Bottrop-Kirchhellen. Marie-Luise Schrader geht in den Ruhestand. Im Abschiedsgespräch berichtet sie auch vom entsetzlichsten Tag in ihren Jahren als Schulleiterin.

Wer ihr begegnet, kann sicher sein, mit einem Lächeln begrüßt zu werden. Die Freude an ihrem Beruf, die Marie-Luise Schrader beschreibt, strahlt sie auch aus. Mit bald 64 Jahren geht die langjährige Leiterin der Grundschule Grafenwald jetzt in den Ruhestand. Im Abschiedsgespräch berichtet sie auch vom entsetzlichsten Tag in ihren 30 Jahren als Schulleiterin.

Schon als Kind, erzählt die gebürtige Bottroperin, habe sie gerne Lehrerin gespielt. Sie selbst besucht die Ludgerusschule und später, „nach einem kurzen Ausflug ins Rheinland“, das Heinrich-Heine-Gymnasium. „Ich habe in Essen Lehramt studiert und ein zweites Studium gemacht: Diplom-Pädagogik“, erzählt Marie-Luise Schrader. „Wir waren ja damals erstmal alle arbeitslos“, sagt sie mit Blick auf die Lehrerschwemme in den 1980er Jahren.

Ihre erste Stelle führte die Bottroperin nach Nordhessen

Für ihre erste Stelle verließ sie daher auch das Ruhrgebiet, ging für zweieinhalb Jahre nach Nordhessen, um überhaupt den Einstieg in den Lehrerberuf zu finden. „Aber ich hatte Glück und kam schnell wieder nach Bottrop zurück.“ Erst an die Cyriakus-Grundschule, bevor sie mit 32 Jahren Konrektorin an der Konradschule wurde. Sie wechselte in die Leitung der Ludgerusschule – „die Lehrerin, bei der ich Lesen und Schreiben gelernt hatte, zählte damals noch zu den Kollegen“ – und kam 2008 als Schulleiterin nach Grafenwald. „Das sind tatsächlich schon 16 Jahre“, meint sie nachdenklich.

+++ Wollen Sie keine Nachrichten mehr aus Bottrop verpassen? Dann abonnieren Sie hier unseren WhatsApp-Kanal

Früher habe der Schwerpunkt für Schulleitungen sehr in der Gestaltung von Schule gelegen. „Es hat mir Freude gemacht, nicht nur zu unterrichten, sondern auch an der Schulentwicklung mitzuarbeiten.“ Heute seien die Rahmenbedingungen herausfordernder, schon was die schwierige Personal- und Ressourcensituation angehe.

Wichtiges Ziel: Selbstständigkeit zu fördern

Ihr sei es immer wichtig gewesen, Selbstständigkeit zu fördern, „sowohl bei den Kindern als auch bei den Kollegen“. Stärken zu nutzen, sodass diese effektiv zum Tragen kommen können, sei ihr immer wichtiger gewesen als Gleichschaltung und Vergleichbarkeit. „Natürlich orientieren wir uns an bestimmten Standards. Aber die Spielräume dazwischen zu nutzen, damit habe ich mich gerne auseinandergesetzt.“

Über die Jahre wurde die Inklusion an Regelschulen zu einem wichtigen Thema, „auch unter der schwierigen Bedingung, dass es kaum Sonderpädagogen gibt“, sowie die Integration von Flüchtlingskindern. „Sie haben ein Anrecht darauf, von uns aufgefangen zu werden, nicht nur in sprachlicher Hinsicht. Da sind wir auf multiprofessionelle Teams angewiesen.“

Vor allem die Kinder wird Marie-Luise Schrader vermissen - hier zu sehen bei der Aufführung ihres Schultanzes auf dem Hof der Grundschule Grafenwald.
Vor allem die Kinder wird Marie-Luise Schrader vermissen - hier zu sehen bei der Aufführung ihres Schultanzes auf dem Hof der Grundschule Grafenwald. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Dass es diese heute an den Schulen gibt, inklusive Schulsozialarbeitern, „das ist eine schöne Entwicklung“. Ebenso weiß Marie-Luise Schrader den offenen Ganztag zu schätzen. „Die Ludgerusschule gehörte 2004 zu den ersten Schulen, die damit angefangen haben. Wir haben das von Anfang an als Erleichterung empfunden. Da ist noch jemand, der einen anderen Blick auf die Kinder hat.“ Und beim Austausch mit den Eltern auf seine Weise unterstützt.

An der Grundschule Grafenwald übrigens ist die OGS-Betreuung ganz besonders stark gefragt. „100 Prozent der neuen i-Männchen besuchen die OGS.“

In 40 Jahren als Lehrerin, davon 31 in der Schulleitung, ist ihr manche Herausforderung begegnet. Man denke nur an die Corona-Pandemie inklusive Schulschließungen und Distanzunterricht. Maßnahmen, die so zuvor noch nie dagewesen sind.

Auch interessant

Und dann ist da dieser Tag im Januar 2022, der die ganze Schulgemeinschaft in Schock versetzt: Emma (6), eine Schülerin der Grundschule, wird erstochen aufgefunden. Umgebracht in der Kirchhellener Wohnung von ihrer eigenen Mutter, die später zu 13 Jahren Haft verurteilt wird. Hintergrund der Tat war wohl ein Sorgerechtsstreit.

„Das bleibt in der Erinnerung immer bestehen“, sagt Marie-Luise Schrader. Für die Trauerarbeit in der Schule seien die Hilfestellungen von Seiten des Schulamts, von Schulpsychologen und auch der Pfarrei vor Ort sehr wertvoll gewesen. „Vieles steht und fällt in solchen Situationen mit dem Hilfesystem.“

Die größte Sorge galt den Kindern aus Emmas Klasse. Doch auch das Lehrpersonal selbst habe diesen Extremfall mit Fachleuten im Nachhinein aufgearbeitet. „Und hat es hinterher gut getan, Faktenwissen zu haben. Das hat uns geholfen, den fürchterlichen Vorfall einzuordnen und zu wissen: Die hätten wir nicht einwirken können.“

Weiterhin Engagement im Förderverein der Schule

Wenn sie jetzt Abschied nimmt, werden der Pädagogin die Kinder und die Kolleginnen fehlen. Auch, wenn sie zumindest von letzteren einige wiedersehen wird, sind doch über den Beruf auch Freundschaften entstanden. Außerdem will sich die Bottroperin weiterhin im Förderverein der Grundschule engagieren. Dessen Engagement kann sie nur loben.

Gleichzeitig freut sie sich darauf, über ihre Zeit nun selbst bestimmen zu können. Dadurch mehr Zeit zu haben für liebe Menschen, fürs Lesen, die Kultur, das Reisen. Und Aufgaben, die Struktur in den neuen Alltag ohne Schule bringen, hat Marie-Luise Schrader sowieso: Ehrenamtlich arbeitet sie in der Pfarrei St. Cyriakus mit, in der Koordinierungsgruppe zur Pfarreientwicklung und im Pfarrgemeinderat. Dennoch: „Ich werde mich erst einmal daran gewöhnen müssen, nicht ständig durchgetaktet zu sein.“

Für ihre Nachfolge an der Grundschule Grafenwald steht eine Pädagogin aus dem Kollegium übrigens schon bereit: Kerstin Fischer möchte die Aufgabe gerne übernehmen. „Das passt gut“, sagt Marie-Luise Schrader. Und lächelt dabei.