Bottrop. Karin Welder engagiert sich seit 20 Jahren im Ehrenamt am Borsigweg. Sie ist die einzige Frau unter Männern mit Sucht- und psychischen Problemen.
Die Überraschung ist groß bei Karin Welder. In einem offiziellen Schreiben wird ihr mitgeteilt, dass sie mit dem Verdienstorden des Landes NRW ausgezeichnet wird. Zunächst hält die 71-Jährige den Brief für einen Scherz. Erst als sie die Telefonnummer auf dem Schreiben wählt, erhält sie die Bestätigung, dass sie tatsächlich die höchste Auszeichnung von Nordrhein-Westfalen erhalten wird.
Es ist nicht ihre erste Auszeichnung. 2013 erhielt sie von Oberbürgermeister Bernd Tischler die Bottroper Stadtplakette für ihre Verdienste. Wenn es das Wort „Unikat“ nicht geben würde, müsste man es für Karin Welder erfinden. Wer sie trifft, wird es sofort verstehen. Schon nach wenigen Minuten wird deutlich, diese Frau redet nicht lange um den heißen Brei herum und trägt ihr Herz auf der Zunge. „Ich bin wie ich bin. Ich kann und will mich nicht verbiegen“, sagt sie.
NRW-Verdienstorden: Auch Moderatorin Claudia Kleinert erhält Auszeichnung
Sie scheut die Öffentlichkeit, sie braucht nicht die große Bühne. Nicht reden, sondern anpacken. Harte Schale, weicher Kern – typisch Ruhrgebiet. Bei der Auszeichnung in Düsseldorf steht sie dann doch im Rampenlicht. Aus den Händen von Ministerpräsident Hendrik Wüst („ein sehr, netter und sympathischer Mann“) erhält sie den Orden.
Neben ihr stehen fünf weitere Preisträgerinnen. Unter anderem die aus dem Fernsehen bekannte Wetter-Moderatorin Claudia Kleinert, die sich seit vielen Jahren für Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung einsetzt.
So viel Aufhebens um ihre Person will Karin Welder eigentlich nicht. Aber Ehre, wem Ehre gebührt. „Sie ist das Herz und zugleich die gute Seele der Kontaktstelle am Borsigweg in Bottrop“, sagt Hendrik Wüst in seiner Laudatio. Am 27. Mai 2003 fängt sie an der Batenbrockstraße an. Die Kontaktstelle kann von den Bewohnern der Notunterkunftssiedlung an vier Tagen in der Woche (montags, dienstags, mittwochs und freitags) aufgesucht werden.
Mit Diplom-Sozialarbeiter Stefan Otte bildet sie von Beginn an ein Tandem. Er ist Ansprechpartner für Behördengänge, Vermittlung und kümmert sich generell um die Belange der Obdachlosen sowie für die Menschen mit Suchtproblemen und psychischen Erkrankungen. Sie schmeißt den Laden, macht Frühstück, kocht Kaffee, hilft bei der Wäsche. Und: Sie hört den Menschen zu. „Das ist das Wichtigste“, sagt sie. „Ich habe immer zugehört. Ich war die erste Anlaufstelle, wo sie ihre Sorgen loswerden konnten.“ Diese Aufgaben erfüllt sie seit 20 Jahren.
Bottrop: Borsigweg genießt seit Jahrzehnten einen schlechten Ruf
Die gelernte Einzelhandelskauffrau wollte sich damals ehrenamtlich engagieren. Sie traf Wolfgang Brockmann. Der damalige Sozialpädagoge im Gesundheitsamt wurde für sie ein wichtiger Ratgeber. Als sie bei der Kontaktstelle anfing, war ihr „Borsigweg“ ein Begriff. Die Gegend genoss schon damals keinen guten Ruf. „Ich bin als junge Frau nicht über den Borsigweg gefahren. Ich habe immer den Umweg über die Horster Straße genommen.“ Trotzdem entscheidet sie: „Ich schaue mir das erstmal an.“
Und sie bleibt im Kreise von Suchtkranken, Drogenabhängigen, Alkoholikern und Menschen, die schon mit dem Gesetz in Konflikt geritten oder sogar im Gefängnis saßen. Karin Welder ist die einzige Frau unter erwachsenen Männern. Ein dickes Fell legt sie sich in kürzester Zeit zu und weiß sich zu wehren. Rhetorisch ist sie nicht auf den Mund gefallen. „Ich habe schnell einen Draht zu den Leuten bekommen. Nach ein paar Wochen wusste ich von jedem die Lebensgeschichte.“
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Mit klaren Ansagen verschafft sie sich Respekt bei den Besuchern. Ohne Vorurteile geht sie auf sie zu. „Für deren Lebensumstände zeigt sie Verständnis. „Das sind normale Menschen. Wir haben doch alle unsere Macken. Ich freue mich für jeden, der woanders Fuß fasst.“ Denn viele hätten schwere Schicksalsschläge zu verkraften. „Die Leute sind irgendwann mal in eine Situation geraten, aus der sie nicht mehr rauskamen. Dann sind sie am Borsigweg gelandet.“
Kontaktstelle Borsigweg: Wer sich daneben benimmt, muss mit Konsequenzen rechnen
In den Frühstücksräumen gelten bei ihr einfache Regeln. Die Besucher sollen sie sich „anständig“ und „ordentlich“ benehmen. Ansonsten drohen Konsequenzen. Beispiel gefällig? „Wenn jemand sternhagelvoll reinkam, der flog sofort wieder raus.“ Karin Welder ist ehrlich, geradeaus und nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie ist aber auch nachsichtig, wenn jemand über die Stränge geschlagen hat: „Jeder hat doch mal einen schlechten Tag.“
Ihr Ehrenamt ist nichts für Zartbesaitete. Daraus macht sie keinen Hehl. Aber aus ihrer Sicht hat sich das Erscheinungsbild des Borsigwegs in den vergangenen Jahren positiv gewandelt. Kein Vergleich zu ihrer Anfangszeit. Trotzdem hallt der Gegend weiterhin ein schlechter Ruf nach. „Ich finde es überhaupt nicht schlimm“, sagt sie.
Karin Welder: „Ich hatte immer den Glauben, dass mir nichts passiert.“
Wenn das jemand beurteilen kann, dann sie. Sie hat damals andere Zeiten miterlebt. Das Messer am Körper war bei manchen Besuchern ein beliebtes Accessoire. Als im Frühstücksraum versucht wurde zu dealen, ging sie dazwischen. Oder als sie zu Anfang mit dem Fahrrad zur Kontaktstelle fuhr, riet ihr Wolfgang Brockmann, das Rad nicht auf der Straße stehen zu lassen. Es sind nur ein Bruchteil der Geschichten, die sie aus 20 Jahren erzählen kann.
„Ich hatte immer den Glauben, dass mir nichts passiert. Ein Urvertrauen, als ob ein Schutzengel auf mich aufpasst.“ Nur einmal passierte es doch. „Ich wurde beklaut“. Sie ließ ihre Handtasche mit Portemonnaie unbeaufsichtigt in der Küche. Rückblickend sagt sie: „Ich verstehe nicht, wie ich so blauäugig sein konnte.“