Essen-Werden. Das Bürgermeisterhaus Werden ist Kulturort. Vor 40 Jahren entging es aber knapp dem Abriss. Was der wanderlustige Karl Carstens damit zu tun hat.

Das Werdener Bürgermeisterhaus ist das „Kulturwohnzimmer der Ruhrmetropole“. Heute steht das Kürzel „BMH“ für hochklassige Kultur zum Anfassen. Künstler und Publikum fühlen sich auf eine sehr persönliche Art wohl und willkommen. Vor 40 Jahren aber entging das 1833 erbaute Gebäude nur knapp dem Abriss. Doch was hatte der wanderlustige Karl Carstens mit der wundersamen Auferstehung der historischen Villa zu schaffen?

Revoltierende Bürger begrüßten die Wanderer an der Heckstraße

Am 17. Januar 1982 begleiteten über 2000 Menschen den damaligen Bundespräsidenten und seine Gattin Veronica auf dem Weg von Hattingen nach Werden. Darunter Antje Huber, Johannes Rau, Kurt Biedenkopf. Für die 27 Kilometer benötigte man sieben Stunden. Carstens war begeistert über das viele Grün, die pittoreske Altstadt, ließ sich von Bischof Hengsbach und Propst Engel durch Abtei, St. Ludgerus und Schatzkammer führen. Legendär sein Spruch: „Wenn ich nicht schon ein Häuschen in Meckenheim hätte, würde ich meinen Wohnsitz nach Werden verlegen.“

Am 17. Januar 1982 wanderte Bundespräsident Karl Carstens (links) von Hattingen nach Werden. Mit dabei Landesvater Johannes Rau (rechts) und Hanslothar Kranz (Mitte), damals Bezirksvorsteher im Essener Süden.
Am 17. Januar 1982 wanderte Bundespräsident Karl Carstens (links) von Hattingen nach Werden. Mit dabei Landesvater Johannes Rau (rechts) und Hanslothar Kranz (Mitte), damals Bezirksvorsteher im Essener Süden. © Unbekannt | H. Kranz

Doch an einem ziemlich heruntergekommenen „Häuschen“ an der Heckstraße hatten sich „Revoluzzer“ postiert. Der letzte Bürgermeister der bis 1929 selbstständigen Stadt Werden, Joseph Breuer, hatte im Gebäude mit der Nummer 105 gewohnt, wie auch seine Tochter Maria. Als sie 1980 ins Altersheim ging, verfiel das Haus zusehends. Die Stadt überließ es dem Allbau, der einen Abrissantrag stellte.

Der damalige Bezirksvorsteher Hanslothar Kranz erinnert sich

Hanslothar Kranz (CDU), Mitglied der Bezirksvertretung IX, erinnert sich noch gut an die Wanderung mit dem Bundespräsidenten Karl Carstens anno 1982.
Hanslothar Kranz (CDU), Mitglied der Bezirksvertretung IX, erinnert sich noch gut an die Wanderung mit dem Bundespräsidenten Karl Carstens anno 1982. © FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

Der damalige Bezirksvorsteher Hanslothar Kranz erinnert sich: „Wir wanderten von Haus Scheppen durch Fischlaken bis zur Heckstraße. Dort kam es zu Bürgerprotesten.“ Der rebellische Horst Lewandowski rief dem Bundespräsidenten zu: „Wir haben einen OB, der will dieses Haus hier abreißen. Dabei haben wir Wohnungsnot.“

Carstens blickte fragend zum neben ihm marschierenden Horst Katzor und der beschämt zu Boden. Der Oberbürgermeister zischte Kranz zu: „Das ist doch jetzt nicht nötig, an so einem Tag. Wir müssen uns dringend zusammensetzen.“

Argentinischer Pianist kaufte die historische Villa

Bereits am nächsten Tag steckte man die Köpfe zusammen und Katzor telefonierte herum. Für Hanslothar Kranz eine politische Sternstunde: „Der drohende Abriss war vom Tisch und die Villa wurde gerettet.“ Denn Ismael „Coco“ Pereyra warf seinen Hut in den Ring. Der Argentinier war förmlich besessen von dem Haus und wollte eine kleine Konzertstätte schaffen. Am Piano virtuos, aber in finanziellen Dingen höchst unbedarft, nahm er einen Kredit auf und kaufte die alte Villa.

Früher ein Sanierungsobjekt, jetzt ein architektonisches Kleinod und eine wichtige Kulturstätte: das Bürgermeisterhauses Werden.
Früher ein Sanierungsobjekt, jetzt ein architektonisches Kleinod und eine wichtige Kulturstätte: das Bürgermeisterhauses Werden. © FUNKE Foto Services | Carsten Klein

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Das Objekt sanieren sollte Architekt Werner Quarg, der durch seine argentinische Frau ins Spiel gekommen war. Mit seinem Kollegen Lothar Possinke übernahm Quarg eine große Aufgabe. Neben bekannten Mängeln wie dem feuchten Keller traten noch Hausschwamm und Insektenbefall auf, die Holzkonstruktion war stark beschädigt. Die Kosten explodierten, für Ismael Pereyra alleine nicht zu stemmen.

1985 gab es das erste Konzert im renovierten Haus

Für seine kunstvermittelnden Leistungen wurde Ismael Pereyraer zwar mit der Bundesverdienst-Medaille geehrt, jedoch musste er mit 82 Jahren noch unterrichten, da er nur eine bescheidene Grundrente erhielt. Geklagt hat „Coco“ nie, der bis zu seinem Tod 2014 unterm Dach wohnte. Sein Erbe wirkt noch heute nach.

Die Freunde des Bürgermeisterhauses

Der 1984 von Agnes Wallek und Hanslothar Kranz mitgegründete Förderverein „Freunde des Bürgermeisterhauses Werden“ kaufte das Gebäude dem Privatmann Ismael Pereyra ab, der vorher als Vereinsvorsitzender zurücktrat. Seine Nachfolger waren Georg Dücker, Jochen Schmidt und Siegfried Rhein, seit 2015 ist es Manfred Schunk.Inzwischen steht das Haus unter Denkmalschutz, wurde vor 20 Jahren von der Sparkasse Essen erworben und für viel Geld renoviert. Der Verein ist seitdem Mieter der Räumlichkeiten. Weitere Informationen über das Bürgermeisterhaus und den Trägerverein sind unter bmh-essen.jimdo.com nachzulesen.

Am 9. März 1985 ging im Bürgermeisterhaus das erste Konzert über die Bühne, mit Folkwang-Meisterschülerin SoRyang am Piano, organisiert von Agnes Wallek. Sie lenkte über 30 Jahre lang die Geschicke des Hauses und führte es zu kulturellen Höhenflügen, wie Kranz schwärmt: „Sie war die große Ideengeberin. Ihr verdanken wir wahnsinnig viel.“ Zum Beispiel holte Agnes Wallek zur klassischen Musik auch Kabarett, Lesungen oder Jazz ins Haus.

Ihr Nachfolger Carsten Linck sitzt seit 2016 als Geschäftsführer an den Schalthebeln. Der klassisch ausgebildete Gitarrist spielte schon 1985 – damals noch als Student – erste Konzerte im Bürgermeisterhaus und hat es geschafft, dem bewährt Guten noch zusätzliche, frische kulturelle Glanzlichter hinzuzufügen. 40 Jahre nach seiner Rettung kann das BMH also mit Zuversicht nach vorne blicken. Den Coco wird’s freuen.