Bottrop. Bottrop und Düsseldorf zeigen erstmals in Deutschland eine große Werkschau der Künstlerin Sheila Hicks. Was das mit Josef Albers zu tun hat.
Es ist das erste Mal, dass in Bottrop Arbeiten von Sheila Hicks gezeigt werden, das erste Mal, dass die berühmte Künstlerin überhaupt die Geburtsstadt von Josef Albers besucht. Und dennoch scheint es für die amerikanische Textilkünstlerin und Designerin, die seit 60 Jahren in Paris lebt, wie eine Art Heimatbesuch zu sein. Sie war mehrere Jahre Schülerin von Albers an der Yale University im US-Staat Connecticut. Der vermittelt ihr nach dem Abschluss eines der begehrten Fulbright-Stipendien und Sheila Hicks (geb. 1934) beginnt ihre Karriere.
Jetzt zeigt das Josef Albers Museum eine umfassende Retrospektive, auch mit frühen Bildern, die Albers überhaupt veranlassten, die damals 20-Jährige in seine Klasse aufzunehmen. Zeitgleich präsentiert die Düsseldorfer Kunsthalle raumgreifende Installationen der alten Dame, die nicht nur weiter arbeitet, sondern auch gerne über Kunst, Farbe und deren Wirkung kommuniziert.
In dieser Bottroper Ausstellung hängt alle Kunst nicht nur am seidenen Faden
Acht Räume, der gesamte neue Erweiterungsbau des Museums Quadrat, mit Textilkunst und einigen Bildern? Bereits beim Eintreten ahnt man: In dieser Schau hängt fast nichts nur am sprichwörtlichen seidenen Faden. Da ist die „Color Class in New Haven“, eine Art vielfarbiges-plüschiges Stoff-Mobilé, dessen Elemente Sheila Hicks schnell einmal variiert: „Schließen Sie die Augen, denken Sie darüber nach, dann öffnen Sie die Augen und machen etwas mit Farbe“, sagt die Protagonistin in die Runde. Klingt irgendwie nach Josef Albers. Ja, auch sie verstehe sich als Lehrerin und Künstlerin und selbst im hohen Alter auch noch als Studierende.
Dann öffnet sich der Neubau wie eine Wunderkammer: Wollknäuel, knallrote Stoffballen in einer Ecke, streng gewebte, genähte, gestickte Arbeiten, von denen natürlich Großformate wie der zartfarbige „Robbenstrand“ oder das „Alphabet der Farben“ auffallen. Letzteres, eine Wolle-Seide-Arbeit von 1982, wirkt mit seinen 49 kleinen Quadraten wie eine Hommage an Josef Albers.
Es ist zunächst die schiere Fülle von Farben, Formen, vielen mehrdimensionalen Werken oder Skulpturen, mit denen Sheila Hicks zeigt, was im Stoff steckt. Der kann unterschiedlicher kaum sein. Das Spektrum reicht vom schlichten Wollfaden bis zum aufwändig hergestellten Mix aus Stoff und Metall. „Fühlen Sie mal, was ist das?“, ermuntert die Künstlerin. Eine zunächst unscheinbare, leicht dunkel schimmernde kleine Arbeit neben einer Tür entpuppt sich als Gewebe aus Stainless-Steel-Fäden, wie man sie in Autoreifen oder feuerfesten Bühnenvorhängen nutzt.
Künstlerin zeigt Liebe zum Material und großen Respekt auch vor uralten Techniken
In der chronologisch aufgebauten Schau, kuratiert von Linda Walther und Monja Droßmann, zeigt sich nicht nur Hicks‘ Liebe zum Material, das sie zuweilen an seine Grenzen treibt, sondern immer wieder auch der große Respekt vor uralten Techniken, die sie während Studien in Mittel- und Südamerika, aber auch auf den übrigen Kontinenten, kennenlernte.
Als Designerin und Künstlerin hat Hicks früh Kontakte nach Deutschland. „Ich kam bereits 1965 für meinen ersten Job nach Wuppertal, dort hatte man eine neue Webtechnik entwickelt und ich entwarf Muster für ungewöhnliche Teppiche mit kleinen Erhöhungen, ganz lustig, wenn man darüber ging“, erzählt die Wahl-Pariserin.
Architektur und deren Ausstattung im Sinne eines Gesamtkunstwerks ist ebenfalls Thema der Bottroper Retrospektive. Anfang der 70er Jahre wurde sie mit einer großen textilen Wandgestaltung des neuen MGIC-Gebäudes im amerikanischen Milwaukee beauftragt: „Spiegelungen von Versailles“. Die Arbeit galt lange als verschollen, wurde dann von der New Yorker Galeristin Suzanne Demisch, die für die Eröffnung nach Deutschland gekommen ist, in einem Lagerhaus wiederentdeckt und ist nun im Quadrat zu sehen.
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Anderes bleibt verschollen, wie eine Textilarbeit für einen Repräsentationsraum der Frankfurter Dresdner Bank-Zentrale. Die hatte der damalige Vorstandssprecher Jürgen Ponto – später, wie Alfred Herrhausen von der Deutschen Bank, eines der prominenten Mordopfer der RAF – bei Hicks in Auftrag gegeben. In einer Vitrine zeigt die Bottroper Ausstellung eine Fotografie. „Forschen Sie nach, suchen Sie, vielleicht taucht sie wieder auf“, ermuntert die Künstlerin Museumsleute wie Journalisten.
Der Bottroper Teil der Zwei-Städte-Ausstellung versäumt es nicht, frühe Arbeiten, Gemälde, von Sheila Hicks vorzustellen. Bereits Mitte der 50er Jahre hat ihr Gespür für Komposition und Farbe die Aufmerksamkeit von Josef Albers geweckt, sodass er sie bald in seine Klasse in Yale aufnimmt. Später lernt sie auch dessen Frau Annie Albers kennen, Textilkünstlerin wie sie. Am Arm trägt sie ein Armband, ein zartes Drahtgewebe mit einer Art aufgesetzter Pailletten. Ein Geschenk von Annie Albers an Sheila Hicks. „Es wurde Zeit, dass ich nach Bottrop kam“, sagt sie irgendwann. Schließlich hat Bottrop die größte Albers-Sammlung außerhalb der USA.
Die Ausstellung „Sheila Hicks“ ist vom 12. Oktober bis 23. Februar 2025 im Josef Albers Museum Quadrat zu sehen. Etwa die Hälfte der gezeigten Arbeiten stammt aus dem Besitz der Künstlerin. Die übrigen Werke stellten Museen wie das MoMa in New York, das Musée d‘Art Moderne, Paris, verschiedene Galerien und Privatsammler zur Verfügung. Ein Katalog erscheint später. Das umfangreiche Begleitprogramm beginnt mit dem langen Donnerstag (bis 20 Uhr) am 17. Oktober. Alle Termine: quadrat-bottrop.de.