Duisburg. Großkontrolle in der Dunkelheit: Polizei und Ordnungsamt haben alle 320 Wohnungen des Weißen Riesen kontrolliert. Worauf die Einsatzkräfte stießen.
Die Duisburger Behörden überraschten die Bewohner des bekannten Weißen Riesen am Dienstag beim Frühstück oder im Schlaf. Um 6 Uhr sind Stadt und Polizei mit rund 400 Einsatzkräften in Hochheide angerückt. Sie rückten in der Dunkelheit an und überprüften alle 320 Wohnungen des Hochhauses an der Ottostraße 58 bis 64.
Die große Aktion war eine sogenannte Meldekontrolle. Oberbürgermeister Sören Link erklärt das Ziel: „Wir wollen wissen, wer sich hier illegal aufhält, wer zu Unrecht Sozialleistungen bezieht und wer sich vielleicht sogar zu Unrecht im Bundesgebiet aufhält.“ Es geht also um möglichen Sozialleistungsbetrug, zum Beispiel mit Kindergeld.
Großeinsatz am Weißen Riesen: Einsatzkräfte überprüften 320 Wohnungen
Unruhe herrschte am Morgen rund um den Betonklotz mit 20 Etagen. Die Hochhaussiedlung war voll mit Polizeiwagen, der Weiße Riese voll mit Mitarbeitern der Behörden. Sie gingen in alle vier Gebäudeteile gleichzeitig, setzten die Fahrstühle außer Betrieb, klopften an jede Tür, überprüften die Personalien von jedem, den sie dahinter antrafen.
Um 9.45 Uhr war der Einsatz beendet, die Einsatzkräfte zogen ab. Sie hatten gefunden, was sie suchten: Menschen, die dort nicht gemeldet sind. Einige wurden in Begleitung der Beamten zu Fahrzeugen gebracht, um sie näher zu überprüfen. Manche wurden direkt in Handschellen abgeführt.
Problemhochhaus: Die Fotos von der Kontrolle im Weißen Riesen
Meldekontrolle im Hochhaus: Stadt findet 124 nicht gemeldete Personen
Am Mittag veröffentlichte die Stadt Duisburg eine Bilanz: „Von 1414 dort gemeldeten Menschen wurden insgesamt 591 gemeldete und 124 nicht gemeldete Personen angetroffen.“ Bei einigen Wohnungen öffnete niemand die Tür. Dazu schreibt die Stadtverwaltung: „Bei rund 120 Wohnungen müssen noch weitere Ermittlungen erfolgen.“
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Die Polizei nutzte den Großeinsatz, um verdächtige Straftäter oder Menschen zu kontrollieren, die sich möglicherweise illegal in Deutschland aufhalten. Auch die Polizisten wurden im Weißen Riesen fündig. Polizeipräsident Alexander Dierselhuis hatte am Morgen von 20 Personen gesprochen, „bei denen der Verdacht des illegalen Aufenthalts besteht“.
Großeinsatz: Polizei nimmt 16 Menschen im Weißen Riesen fest
In der Bilanz vom Dienstagmittag spricht die Polizei von 16 festgenommen Personen. Zwei von ihnen seien per Abschiebehaftbefehl gesucht worden. „Die restlichen 14 Männer wurden widerstandslos vorläufig festgenommen und müssen sich mit einem Strafverfahren wegen des Verdachts des illegalen Aufenthaltes auseinandersetzen.“
Die Polizeibeamten haben am Dienstagmorgen auch zwei Durchsuchungsbeschlüsse im Gebäude vollstreckt. „Da ging es um illegalen Waffenbesitz. Dort wurden Schreckschusswaffen gefunden“, erklärte Dierselhuis. In der späteren Mitteilung heißt es zudem: „Fünf Personen waren wegen der Verübung unterschiedlicher Straftaten von Staatsanwaltschaften aus verschiedenen Bundesländern zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben.“
Neben der Polizei und dem Ordnungsamt waren seitens der Stadt die Ausländermeldestelle, Stadtkasse und Stabsstelle für Sozialleitungsmissbrauch beteiligt. Ebenfalls eingebunden waren die Familienkasse und das Jobcenter. 120 Einsatzkräfte des Duisburger Ordnungsamts und über 200 Polizisten waren vor Ort.
Probleme am Weißer Riese sind inzwischen bundesweit bekannt
Mit über 1400 gemeldeten Bewohner ist das Gebäude an der Ottostraße 58 bis 64 das größte der drei noch bewohnten Weißen Riesen in Duisburg-Hochheide. In den 1970ern wurden sechs dieser Betonkolosse gebaut. Zwei wurden bereits gesprengt. Ein drittes steht leer und soll im nächsten Jahr fallen.
Duisburger kennen die Probleme im Hochhaus seit einigen Jahren. Ungeziefer, Ratten und Tauben besiedeln Hausflure und Wohnungen, Möbel fliegen aus den Fenstern und überall türmt sich Müll.
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Im Sommer wurde das Hochhaus bundesweit bekannt: Die DHL stoppte die Paketzustellung am Weißen Riesen, weil sich Postboten bedroht fühlten. Inzwischen liefern sie wieder aus, aber nur testweise und nur in Begleitung eines Sicherheitsdiensts.
Zu den größten Kriminalitätshotspots der Stadt zählt die Hochhaussiedlung zwar nicht. Trotzdem ist die Polizei hier häufig zu Besuch. So zum Beispiel Mitte Oktober, als ein Fall von häuslicher Gewalt gemeldet wurde und Spezialeinsatzkräfte das Haus stürmten. Und eben am Dienstagmorgen bei der Meldekontrolle.
Bewohner berichten von überbelegten Wohnungen im Weißen Riesen
Dass dort Menschen ohne angemeldeten Wohnsitz leben, dürfte Nachbarn nicht überraschen. Viele Bewohner berichten schon lange davon, dass Mieter im Haus ständig wechseln, dass Eigentümer ihre Wohnungen überbelegen und die Objekte gar nicht erst auf dem Duisburger Wohnungsmarkt anbieten, sondern sie direkt an Menschen aus Osteuropa vermieten.
Erstaunt waren viele Bewohner trotzdem vom Großeinsatz, der sie am frühen Morgen aufgeschreckt hat. So berichtet Manuela Spitzwieser, die auf der 13. Etage wohnt: „Mein Wecker hat um 6 Uhr geklingelt, plötzlich sehe ich, wie jemand auf meinen Balkon leuchtet. Ich schaue runter und denke, ich gucke nicht richtig. Alles voll mit Polizei und Ordnungsamt.“
Sie wollte mit ihrem Hund Gassi gehen, durfte ihre Wohnung aber nicht verlassen. Sie schildert: „Alles ist dicht, auf jeder Etage steht ein Polizist und kontrolliert.“
Duisburgs OB: „Guter Tag für den Rechtsstaat“
Wenig begeistert war Elke Rojahn von der morgendlichen Aufruhr. Sie wohnt im sechsten Stock und sagt: „Ich bin krank und froh über jeden Tag, an dem ich mal ausschlafen kann. Plötzlich klopft das Ordnungsamt um 7 Uhr und will Ausweis und Mietvertrag sehen.“
Sie ärgert sich ständig über die Zustände im Weißen Riesen. Weniger über die Bewohner: „Die meisten sind nett und hilfsbereit.“ Mehr über den Müll und die Eigentümer, die sich nicht kümmern. „Meine Wohnung ist voll mit Schimmel und Kakerlaken. Zigaretten fliegen von oben runter und entzünden Feuer auf meinem Balkon. Aber da machen die Behörden nichts.“
Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link verbindet mit dem Großeinsatz aber nun einen Fortschritt: „Das war ein guter Tag für den Rechtsstaat und die Stadt Duisburg.“ Ordnungsdezernent Michael Rüscher ergänzt: „Diese Kontrollen sind ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen der Anwohnerinnen und Anwohner in die Durchsetzung von Recht und Ordnung zurückzugewinnen und in Duisburg für mehr Sicherheit zu sorgen.“
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>> Meldekontrolle: Erst 2023 gab es im Duisburger Westen einen Großeinsatz
- Der Großeinsatz am Weißen Riesen war nicht die erste Meldekontrollen im Duisburger Westen in der jüngsten Vergangenheit.
- Am 15. August 2023 rückten Stadt und Polizei mit einem Großaufgebot zum Erlinghagenplatz in Friemersheim aus. Auch dabei ging es um möglichen Sozialleistungsbetrug. Die Mitarbeiter trafen 86 Personen an, die nicht an den Adressen gemeldet waren.
- Im Nachhinein stellte die Stadt fest, „dass insgesamt 13.320 Euro Kindergeld zu Unrecht ausgezahlt wurden“. Zudem wurden 98 Personen „von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet“, hieß es im Mai. Dabei sei wohl ein größerer Sozialleistungsbetrug in Höhe von mehreren hunderttausend Euro verhindert worden.
- 2022 hat die Stadt eine eigene Stabsstelle Sozialleistungsmissbrauch eingerichtet. Der Einsatz am Erlinghagenplatz war damals der erste unter ihrer Federführung.