Duisburg-Hochfeld. Nach der Räumung von Häusern an der Gravelottestraße meldet sich jetzt die Eigentümerin zu Wort und macht der Stadt Duisburg schwere Vorwürfe.
Die Kritik an dem Vorgehen der Task Force der Stadt, die vor kurzem drei so genannte „Schrottimmobilien“ an der Gravelottestraße geschlossen hat, reißt nicht ab. Nach der Berichterstattung hat sich die Besitzerin der Mehrfamilienhäuser bei unserer Zeitung gemeldet. Sie sagt: „Die Stadt hat die Häuser erst zu Schrottimmobilien gemacht.“ Auch andere Hochfelder halten die Räumung nur für vorgeschoben, um die Bewohner, vornehmlich aus Bulgarien und Rumänien, zu vergrämen.
Häuserschließung in Hochfeld: Das sagt die Besitzerin
Die Vermieterin ist noch heute schockiert über den Einsatz der Task Force. Im Gespräch mit der Redaktion erklärt sie, dass sie und ihr Ex-Mann die Häuser 2013 gekauft haben. Mittlerweile kümmere sie sich alleine um die rund 100 Wohnungen in Hochfeld, die sie eigentlich zur Altersvorsorge erworben hatte. Doch nun fehlen ihr die Mieteinnahmen – und, was sie noch mehr ärgert: „Ich möchte die Häuser schnell renovieren und wieder Instand setzen. Aber die Stadt sagt mir bis heute nicht, was ich dafür tun muss.“
„Wir hatten früher Häuser in Freiburg. Als mein Ex-Mann sich beruflich in den Norden orientierte, haben wir uns den Markt in Duisburg angeschaut.“ Hochfeld kannte sie nicht, „aber wir hatten nie Probleme, die Wohnungen zu vermieten. Wir kümmern uns um unsere Mieter, einige wohnen schon lange dort“, betont sie. Die Häuser seien Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre entstanden und für diese Verhältnisse entsprechend ausgestattet.
Als die Task Force an besagtem Donnerstagmorgen vor zwei Wochen vor der Tür stand, sei zufällig ihr Hausmeister in der Nähe gewesen. „Aber der wurde gar nicht durch gelassen, weil er sich nicht als Hausmeister ausweisen konnte. Wer hat denn schon immer seinen Arbeitsvertrag dabei“, beschreibt sie die Situation aus ihrer Sicht. Der Mann rief sie an und schilderte ihr, was an der Gravelottestraße vor sich gehe. Parallel habe sie mit dem Ordnungsamt telefoniert und versucht zu erfahren, was genau los sei.
„Meine Häuser waren in Ordnung. Die Stadt hat sie erst zu Schrottimmobilien gemacht. Und noch schlimmer: Jetzt wird schlecht geredet und die Mieter in meinen anderen Häusern machen sich Sorgen, dass ihnen etwas Ähnliches passieren könnte.“ Auch die Bewohner der Gravelottestraße 51-55, die zwischenzeitlich vor allem bei Bekannten unterkamen, seien auf der Suche nach neuen Wohnungen. Zwei haben Anfragen bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gebag gestellt.
Stadt Duisburg schildert den Task Force-Einsatz aus ihrer Sicht
„Der Task Force-Einsatz begann um 9 Uhr. Dabei wurde eine brandschutztechnische Begutachtung der Häuser durchgeführt und parallel die Meldedaten aller angetroffenen Personen überprüft. Dazu müssen zunächst alle Personen die Objekte verlassen. Dieses Vorgehen ist zwingend erforderlich, um störungsfrei die Überprüfung durchzuführen, da es leider immer wieder zu beleidigendem oder aggressivem Verhalten gegenüber den Mitarbeitern kommt“, ordnet Stadtsprecher Sebastian Hiedels ein.
Dem Hausmeister sei, nachdem die Eigentümerin telefonisch befragt wurde, „sofort“ Zutritt zum Gebäude gewährt worden. Nach der Begutachtung seien der Vermieterin die Mängel sowie die Nutzungsuntersagung „ausführlich angezeigt“ sowie das weitere Vorgehen detailliert erläutert worden. „Der Vermieterin wurde auch die Möglichkeit eingeräumt, die Objekte aufzusuchen, um die Mängel in einem persönlichen Gespräch aufzuzeigen. Davon wurde kein Gebrauch gemacht.“
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Die schriftliche Verfügung der Schließung werde aktuell erstellt. „Dort werden sämtliche vorgefundenen Mängel beschrieben und rechtlich bewertet, damit der Eigentümer genau weiß, welche Mängel abgestellt werden müssen.“ In den Objekten auf der Gravelottestraße seien eine „Vielzahl von gravierenden Brandschutzmängeln, baurechtlichen Mängeln sowie Mängeln nach dem Wohnungsaufsichtsgesetz NRW“ vorgefunden worden. Dazu zählten etwa „fehlende beziehungsweise erheblich mangelhafte erste und zweite Rettungswege, fehlende Rauchabzüge und Rauchwarnmelder, Kurzschluss- und Brandgefahr in Folge unsachgemäßer Verkabelung und offener Elektroleitungen, mangelhafte sanitäre Anlagen, ein beschädigtes Dach sowie Wasserschäden.“
Bei den Einsätzen der Task Force würden, so Stadtsprecher Hiedels, „kurzfristig Objekte ausgewählt, bei denen akute, eklatante brandschutztechnische Mängel vermutet werden. Häufig basiert die Objektauswahl auf Bürgerbeschwerden, Hinweisen von besorgten Nachbarn, des städtischen Außendienstes des Bürger- und Ordnungsamtes oder weiterer externer Behörden, etwa der Polizei.“ Erst bei der tatsächlichen Begutachtung der Gebäude könne eine Einschätzung über die akute Gefahr für Leib und Leben festgestellt werden, die zur sofortigen Schließung führe. Hiedels: „Bei Gefahr im Verzug besteht keine Möglichkeit und keine Zeit mehr für Ermahnungen.“
Pro und Contra aus der Hochfelder Nachbarschaft
„Diese Einsätze werden auf dem Rücken kinderreicher Familien ausgetragen, die kaum eine Möglichkeit haben, schnell eine neue Wohnung zu finden“, erklärt Dirk Heckmann. Der Wahl-Hochfelder ist Rechtsanwalt, selbst Hausbesitzer und Vermieter. Auch bei ihm wohnen bulgarische Familien. Er weiß: Um diese Mieter muss man sich kümmern, damit Regeln eingehalten werden. Aber: „Zunehmend drängt sich der Verdacht auf, dass der Brandschutz eher ein Mittel zu einem illegitimen Zweck ist, nämlich dem, bestimmte Familien bestimmter Ethnien aus der Stadt zu vergrämen. Die Art und Weise, wie diese Räumungen vonstatten gehen, ist unsäglich.“
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Ein anderer Nachbar vermutet: „Wenn man es drauf anlegt, kann man in ganz Duisburg 70 Prozent der Altbauten wegen Brandschutzmängeln schließen, aber in anderen Stadtteilen wird eben nicht so genau hingeschaut.“ Zudem, so habe er beobachtet, seien bei den Häuserräumungen zuletzt keine Mitarbeiter des Jugendamtes mehr vor Ort gewesen. Auf Nachfrage betont Stadtsprecher Hiedels allerdings: „Bei jedem Einsatz werden alle städtischen Vertreter, unter anderem Feuerwehr, Rechtsamt, Bürger- und Ordnungsamt, Jugendamt, Gesundheitsamt oder Amt für Soziales und Wohnen einbezogen.“
Friederike Bettex, Anwohnerin am Immendal, stärkt der Stadt indes den Rücken: „Ich finde es gut und unterstützenswert, wenn die Kommune Ordnungsrecht durchsetzt, seien es Brandschutzvorschriften oder andere baurechtliche Vorschriften zum Schutz von Leben und Gesundheit. Man braucht nur einen Spaziergang durch Hochfeld West zu machen, um an vielen Stellen deutlich zu sehen, dass die Stadt bis heute nur unzureichend tätig wird – zum Schaden aller Bevölkerungsgruppen in Hochfeld.“
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Wenn Räumungsmaßnahmen EU-Bürger aus Bulgarien betreffen, so liege das daran, „dass sie überproportional von prekären Wohnverhältnissen in Schrottimmobilien betroffen sind, weil sie in ihrer sozialen Situation vielfach auf die Vermieter dieser Immobilien angewiesen sind und nicht besser unterkommen. Eine Diskriminierung der Bevölkerungsgruppe bestimmter Ethnien existiert.“ Diesem Umstand sollte aus ihrer Sicht etwa durch eine „angemessene“ Stadtplanungspolitik entgegen gewirkt werden. „Sachwidrig ist es jedoch in meinen Augen, der Task Force Diskriminierung vorzuwerfen“, betont Friederike Bettex. Sie schlägt vor, die ordnungsrechtlichen Maßnahmen von der sozialen Hilfe für die Familien zu trennen. „Man kann den Familien helfen und dennoch Schrottimmobilien schließen.“
Grüne kritisieren Task Force – SPD stärkt der Truppe den Rücken
Bündnis 90/Die Grünen wollten im Nachgang zum Task Force-Einsatz das Thema auf die Tagesordnung in der Bezirksvertretung (BV) setzen. Die Politiker hatten einen umfangreichen Fragenkatalog vorbereitet, wollten unter anderem wissen: „Wann und wie wurden die Bewohner im Vorfeld über die anstehende Prüfung der Immobilie informiert?“ Mehrheitlich wurde der Antrag allerdings abgeschmettert. Dr. Lothar Tacke, Chef der SPD-Fraktion in der BV Mitte, befürwortet den Einsatz der Task Force und wollte diesen nicht kritisiert wissen. Grundsätzlich seien die Räumungen ein Thema, das in die Bezirksvertretung gehöre. „Als es um Problemhäuser in Neuenkamp und Kaßlerfeld ging, habe ich mich dafür stark gemacht, dass dort etwas passiert“, betont er.
Melih Keser (Bündnis 90/Die Grünen), vor allem im Norden der Stadt engagiert, möchte das so nicht gelten lassen. „Als es ähnliche Einsätze im Norden gab, haben alle Parteien in der BV Hamborn an einem Strang gezogen.“ Er stehe aktuell in Kontakt mit einigen ehemaligen Bewohnern von der Gravelottestraße. Keser hat selbst erlebt, dass der Umgang einiger Ordnungsamtsmitarbeiter nicht gerade freundlich gewesen sei, als diese ein paar Sachen aus den gesperrten Wohnungen holen wollten.
Die Linke hat für die kommende Ratssitzung einen Antrag formuliert. „Wir fordern, neben sicherheitsrelevanten und ordnungsrechtlichen Aspekten, die soziale Perspektive stärker in den Fokus zu rücken“, heißt es.
>> Die Auswirkungen der Einsätze für die Bewohner
Mittlerweile hat die Stadt Duisburg im Rahmen der Task Force-Einsätze in den Stadtteilen Rheinhausen, Beeck, Dellviertel, Marxloh, Hamborn, Wanheimerort und Meiderich61 Häuser geschlossen. „Leider ist die Bereitschaft, die Objekte zu sanieren und zu investieren, bisher verhältnismäßig gering. Seit 2016 wurden lediglich vier Objekte durch Eigentümer ordnungsgemäß und vollständig saniert und wieder eröffnet“, teilt die Stadt mit.
Im Fall der Eigentümerin der Gebäude an der Gravelottestraße könnte die Sache anders aussehen. „Mit mir haben sie sich die Falsche ausgesucht“, erklärt die Vermieterin und behält sich vor, nach Zustellung des Bescheids selbst einen Anwalt einzuschalten. Vorsorglich habe sie bei der Stadt interveniert, dass die Mieter nicht von ihrer Hochfelder Adresse abgemeldet werden. Für viele beginnt nach dem Einsatz der Task Force eine neue Odyssee. Wer einmal abgemeldet ist, bekommt kein Kindergeld oder andere Unterstützung mehr – denn die Anschrift fehlt. Im schlimmsten Fall könnte der Nachwuchs sogar seinen Schulplatz verlieren. „Ist alles schon vorgekommen“, berichtet ein Sozialarbeiter. Er weiß: Die Stadt wolle zwar offiziell die Eigentümer mit ihren Maßnahmen treffen - die Leidtragenden seien aber vor allem die Mieter.
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