Duisburg. Müll, Leerstand und die Riesen: Hochheide gilt als Problemviertel. Zwei Bewohner berichten, warum sie trotzdem dort bleiben, aber Hilfe brauchen.
„Sie wohnen in Hochheide? Oh Gott, das tut mir leid“ – diesen Satz hört Petra Schoenenborn regelmäßig. Und sie kann die Bedenken verstehen, die Menschen haben, wenn sie vom Zustand im Stadtteil hören, von Müllbergen, Ratten, Hunderten Tauben und verdreckten Wegen und Wiesen.
Hinzu kommen die Weißen Riesen, besonders das Hochhaus an der Ottostraße 58 bis 64, das die Probleme des Stadtteils bundesweit in die Schlagzeilen bringt und auch die Hochheider schockiert. „Letztens hat mich mein Kind gefragt, warum dort jemand einen Einkaufswagen aus dem 19. Stock wirft, und auch ich kann mir das nicht erklären“, erzählt Schoenenborn.
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„Problemviertel“ Hochheide: Bewohner lernten Stadtteil anders kennen
Trotzdem gibt es Menschen, die sich weder von Müll noch Taubenkot noch Problem-Hochhäusern aus dem Stadtteil vertreiben lassen. Dazu gehört die gebürtige Hochheiderin Petra Schoenenborn ebenso wie Uwe Schock, der vor über 30 Jahren dort hinzog. Doch was hält sie hier an einem Ort, der in Duisburg und über die Stadtgrenzen hinaus als „Problemviertel“ verrufen ist?
Vielleicht die Erinnerungen an frühere, bessere Zeiten des Quartiers. Petra Schoenenborn wurde hier 1971 geboren und wuchs an der Varziner Straße auf. „Wir sind alle zur Ottoschule gegangen, damals war es richtig schön hier.“ Die berüchtigten Weißen Riesen wurden da gerade erst gebaut – als Vorzeigeprojekt modernen Wohnungsbaus.
Als Uwe Schock rund 20 Jahre später Hochheide kennenlernte, standen einige Wohnungen in den Riesen bereits leer. Er kommt ursprünglich aus Sachsen-Anhalt und zog 1991 mit seiner Frau in eine Eigentumswohnung nahe der Hochhäuser. „Man konnte hier super einkaufen, alles war grün und sauber, obwohl es ja noch sechs Riesen und dadurch viel mehr Bewohner gab als heute“, erzählt er.
Hochheider können von ihrem Stadtteil schwärmen
Was die beiden damals an der Siedlung schätzten, gilt teilweise heute noch: „Die Wohnungen sind gut geschnitten, es gibt viel für Senioren, Praxen und Supermärkte erreicht man zu Fuß, Busse fahren bis vor die Haustür und man ist ruckzuck in Moers“, meint der 64-Jährige.
Auch Petra Schoenenborn kann durchaus für Hochheide schwärmen: „Hier gibts viele tolle Spielplätze und Einrichtungen für Kinder und Familien, ich kann zu Fuß zur Arbeit und jeden Tag an den Uettelsheimer See, wenn ich will.“ Die meisten Hochheider seien freundlich, die 53-Jährige genießt den Zusammenhalt.
Stadtteil veränderte sich über Jahre: „Hochheide ist untergegangen“
Trotzdem fällt es den beiden immer schwerer, von den schönen Seiten des Stadtteils zu erzählen, wenn sie über Müll stolpern, verwucherte Wiesen und Parks sehen und Geschichten über die Riesen hören. „Das ist kein Problem der letzten zwei Monate, der Stadtteil hat sich über Jahre verändert“, meint Schoenenborn. Schock formuliert es drastischer: „Hochheide ist untergegangen und geht weiter unter.“
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Um zu zeigen, was er meint, geht er vom Bürgermeister-Bongartz-Platz zum Roten Weg. Denn nirgendwo findet er so viele Beispiele für die schlechten Zustände der Siedlung wie hier, angefangen beim Weg selbst: „Alles voll mit Müll, Laub in allen Ecken, die Mülleimer werden kaum geleert und die Pflastersteine sind kaputt.“ Er breitet die Arme aus und ruft verzweifelt: „Warum sieht das denn alles keiner?“
Probleme an Weißen Riesen: „Kümmert sich mal wieder keiner“
Dann gehts weiter zu den Riesen – zuerst zu dem, der 2025 gesprengt werden soll. „Hier liegt seit Wochen ein Zaun zum Grundstück umgetreten herum, auch manche Türen und Fenster im Gebäude sind offen.“ Schock vermutet, dass Jugendliche das gesperrte Gebäude betreten. „Es kontrolliert und kümmert sich mal wieder keiner.“
An der Ottostraße 58 bis 64 hält sich Schock bei seiner Hochheider Problem-Tour schon gar nicht mehr lange auf. Zu oft hat er sich schon über die wilden Müllkippen beschwert. Dafür ruht vor dem Hochhaus ein weiteres Sorgenkind: die Tiefgarage. „Da werden Autos illegal repariert oder getauscht, die Boxen sind vermüllt und jeden Tag ist dort Tag der offen Tür, weil die Fluchttüren offenstehen.“
Nachbarschaftstreff kämpft für ein schöneres Hochheide
Gründe, sich über den Stadtteil zu beklagen, finden Petra Schoenenborn und Uwe Schock also genug. Doch weil ihnen ihr Zuhause am Herzen liegt, wollen sie etwas verändern. Deswegen engagieren sie sich beim Nachbarschaftstreff „Hochheide Fresh“, den es jetzt seit einem Jahr gibt.
Im Ladenlokal am Bürgermeister-Bongartz-Platz bieten die Ehrenamtler zum Beispiel Handarbeits-, Garten- und Kinotreffs, sie helfen beim Deutschlernen und Umgang mit Behördenschreiben und Rechnungen. Die Initiative hat Hochbeete nahe der Boulebahn angelegt, gemeinsam Müll eingesammelt und im Mai mit einem Straßenfest auf sich aufmerksam gemacht.
„Hochheide Fresh“ ist aber auch für Anwohner da, die sich einfach über Missstände in der Siedlung beschweren wollen. Dafür gibts jeden Donnerstag eine „Meckerecke“. Und natürlich will die Initiative auch etwas bewegen, damit der Stadtteil wieder schöner wird.
So haben sich Uwe Schock, Petra Schoenenborn und weitere Ehrenamtler Ende Juli mit Oberbürgermeister Sören Link sowie einigen Vertretern der Lokalpolitik und Verwaltung vor Ort getroffen. Dabei hätten die Bewohner viele Probleme angesprochen, neben den Riesen und der Vermüllung sei es auch um Leerstände und Ärger mit Baustellen an der Moerser Straße gegangen.
Hochheider hoffen auf Hilfe: „Der Kampf lohnt sich“
Die Hochheider hoffen, dadurch bald mehr Unterstützung zu bekommen. „Denn als Nachbarschaftstreff ist man oft hilflos“, meint Schock. Seiner Meinung nach rede sich die Stadt zu oft raus mit dem Argument, dass Eigentümer für die Zustände auf ihrem Grundstück zuständig seien. „Es braucht mehr Kontrollen und mehr Kümmerer, die sich auch wirklich kümmern.“
„Man darf nicht aufgeben, denn es gibt hier viele Menschen, für die sich der Kampf lohnt.“
Der Stadtpark Hochheide, der voraussichtlich ab Ende des Jahres auf den Abrissflächen der Hochhäuser gebaut werden soll, werde nicht alle Probleme automatisch lösen. „Die Millionen sollte man sich sparen, wenn sich keiner darum kümmert, dass der Park nicht direkt wieder vermüllt wird“, findet der 64-Jährige. Auch Schoenenborn meint, zuerst müsse Anwohner beigebracht werden, wie sie Umwelt zu pflegen haben.
So oder so wollen sich die beiden weiter für ihren Traum einsetzen, dass der Stadtteil bald wieder so aussieht, wie sie ihn von früher kennen. „Manche meinen: ‚Ihr seid doch bekloppt, Hochheide ist ein toter Stadtteil‘“, erzählt Petra Schoenenborn. Sie ist anderer Meinung: „Man darf nicht aufgeben, denn es gibt hier viele Menschen, für die sich der Kampf lohnt.“
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>> Probleme in Hochheide: Stadt will das Quartier aufwerten
- Seit Jahren will die Stadt Duisburg den Stadtteil Hochheide als Wohnstandort aufwerten. Dafür hat die Verwaltung 2013 ein Entwicklungskonzept entworfen. Zentrale Punkte sind der Abriss von drei Weißen Riesen (zwei wurden bereits gesprengt) und der Bau des Stadtparks.
- Das soll „nicht nur eine Steigerung der Wohnqualität, sondern erhebliche Investitionen, Sanierungen und Modernisierungen für den Ortsteil mit sich bringen“, erklärt Stadtsprecher Maximilian Böttner.
- Ende September stimmt der Rat der Stadt über ein aktualisiertes Stadtentwicklungskonzept für Hochheide ab. Es sieht vor, bis 2030 über 25 Millionen Euro in Maßnahmen zu investieren, die die Zustände im Stadtteil verbessern sollen.
- Demnach will die Stadt zum Beispiel Spielplätze, Schulhöfe und das Jugendzentrum JuZO an der Ottostraße umbauen. Mehrere Kreuzungen sollen umgebaut und der Stadtpark mit dem Ortsteil vernetzt werden. Leerstehende Ladenlokale sollen umgenutzt und Beratungsangebote für Bürger geschaffen werden.