Bottrop. In Bottrops Rat beschimpfen Zwischenrufer Redner, und die Linke kanzelt das Land ab: Heuchler, Mischpoke, angepisst - und was sonst zu hören war.
Im Bottroper Stadtrat eskalierte gleich in der ersten Sitzung des Jahres der Streit. Es ging dabei um die Aufnahme von Flüchtlingen, die Belastungen der Corona-Krise für die Schulen und die Finanzen der Stadt. Oberbürgermeister Bernd Tischler sprach gegen Ratsvertreter und hochrangige Mitarbeiter der Stadtverwaltung Rügen aus, die von dem Streit genervte SPD schnitt mit einer Verfahrensnotbremse sogar dem OB das Wort ab, empörte Zwischenrufer beschimpften lauthals Redner, zwei Ratsvertreter kündigten an, gegen die Stadt vor Gericht zu ziehen, und einer von ihnen rief noch während der Ratssitzung seinen Rechtsanwalt an.
Vor allem Linke-Ratsherr Niels Schmidt legte sich im Rat mit so ziemlich jedem an, der ihm und seiner Partei inhaltlich in die Quere kam. Verwaltungsvertreter hatten den Ratsherrn vorher mit Schriftwechseln vor der Ratssitzung auf die Palme gebracht, in denen sie ihm unter anderem in dem Hin und Her ums Testen in der Droste-Hülshoff-Grundschule Akteneinsicht verwehrten. „Was haben Sie denn zu verbergen?“, schleuderte der aufgebrachte Schmidt der Verwaltungsbank im Rat entgegen.
Linke nennt Krisenstabschef indirekt Durchseuchungsdezernent
Den Ratsherrn machte nicht nur das zornig, wie er im Rat eingestand, sondern auch die hohe Belastung von Kindern, Eltern und Lehrkräften in der Corona-Pandemie. Aus Schmidts Sicht tut die Verwaltung nicht genug dagegen. Nachdem Krisenstabsleiter Jochen Brunnhofer auch noch berichtete, dass gerade die jungen Bottroper unter 19 Jahren besonders stark von Corona-Infektionen betroffen seien, bezeichnete ihn der Vertreter der Linkspartei indirekt erst als „Durchseuchungsdezernenten“ und benannte Brunnhofer wegen möglicher Corona-Spätfolgen schließlich auch noch in „Friedhof-er“ um.
Das ließ ihm OB Bernd Tischler gerade noch durchgehen. Der stellvertretende Verwaltungschef aber hielt dagegen. Auch er sei zornig, macht Paul Ketzer klar und forderte eine Rüge durch den Oberbürgermeister für seine Wortwahl geradezu kokettierend heraus. Diese bekam er prompt, auch wenn OB Tischler sie nicht sehr ernst zu nehmen schien. „Ich bin kollegial angepisst“, hatte Ketzer die Kritik an seinem Kollegen im Verwaltungsvorstand kurz zuvor zurückgewiesen. Brunnhofer nehme seine Aufgabe als Krisenstabsleiter „in großem Verantwortungsbewusstsein und mit sehr viel Sorgfalt wahr“, verteidigte ihn der vorherige Krisenstabsleiter gegen die persönlichen Angriffe, bevor SPD-Fraktionschef Thomas Göddertz die Notbremse zog.
Aufgebrachte AfD-Vertreter beschimpfen Linken
Der Landtagsabgeordnete forderte mitten im Corona-Dauerstreit: „Ende der Debatte“. So ließ Göddertz nicht einmal mehr den Oberbürgermeister zu Wort kommen. Dabei lag Bernd Tischler offensichtlich viel daran, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch persönlich gegen die Kritik der Linken in Schutz zu nehmen. Auch Linke-Ratsherr Sven Hermens durfte nicht mehr reden, obwohl er einen weiteren Ausbau der Testkapazitäten beantragt hatte. Begründen aber ließ der OB ihn diesen Antrag nicht. In einer persönlichen Erklärung kündigte Sven Hermens deshalb eine Klage vor dem Verwaltungsgericht an. Er habe noch während der Ratssitzung mit seinem Rechtsanwalt telefoniert, berichten die Linken.
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Auch im Streit der Ratsparteien untereinander ging es im Rat ausgesprochen heftig zu. „Du Heuchler“, beschimpfte der aufgebrachte AfD-Ratsherr Guido Schulz mit rotem Kopf den Linke-Ratsherrn Sven Hermens, der den AfD-Vertretern in der Debatte um die Seebrücke-Initiative zur Aufnahme von mehr Flüchtlingen Menschenfeindlichkeit vorwarf. „Sie wollen Menschen ertrinken lassen, nur weil sie Kopftuch tragen“, hatte Hermens die AfD-Ratsherren provoziert. AfD-Ratsherr Christian Malkowski tat die Rede des Linken in seinem Zwischenruf als „Schwachsinn“ ab.
Linker Ratsherr nennt NRW-Regierung eine Mischpoke
Statt der AfD knöpfte sich Hermens’ Kollege Niels Schmidt lieber die Union vor. Weil die CDU der parteiübergreifenden Flüchtlingsinitiative nicht zustimmte, warf Schmidt ihren Ratsleuten „Drückebergerei“ vor. Er stellte sie nicht nur an die Seite der AfD, sondern zog auch noch ihre christliche Haltung in Zweifel. „Christentum ist doch nicht: einmal in der Woche in die Kirche zu rennen“, sagte Schmidt. Fraktionschef Hermann Hirschfelder jedoch machte klar, dass die Seebrücke-Aktion die CDU im Rat innerlich förmlich zerrissen habe, gerade weil sie das Flüchtlingssterben im Mittelmeer und das Elend in den Lagern genauso verurteile wie die meisten.
Mischpoke
Nach der Kritik von Oberbürgermeister Bernd Tischler an seiner umstrittenen Wortwahl sagte Linke-Ratsherr Niels Schmidt zu, wegen des von ihm gewählten Mischpoke-Begriff im Duden nachzuschlagen. Darin steht unter anderem: Mischpoke, die; Gebrauch: salopp abwertend; Bedeutungen: üble Gesellschaft, Gruppe von unangenehmen Leuten.
Die Union stimme dem Seebrücke-Appell dennoch nicht zu, weil dies nichts bewirke. Denn die Entscheidungen für die dafür nötigen Finanzmittel treffe ja nicht die Stadt. Der Seebrücke-Beitritt sei daher nur ein Lippenbekenntnis. Auch AfD-Ratsherr Patrick Engels wandte ein, dass die Finanzausstattung der Kommunen zur Aufnahme von Flüchtlingen ja jetzt schon nicht ausreiche. Im Streit um Geld und die daraus resultierende Verfassungsbeschwerde gegen Düsseldorf wurde es schließlich auch OB Bernd Tischler nach weiteren Angriffen der Linken zu viel. „Die Landesregierung ist keine Mischpoke. Deshalb verbiete ich Ihnen hier so zu reden“, rügte er den Linke-Ratsherrn Niels Schmidt. „Das ist ein Schimpfwort, Herr Schmidt. Wir sind hier im Rat der Stadt, und wir halten uns an die Regeln und Etikette.“