Bottrop. Die Arbeitsmarktlage für Firmen ist angespannt. Viele Bewerber haben überzogene Erwartungen. Was Unternehmen tun, um Angestellte zu gewinnen.

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt spitzt sich zu: Firmen fällt es immer schwerer, geeignete Arbeitskräfte zu finden. Teils hätten Bewerber „surreale Vostellungen“, sagt beispielsweise Denise Hoffschlag, Personalerin bei Seepex.

„Der demografische Wandel ist ein riesengroßes Problem“, erklärt Denise Hoffschlag den Ursprung der aktuell schwierigen Arbeitsmarktlage. Das bekommen alle Firmen zu spüren: Die Boomer-Generation der geburtenstarken Jahrgänge geht in Rente, viele Arbeitskräfte verabschieden sich in den Ruhestand, es gibt nicht genügend Nachfolger. Das sei auch auf dem Ausbildungsmarkt spürbar, sagt die Personalexpertin des Bottroper Herstellers von Exzenterschneckenpumpen. „Wir haben deutlich weniger Azubis.“

Angespannte Arbeitsmarktlage: Wenn Bewerber sich gar nicht mehr melden

Aber dieser Arbeitnehmermarkt scheint sich auch auf die Haltung der Bewerberinnen und Bewerber auszuwirken. So passiere es nicht selten, dass man sich in Gesprächen befinde, sich sogar schon einig sei, ein von der Firma unterzeichneter Vertragsentwurf rausgeschickt wird – und keine Reaktion folgt. Anfragen blieben unbeantwortet, der Bewerber meldet sich schlicht nicht mehr. „Da werden wir plötzlich geghostet“, sagt Denise Hoffschlag. „Das gibt es nicht nur beim Dating.“

Hinzu kämen teils unrealitische Vorstellungen, zum Beispiel „surreale Gehälter“, die sich auf Management-Niveau befinden, obwohl es nicht um eine Führungsposition geht. Oder der Wunsch nach der AMG-Ausstattung des Dienstwagens zum Berufseinstieg.

Überzogene Vorstellungen von Bewerbern: „Ältere sind da bescheidener“

Denise Hoffschlag, die seit Frühjahr bei Seepex arbeitet, hat das schon bei ihrem vorherigen Arbeitgeber erlebt, einer Anwaltskanzlei. Da forderte eine angehende Anwaltsfachangestellte ein Jahresgehalt von 150.000 Euro – obwohl das Durchschnittsgehalt unterhalb der Hälfte liegt. „Diese unrealistischen Vorstellungen gibt es vor allem bei der jüngeren Generation“, sagt Denise Hoffschlag. „Die Älteren sind da bescheidener.“

Thorsten Bräuninger, Fachbereichsleiter Personal.

„Die Bewerber kennen ihre Situation und wissen, dass wir unter Druck stehen.“

Thorsten Bräuninger, Personalchef der Stadt

Als größter Arbeitgeber spürt auch die Stadtverwaltung die „äußerst angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt“, wie Thorsten Bräuninger es nennt. Der Fachbereichsleiter für Personal und Organisation sieht ein deutlich „reduziertes Angebot an Arbeitnehmern“, sowohl mit Blick auf die Anzahl als auch auf die Qualifikation.

„Die Bewerber kennen ihre Situation und wissen, dass wir unter Druck stehen“, sagt Thorsten Bräuninger. Da werde schnell nach den Vorzügen gefragt; hinzu kommt der Trend zu Teilzeit und mehr Freizeitausgleich. Wo früher nur ein Bewerbungsverfahren durchgeführt wurde, braucht es heute mehrere.

Stadt Bottrop schreibt fast 200 Stellen im Jahr aus

Mehr als 30 vakante Stellen gibt es derzeit bei der Stadtverwaltung in Bottrop, bei der rund 2000 Menschen arbeiten. Aufgrund des Generationenwechsels ist die Fluktuation höher als früher. „Wir haben 2012 insgesamt 26 Ausschreibungsverfahren durchgeführt“, sagt Thorsten Bräuninger. „2023 waren es 183.“ Der Fachkräftemangel ziehe sich durch alle Bereiche: die sozialen Berufe, Stellen bei der Feuerwehr, Ingenieurs-Jobs.

Um dem entgegenzuwirken, setzt die Stadt auf eigene Azubis, hat die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich erhöht. 2023 gab es 115 Azubis, acht Jahre vorher war es nur ein Drittel. „Das ist der wirksamste Hebel, in die Arbeitsmarktlage einzugreifen, wenn es uns gelingt, junge Frauen und Männer an den Arbeitgeber zu binden“, sagt der städtische Personalchef. Bald sollen beispielsweise auch duale Studiengänge für Ingenieure angeboten werden.

Ein weiteres Instrument für Arbeitgeber sind die sogenannten Benefits, die Vorzüge, die sie ihren Angestellten bieten. Neben den klassischen Möglichkeiten wie Homeoffice, Weiterbildungsmaßnahmen, Gesundheitsangeboten, bekommen Seepex-Mitarbeiter zum Beispiel neben Weihnachts- und Urlaubsgeld nach einem Jahr Betriebszugehörigkeit zusätzlich Aktienpakete. Zudem gibt es spezielle Fortbildungen für Quereinsteiger und eine einjährige Übernahme-Garantie für Azubis.

MC-Bauchemie: Mit persönlichem Charakter punkten

Das Familienunternehmen MC-Bauchemie mit 800 Mitarbeitern in Deutschland und Hauptsitz in Bottrop setzt noch auf einen weiteren Faktor: Verbundenheit zum Unternehmen. „Im Schnitt sind unsere Mitarbeiter – Stand heute – seit zwölf Jahren bei uns beschäftigt“, sagt Personaldirektor Kai Schareina. „Wir verstehen uns als die persönlichste Bauchemie und setzen auf langfristige Beziehungen.“

MC-Bauchemie ist ein internationaler Hersteller von Baustoffen und einer der größten Arbeitgeber in Bottrop.
MC-Bauchemie ist ein internationaler Hersteller von Baustoffen und einer der größten Arbeitgeber in Bottrop. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Auch damit könne man bei Bewerbern punkten, wenngleich es auch bei der MC-Bauchemie schwieriger werde, den passenden Arbeitnehmer zu finden. „Wo wir früher eineinhalb Suchen bis zum Erfolg gebraucht haben, sind es jetzt drei“, sagt Kai Schareina. Es brauche doppelt so viele Jobanzeigen, bis eine Stelle besetzt wird.

Je fachlich spezieller eine Stelle ist, desto schwieriger ist die erfolgreiche Suche. Dabei seien grundsätzlich Soft Skills fast wichtiger als die reinen Schulnoten. „Fachliche Dinge kann man lernen“, sagt Kai Schareina. „Am Charakter kann man nur bedingt etwas ändern.“

Ja, auch er erlebe hohe Erwartungshaltungen seitens der Bewerber. Aber es gehe vielen auch um die Sinnhaftigkeit in ihrer Tätigkeit. „Da erklären wir die Vorteile, dass man sich bei uns schnell entwickeln kann, dass es keine festen Hierarchien gibt“, sagt der MC-Bauchemie-Personalchef. „Damit können wir gegenüber überzogenen Erwartungen auch punkten. Der persönliche Charakter hilft uns, Mitarbeiter an uns zu binden.“