Bottrop/Oberhausen. Sofia (19) und ihre Mutter aus der Ukraine verbringen das dritte Weihnachten in Deutschland. Sie sind hier glücklich, aber die Angst bleibt.

Am 21. Februar 2022 sagt Sofia zu ihrer Mutter: „Ich habe Angst, dass ein Krieg ausbricht.“ Die Mutter lacht. Zwei Tage später sagt die Lehrerin in der Schule: „Es wird niemals Krieg geben.“ Am nächsten Morgen, in den frühen Stunden des 24. Februars, marschieren russische Truppen in die Ukraine ein. Es herrscht Krieg, mitten in Europa, und er hält bis heute an.

Sofia und ihre Mutter leben zu dem Zeitpunkt in der Innenstadt der ukrainischen Hauptstadt Kiew, in einem Hochhaus mit 50 Wohnungen. Fünf Tage lang bleiben sie dort im Keller, trauen sich kaum zum Duschen nach oben, drängen sich mit all den anderen Bewohnern in den dunklen Räumen im Untergeschoss. Sofia nimmt Kontakt zu einer Familie in Deutschland auf, die ihre Hilfe anbietet. Die beiden Frauen fliehen nach Duisburg.

Das dritte Weihnachten im Ruhrgebiet: „Ich mag Deutschland so sehr“

Seit fast drei Jahren wohnen sie im Ruhrgebiet, verbringen nun das dritte Weihnachtsfest außerhalb ihrer Heimat. Eineinhalb Jahre sind sie bei der Familie in Duisburg geblieben, Sofia besucht das Berufskolleg in Bottrop, steht jeden Morgen um 5 Uhr auf, um es pünktlich zu schaffen. Heute sitzt sie auf der Couch in der kleinen Wohnung in Oberhausen, in der sie seit mehr als einem Jahr leben. Der Weg ist nun nicht mehr so weit nach Bottrop, wo Sofia nächstes Jahr ihr Fachabitur machen will, vielleicht auch noch die allgemeine Hochschulreife ein Jahr später.

Die Wohnung hat zwei Zimmer, einen kleinen Flur, eine Küche und ein winziges Bad. Bilder in aufgestellten Fotorahmen zeigen Sofia und ihren Freund, auf der Couch sitzt ein Teddy, ein Weihnachtswichtel steht auf dem Sideboard. Die Wohnung liegt an einer viel befahrenen Straße nahe der Oberhausener Innenstadt, die Fenster lassen den Lärm der Autos durch, im Hausflur funktioniert das Licht nicht.

Weihnachtsgeschichte: Sofia Kalitska lebt sein Beginn des Ukraine-Kriegs in Oberhausen, geht in Bottrop zur Schule
Weihnachten in Deutschland: Sofia hat Deko im Internet bestellt. Über die Feiertage fährt sie mit Freunden nach Berlin. Das Weihnachtsfest feiern die Ukrainerinnen traditionell am 7. Januar. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Und doch: Sofia, 19 Jahre alt, lange, glatte, blonde Haare, strahlt, während sie erzählt. Überhaupt lächelt sie viel, egal wie belastend die Erlebnisse sind, über die sie sprechen muss. Sofia und ihre Mutter seien dankbar für alles, was sie hier erleben. „Ich mag Deutschland so sehr“, sagt Yana Kalitska. Früher habe sie gedacht, die Deutschen lächeln nie. „Aber ich habe hier so viel Positives erlebt, meine Meinung über Deutschland hat sich komplett geändert.“

Duisburger Familie hilft den beiden Frauen aus der Ukraine

Die beiden haben Glück gehabt mit der Duisburger Familie, bei der sie lange wohnen durften. Sie sei „perfekt“ gewesen, sagt Sofia. Damit sie und ihre Mutter die deutsche Sprache schneller lernen, hatten sie überall Post-its an Gegenstände geklebt: Kühlschrank, Tisch, Tür. Sie halfen den beiden Frauen, die nur mit einem Koffer nach Deutschland gekommen waren, bei der Schulanmeldung, beim Finden eines Sprachkurses, bei der Wohnungssuche.

Auch interessant

Heute unterstützt Sofias Mutter die Duisburger Familie im Haushalt und bei der Betreuung ihres Neugeborenen. Die 51-Jährige ist gelernte Buchhalterin, will nun aber noch mal eine Ausbildung zur Erzieherin machen, wenn sie die B2-Deutschprüfung geschafft hat. Die Angst, als Frau alleine in ein fremdes Land ins Ungewisse zu kommen, ist dem Wunsch gewichen, Deutschland etwas zurückzugeben.

Reise in die Ukraine: „Es war schrecklich“

Im Sommer vergangenen Jahres musste Sofia in die Ukraine reisen, um dort ihren Schulabschluss zu machen. „Es war schrecklich“, sagt die 19-Jährige. „Ich war schockiert von dem ständigen Bombenalarm.“ Ihre Oma, die nach Kriegsbeginn aufs Land gezogen war, begleitete ihre Enkelin nach Kiew.

Sofia Kalitska

„Ich wollte einfach nur zurück nach Deutschland. Hier sind die Menschen glücklich.“

Sofia Kalitska musste im Sommer 2023 für einige Tage in die Ukraine reisen

„Wir waren in einer Wohnung in der 14. Etage. Ich hatte solche Angst, dass uns eine Rakete trifft“, sagt Sofia. „Ich konnte nicht schlafen, weil ich Angst hatte, dass ich nicht mehr aufwachen werde.“ Zerstörte Häuser, arme Menschen – „ich wollte einfach nur zurück nach Deutschland. Hier sind die Menschen glücklich.“

Sie und ihre Mutter wollen hier bleiben, egal wie sich der Krieg in ihrer Heimat entwickelt. Die Nachrichten verfolgen sie nur rudimentär, das sei nur schwer zu ertragen. „Ich kann nicht ruhig leben, wenn ich mir das jeden Tag angucke“, sagt Sofia. Die Angst ist ihr geblieben, Angst vor der Atombombe, Angst vor einer Ausweitung des Kriegs nach Westeuropa. War er nicht auch in der Ukraine unmöglich erschienen?

Doch in diesen Tagen soll die Angst zurückstecken. Sofia fährt mit Freunden über die Feiertage nach Berlin, will die deutsche Hauptstadt kennenlernen, weil Weihnachten, das feiern die Kalitskas am 7. Januar. Im deutschen Frieden.