Bottrop-Kirchhellen. Liliya (35) und ihre Söhne Nikita (15) und Alexej (13) feiern ihr drittes Weihnachtsfest in Deutschland. Ihr Leben zwischen Sorge und Hoffnung.

Rote und goldene Kugeln schmücken den Christbaum in der kleinen Wohnküche, überall stehen Kerzen, funkeln Lichter. Als sollten sie besonders viel Helligkeit bringen in eine Zeit, die für Liliya Breslavets (35) und ihre Söhne Nikita (15) und Alexej (13) auch eine mit Schatten ist. 2022 sind sie vor dem Krieg in der Ukraine, vor Bombardierung und Tod geflohen. „Als wir die Ukraine verlassen haben, haben wir gedacht: Wer weiß, ob wir je zurückkommen“, sagt Liliya.

Nun: Der Krieg, er wütet weiter. Die kleine Familie feiert schon ihr drittes Weihnachtsfest fern ihres Heimatortes Charkiw in der Ostukraine. Fern auch von ihren dort gebliebenen Lieben, um die sie sich sorgen, die sie vermissen. Nachdenklich sagt Liliya dennoch: „Ich denke, ich bleibe in Deutschland. Ich weiß nicht, was weiter wird. Aber ich möchte hier bleiben.“

In der Dachgeschosswohnung von Liliya Breslavets vertreiben viele  Kerzen und Lichter die Dunkelheit.
In der Dachgeschosswohnung von Liliya Breslavets vertreiben viele Kerzen und Lichter die Dunkelheit. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

In der Dachgeschoss-Wohnung in Kirchhellen, in der die Drei seit zwei Jahren leben, hat Liliya den Tisch festlich gedeckt, extra eine Torte gebacken. Alexej trifft sich mit Freunden zum Kicken, aber Nikita, mit dem er sich ein Zimmer teilt, sitzt mit an der Kaffeetafel. Mutter und Sohn helfen sich gegenseitig mit Vokabeln aus. Beide betonen, dass sie gerne besser Deutsch sprechen würden, aber tatsächlich kann man sich sehr gut mit ihnen unterhalten.

Liliya und ihre Söhne lebten 25 Tage lang in den U-Bahn-Schächten von Chirkew

Liliyas offenes Lächeln verblasst, als die Sprache auf die Zeit kurz vor ihrer Flucht kommt. Sie zeigt Fotos und Videos auf ihrem Handy. In den Schächten der U-Bahn haben sie Schutz vor den Bomben gesucht, „wir haben 25 Tage in der U-Bahn gelebt“. An jedem Tag, der verstrich, schwand die Hoffnung mehr, dass das alles bald aufhören könnte. „Ich habe so viel geweint“, sagt Liliya. Nikitas 13. Geburtstag musste die Familie im U-Bahn-Schacht feiern.

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Ein weiteres Foto auf dem Handy zeigt einen Raketeneinschlag auf einem Spielplatz, wie die zweifache Mutter erklärt. Sie entschließt sich zur Flucht. Über Polen gelangen die Drei nach Deutschland, kommen über Bochum, Bielefeld und Herford schließlich im April 2022 nach Bottrop. „Wir haben bei Herrn Schmücker gelebt“, erzählt die 35-Jährige, „wir bedanken uns für das gute Essen“. In den Saisonarbeiterhäusern am Schmücker Hof in Overhagen waren 2022 vorübergehend insgesamt 23 ukrainische Flüchtlinge untergekommen, die dann in die neuen Container am Tollstock zogen.

Fotos erinnern Liliya Breslavets an frühere Zeiten in der Ukraine.
Fotos erinnern Liliya Breslavets an frühere Zeiten in der Ukraine. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Für jemanden, der aus einer Großstadt mit 1,5 Millionen Einwohnern stammt, dürfte Kirchhellen tatsächlich wie ein Dorf sein. „Ich mag Kirchhellen“, sagt Liliya. Es sei ruhig, grün, sicher, die Kinder könnten zu Fuß oder per Fahrrad zur Schule. Sie muss sich keine Sorgen um die Jungs machen.

Bei Telefonaten in die Heimat erfährt Liliya von Raketenangriffen, von Stromausfällen

Was sich deutlich von dem unterscheidet, was ihr restliche Familie in Charkiw erlebt. Bei Telefonaten mit ihren Eltern erfährt Liliya von Raketenangriffen, von Stromausfällen. „Ich vermisse meine Mama und meinen Papa. Ich habe sie so lange Zeit nicht mehr gesehen.“ Die 35-Jährige sorgt sich um den Vater, der Probleme mit dem Herzen und hohen Blutdruck hat, und um die Mutter, die in einem Krankenhaus arbeitet. „Einmal ist schon eine Rakete auf das Krankenhaus gefallen.“

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In Kirchhellen fehlt ihr die Unterstützung ihrer Familie. „Manchmal ist es schwer, alleine mit den Kindern.“ Beide Söhne besuchen die Sekundarschule im Ortskern. Nikita berichtet von seinem Deutschunterricht, wie viel einfacher Mathe hier ist als in der Ukraine, dass er ganz frisch beim VfB Kirchhellen Fußball spielt und wie gut ihm sein dreiwöchiges Berufspraktikum bei einem Maler und Lackierer gefallen hat. Eine Ausbildung in der Branche, die kann er sich vorstellen.

Das ist genau das, was Liliya fehlt: eine Beschäftigung, eine Arbeitsstelle, die sie fordert. In der Ukraine habe die gelernte Köchin als Assistentin in einem Taxi-Unternehmen und zusammen mit ihrem Vater als DJ- und Moderatoren-Duo bei Feiern gearbeitet. „Ich mochte meine Arbeit. Ich möchte gerne mit Menschen kommunizieren. Aber da ist die Sprachbarriere.“ In Deutschland hat sie es zwischenzeitlich mit Kellnern versucht.

Mit Hoffnung blickt die Ukrainerin ins neue Jahr: Im Januar will sie ihren B1-Sprachtest bestehen. Anschließend eine passende Arbeit finden, vielleicht eine Ausbildung machen. Und sich und ihren Söhnen eine Zukunft in Kirchhellen aufbauen.