Essen-Werden. Vor 90 Jahren wehrten sich Werdener wie Karl Püttmann gegen die Eingemeindung ihrer Stadt nach Essen. Seine Enkelin berichtet.

Monika Reich-Püttmann muss schmunzeln. Die Ur-Werdenerin sitzt im Vorstand des Heimatvereins und führt regelmäßig Besuchergruppen durch die Abteistadt: „Da sind auch manche Dönekes dabei.“

Auch gebe es da dieses Zitat: „Der liebe Gott hat nicht umsonst zwischen Werden und Essen den Bredeneyer Berg gesetzt.“ Was jetzt so pfiffig daherkommt, war vor 90 Jahren bitterer Ernst. Die stolze Stadt Werden wurde nach Essen eingemeindet. Vom Rathausbalkon hing Trauerflor. Der Kampf war verloren.

Mittendrin im Getümmel hatte sich Karl Püttmann befunden. Der Großvater von Monika Reich-Püttmann war Stadtverordneter und kämpfte intensiv für die Selbstständigkeit. Die Familie ist seit etwa 1660 ansässig in Werden, zudem war Püttmann versierter Heimatforscher.

Werden bekam 1317 die Stadtrechte

Werden verweist auf eine stolze Historie. Ende des 8. Jahrhunderts erwarb der Friesen-Missionar Liudger hier Land und gründete an einer erhöhten Stelle sein Kloster. Rund um die Abtei entstand ein prosperierender Ort, der 974 das Markt- und Münzrecht erhielt und 1317 die Stadtrechte bekam.

Eine alte Werdener Stadtansicht von 1905.
Eine alte Werdener Stadtansicht von 1905. © Repro: Christof Köpsel

Bürgermeister war seit 1904 Joseph Breuer. Der Stadt ging es gut: Die Steuersätze lagen erheblich unter denen von Essen, Gebühren für Straßenreinigung, Müllabfuhr und Kanalisation wurden nicht erhoben. Allerdings vermeldete Werden prozentual gesehen die höchste Zahl Erwerbsloser in ganz Preußen.

Das benachbarte Essen wollte, musste expandieren. Schon 1901 begannen die Eingemeindungen und erste Gerüchte verunsicherten die Werdener. Spätestens 1927 begann der Kampf um die Selbstständigkeit. In Zeitungen, mit Gutachten sowie bei Kundgebungen lieferten sich die Gegner erbitterte Schlachten.

Stadt Essen ließ einen Werbefilm drehen

Die Stadt Essen ließ sogar einen Werbefilm drehen, der die Reize des Werdener Landes anpries. Die Absicht dahinter war unverkennbar. Fast schon launig ein Lied über Essens damaligen Oberbürgermeister: „Kommense mal rüber, kommense mal rüber. Herr Bracht ist dir ein Goldpapa, in seinem Reich ist alles da!“ Und Bracht sagte: „Der Wurmfortsatz Werden muss weg!“

Die Königsbrücke in Werden um 1928, kurz vor der Eingemeindung.
Die Königsbrücke in Werden um 1928, kurz vor der Eingemeindung. © Fotoarchiv Ruhr Museum | Willy van Heekern

Dementsprechend trotzig die Antworten. Ein kämpferisches Gedicht endete mit den Worten „Der Strom zieht euch die Grenze: Dort Essen! Werden hier!“ Aktivisten riefen dazu auf, in die städtische Jugendhalle zu kommen: „Die Eingemeindung kommt nicht, wenn Du mit deinen Angehörigen an der Protestversammlung teilnimmst. Daher erscheint in Massen, soweit ihr unsere Ansicht teilt.“ Unterzeichnet von Vereinen, der Lehrerschaft, den christlichen Gewerkschaften. Auch Püttmanns Name findet sich da.

Karl Püttmann reiste mit Vertretern anderer bedrohter Gemeinden immer wieder nach Berlin. Monika Reich-Püttmann berichtet von Arroganz und Spott der Berliner Abgeordneten: „Die haben sich lustig gemacht über die sogenannten Eingemeindungszüge.“

Heidhausen verschuldet

Auch Werden-Land wurde eingemeindet. Das brachte zwar nicht viele Menschen, dafür aber eine riesige Fläche ein, sowie 300 Pferde, 378 Schafe, 536 Ziegen, 665 Stück Rindvieh und 885 Schweine.

Bürgermeister von Werden-Land war Alois Schaphaus. Monika Reich-Püttmann berichtet: „Er hatte kräftig in die Infrastruktur im bis dahin noch sehr ländlich geprägten Heidhausen investiert, die Kassen waren also leer. Schaphaus klopfte in Velbert an, doch dort mochte man die verschuldete Gemeinde nicht aufnehmen. Und die Essener wollten sie nur nehmen, wenn auch Werden eingemeindet wird.“

Entscheidung im Preußischen Landtag

Nichts half. Am 10. Juli 1929 wurde im Preußischen Landtag mit 204 zu 175 Stimmen das „Gesetz über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets“ verabschiedet. Werden verlor sehr zum Unwillen der meisten seiner 12 504 Einwohner die Selbstständigkeit.

90 Jahre später fühlt sich das Gros der Bevölkerung weiterhin als Werdener. Wer hier zum Einkaufen „in die Stadt“ geht, meint die Gassen der Altstadt und nicht etwa die ferne City „hinterm Bredeneyer Berg“.

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