Duisburg. Im Duisburger „Dorf“ Baerl sind alle Kneipen ausgestorben – bis auf ein Traditionslokal. Sigrid Bongards ist Wirtin mit Herz und Leidenschaft.
Es ist Donnerstagnachmittag, die Sonne klettert über den Baerler Busch, als die ersten Gäste im Waldhof eintreffen, Bier und Schnitzel bestellen, es sich im Biergarten gemütlich machen. Sie sind zu früh, eigentlich öffnet die Gaststätte erst in einer Stunde. Aber was sind schon Öffnungszeiten in einem Lokal, das viele als ihr Wohnzimmer ansehen.
„Wir rufen schon mal zur letzten Runde auf, aber oft wird es mit dem Feierabend schwer. Und wer früher kommt, wird auch nicht vertrieben“, erklärt Chefin Sigrid Bongards. Sie selbst ist oft gerade erst da, wenn die ersten Stammgäste einkehren – und hat dann schon einen Acht-Stunden-Arbeitstag hinter sich.
Waldhof in Duisburg: Betreiberin schmeißt die Kneipe nach dem Vollzeitjob
Tagsüber arbeitet sie im Büro des Sanitärbetriebs ihres Mannes, abends und am Wochenende schmeißt sie die Gaststätte Waldhof im äußersten Duisburger Nordwesten. Doch wozu der Stress und die harte Arbeit?
Mehr Geld im Portemonnaie zu haben, sei nicht der Grund. Alles, was für sie übrigbleibt, stecke sie wieder in die Gaststätte, in neue Möbel, die Überdachung und Kegelbahnen: „Ich selbst habe bisher noch keinen Cent mit dem Waldhof verdient.“
Viel eher macht die 60-Jährige den Job aus Leidenschaft: „Hier steckt sehr viel Herzblut mit drin.“ Und sie weiß auch um ihre Verantwortung, ein Haus mit viel Tradition und einen wichtigen Treffpunkt fürs Dorf Baerl zu erhalten. Denn die alteingesessene Kneipe ist die letzte ihrer Art im Stadtteil.
Baerls einzige Kneipe: Den Waldhof gibt es nun seit 65 Jahren
Die Schankerlaubnis des Waldhofs ist auf den 24. März 1959 datiert – das war die Geburtsstunde das Traditionslokals. Bongards‘ Schwiegervater kaufte das Haus Anfang der 1990er und ließ es aufwendig sanieren. Danach wurde es verpachtet. Die Betreiber wechselten mehrfach, das Haus blieb aber immer eine Gaststätte.
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2014 musste die Familie Bongards erneut nach neuen Pächtern suchen. Eigentlich war schon ein Nachfolger gefunden. Doch als dieser aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagte, zog Sigrid Bongards einen Schlussstrich: „Ich hatte keine Lust mehr auf das Hin und Her, deswegen habe ich die Kneipe übernommen.“
Waldhof-Chefin wollte die Kneipe „nur übergangsweise übernehmen“
Eine gastronomische Ausbildung hat sie nicht, dafür ist die Gastro-Erfahrung praktisch angeboren: Ihre Großeltern und Eltern führten die Gaststätte Alt-Niederrhein am Baerler Bahnhof. 1982 stand sie – damals 18 Jahre alt – vor der Entscheidung, die Kneipe zu übernehmen. „Aber die Abende mit Betrunkenen zu verbringen, das wollte ich auf keinen Fall.“ Also wurde das Lokal weitergegeben.
„Eigentlich wollte ich die Kneipe nur übergangsweise übernehmen, damit die Kegelclubs nicht vor der Tür stehen. In dieser Übergangsphase bin ich jetzt seit zehn Jahren.“
In der Zwischenzeit hat sich ihre Einstellung ganz offensichtlich geändert. Sie führt den Waldhof nun seit Juli 2014, feiert jetzt also ihr zehnjähriges Jubiläum. Geplant war das keineswegs: „Eigentlich wollte ich die Kneipe nur übergangsweise übernehmen, damit die Kegelclubs nicht vor der Tür stehen. In dieser Übergangsphase bin ich jetzt seit zehn Jahren.“ Doch jetzt will sie gar nicht mehr weg.
Zum Stamm-Team des Lokals gehören außerdem Sabrina Dargusch und Ingrid Bleul. „Wir teilen uns die Arbeit in der Küche, hinter der Theke und im Service auf, aber jeder kann alles, um notfalls einspringen zu können“, sagt Sigrid Bongards. Gegessen werden kann im Waldhof nämlich auch, und zwar zum Beispiel Schnitzel, Wurst und Burger mit Pommes.
Stammtische und Kegelclubs: Ganz Baerl trifft sich im Waldhof
Um festzustellen, dass sich das ganze Dorf im Waldhof trifft, muss man nur einmal mit den drei Frauen am großen Holztisch draußen neben dem Eingang sitzen. Meist vergehen nur wenige Minuten, bis sie wieder einen Spaziergänger mit Namen grüßen oder bis Fahrradfahrer zum kurzen Plausch anhalten.
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Die Kneipe lebt von den Stammkunden und Vereinen im Dorf – dafür gibt es im Lokal genug Belege. Neben dem Eingang hängen fünf Wappen von Vereinen, die den Waldhof als ihr Vereinslokal bezeichnen: die Bürger-Schützengesellschaft Baerl, 1. Karnevalsgesellschaft, der Turn- und Sportverein, Käferstammtisch und Grafschafter Schützenverein Lohmannsheide.
Pokale der Schützen stehen in großen Vitrinen der beiden Gasträume. Fotos aller Schützenthrone seit 1963 hängen direkt daneben. Außerdem bestellt Bongards für jede Stammtischrunde einen Wimpel samt Holzständer, davon stehen allein 13 über der Theke.
Festraum mit Büfett-Ecke bietet Platz für Gesellschaften
Sie erklärt: „16 Kegelclubs kommen zum Waldhof und jeden Tag trifft sich mindestens ein Stammtisch hier.“ Hinzu kommt ein Kern aus sechs bis zehn Personen, der fast jeden Tag vorbeikommt und standesgemäß am vorderen Teil der Theke neben dem Spielautomaten sitzt.
Auch für Gesellschaften ist Platz im Waldhof. Hinter dem Thekenraum gibt es einen Festraum mit Büfett-Ecke, der sich abtrennen lässt. So kann die Gaststätte regulär öffnen, wenn Gruppen bis 60 Personen den Raum mieten. Bongards sagt: „Bis Ende des Jahres sind wir mit diesen Veranstaltungen schon gut verplant.“
Kneipenleben in Baerl: Die Gäste helfen mit
Viele Baerler sitzen nicht nur mit einem Glas Bier am Tresen, sondern beteiligen sich auch am Kneipenleben, sagt die Betreiberin: „Das Oktoberfest oder das Kneipenquiz wird komplett von Gästen organisiert.“
Bei solchen Events ist besonders viel los, ganz im Gegenteil dazu, wenn große Feste im Dorf wie das Schützenfest stattfinden: „Dann machen wir zu, denn dann sollen die Leute zum Dorffest gehen.“
Gäste, die noch nie im Waldhof waren, sehen Sigrid Bongards und ihre Kolleginnen selten. Was diese Neulinge erwartet, wenn sie in die Räume an der Hubertusstraße 31 einkehren, kann die Chefin schnell erklären: „Wir haben keinen Eventplan und sind keine Systemgastronomie, sondern eine klassische Kneipe mit Thekenbetrieb wie in den 70ern.“
So trotzt der Waldhof dem Kneipensterben
Der große Unterschied zu den 70ern ist aber: „Damals gab es 14 Kneipen in Baerl und Umgebung, heute sind wir die einzigen.“ Schick essen gehen können die Baerler zwar, zum Beispiel im Haus Rheinblick, dem Casa Castillo, Restaurant Bellini oder MOD und Freya by Nöthel, doch die klassischen Kneipen sind ausgestorben. Bis auf den Waldhof.
Dass das Lokal diesem Trend trotzt, habe viel mit der persönlichen Beziehung der Mitarbeiter zu den Baerlern zutun: „Hier fühlen sich alle zu Hause, und wenn viel los ist, gehen die Gäste selber hinter die Theke und spülen Gläser.“
Deswegen werden auch Sigrid Bongards und ihre Kolleginnen nicht müde, die Gaststätte fürs Dorf zu betreiben: „Jeder Tag ist für uns ein Highlight, wir gehen nie mit einem langen Gesicht nach Hause.“
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>> Waldhof in Duisburg: Das steht auf der Speisekarte
- Gäste können im Waldhof neben Getränken auch Essen bestellen. „Es wird alles frisch gekocht, manche Gäste kommen nur für unsere hausgemachten Frikadellen“, sagt die Chefin.
- Die Speisekarte ist übersichtlich. Darauf zu finden sind Schnitzel, Bock- und Currywurst, Pommes, Frikadellen, Chicken-Nuggets, Schaschlik, Burger, Ofenkartoffeln und Bauerntopf. Die meisten Gerichte kosten mit Beilage um die acht bis zwölf Euro.
- Die Gaststätte öffnet offiziell dienstags bis donnerstags von 18 bis 22 Uhr, freitags und samstags bis 0 Uhr. Sonntag und Montag ist Ruhetag.
- Die Adresse lautet Hubertusstraße 31, 47199 Duisburg. Die Mitarbeiter sind telefonisch erreichbar unter 02841 81 260.