des Paritätischen.