Bochum. Selfies, viele Fragen: Robert Habeck war am Montag zu Besuch in Bochum. Um welche Themen es dabei ging und wofür es stehende Ovationen gab.

Ein halbes Jahr ist es her, dass Robert Habeck in Bochum war. Damals warb er als grüner Bundeswirtschaftsminister vor Unternehmern für mehr Geschwindigkeit in der Transformation. An diesem Montag ist alles anders. Es ist Bundestagswahlkampf, es die Woche nach dem politischen Dammbruch in Berlin, als die CDU mit Stimmen der AfD einen Fünf-Punkte-Plan zur Migration beschlossen hat. Daher steht nach Einschätzung des Kanzlerkandidaten Habeck heute viel mehr auf dem Spiel als ein einziges, noch so wichtiges politisches Thema.

Habeck warnt in Bochum davor, „Mehrheiten mit der AfD zu besorgen“

Europa, Klimapolitik und Sozialpolitik, führt er vor gut 300 Gästen im Bochumer Ruhrcongress aus, seien „die drei großen Unterscheidungslinien, die drei großen Weichen“, bei denen sich die Grünen besonders von den anderen Parteien unterscheiden. Das habe sich im bisherigen Wahlkampf gezeigt. Dazu gekommen sei noch die Linie, „die vielleicht in der Aktualität der Ereignisse alle drei überlagert: das ist das gemeinsame Abstimmen von Union und FDP mit der AfD in der letzten Woche im deutschen Bundestag“. Der wichtigste Punkt sei aus Habecks Sicht nun, „nicht die Methoden der AfD zu übernehmen, nicht die Mehrheiten mit der AfD zu besorgen, um seine Ziele zu erreichen. Wenn wir das nicht wieder eingefangen, dann sind auch die anderen Punkte wie Europa, Klimaschutz usw. gar nicht mehr zu halten.“

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Es gibt viel Zustimmung für den grünen Kanzlerkandidaten bei einer Veranstaltung, zu der Bundestagsmitglied und Direktkandidat Max Lucks sowie die Grünen in Bochum geladen haben. Habeck spricht erst die aus seiner Sicht wichtigsten Themen an und beantwortet dann Fragen; Fragen nach dem Zwang zum Gendern und dem Verbot althergebrachter Wörter, nach der richtigen EU-Politik gegenüber chinesischen Menschenrechtsverletzungen, wie dem wachsenden Interesse von Schülern und Schülern an der AfD zu begegnen sei und wie wichtig aus seiner Sicht die Lockerung der Schuldenbremse sei.

Mehr als 300 Gäste sind in den Ruhrcongress gekommen, um Bundeswirtschaftsminister und Kanzlerkandidat Robert Habeck zuzuhören.
Mehr als 300 Gäste sind in den Ruhrcongress gekommen, um Bundeswirtschaftsminister und Kanzlerkandidat Robert Habeck zuzuhören. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Letztere muss aus Habecks Sicht pragmatisch und nicht dogmatisch betrachtet werden. „Ich sehe die Gefahr von zu hohen Schulden, ich sehe aber auch die Gefahr von einer zu rigiden, starren Regelung. Daher werbe ich dafür, dass wir die guten, soliden finanzpolitischen Möglichkeiten, die Deutschland hat, jetzt nutzen, um Probleme in unserer Gegenwart zu lösen. Denn es nützt am Ende der kommenden Generation auch nichts, wenn wir ihr ein heruntergewirtschaftetes Land, abgehängt von der globalen Entwicklung, hinterlassen, aber die Schuldenbremse eingehalten haben.“ Das funktioniere ökonomisch nicht. Und es funktioniere am Ende auch gesellschaftlich nicht. Die Sorge um Arbeitslosigkeit frisst am Ende auch das Vertrauen in die Demokratie auf. Ich glaube nicht, dass wir am Ende in einem Land leben wollen, in dem die AfD regiert, aber die Schuldenbremse ist eingehalten worden. Das ist die falsche Alternative.“ Gerade dafür erhält der grüne Kanzlerkandidat viel Applaus und am Ende sogar stehende Ovationen.

Grünen-Ratsmitglied Barbara Jessel sieht bei der CDU in Bochum „eine andere Haltung“

Auch von Barbara Jessel, Mitglied der Grünen im Rat der Stadt Bochum. „Es ist sehr wohltuend, jemand zu haben, der in Ruhe versucht, Dinge zu erklären statt auf Hetztiraden und Populismus zu setzen.“ Abzuwarten bleibe, ob und wie die jüngsten Entwicklungen in Berlin sich auch auf die Landes- und Kommunalpolitik in Bochum auswirken. Jessel: „Die NRW-CDU ist ja noch anders unterwegs als in Bund. Und in Bochum haben wir als Koalition schon vieles mit der CDU beschlossen. Da sehe ich durchaus eine andere Haltung. Ich hoffe, die bleibt so.“

Einige Meter bildet sich eine beachtliche Schlange von Menschen, die gerne ein Selfie mit Robert Habeck hätten. Minutenlang lächelt der Wahlkämpfer in Mobiltelefone: mit jungen Menschen, mit Ü60ern, mit einer jungen Frau, auf deren T-Shirt gleich sieben Konterfeis von Habeck zu sehen sind und selbstverständlich auch mit einem seiner lokalen Mitstreiter. „Komm Oppa, ich mach das schon“, hat Bundestagsmitglied Max Lucks seinem 82-jährigen Großvater Dr. Jürgen Wilms gesagt.

Viele Gäste möchten ein Selfie mit Robert Habeck

Dem Publikum hat Lucks zuvor in seiner Begrüßungsrede verraten, dass sein Opa, ein langjähriger „schwarz-gelber Wechselwähler“, diesmal für Grün stimmen wolle und überhaupt längst ökologisch unterwegs sei. Durch seine Hartnäckigkeit, eine Solaranlage auf das Dach des Vereinsheims zu installieren, spare der Tennisclub 20.000 Euro Stromkosten; ganz zu schweigen von der CO2-Ersparnis.

Kandidatenkür in Bochum. Robert Habeck möchte Kanzler werden, Max Lucks und Anna di Bari möchten in den Bundestag einziehen.
Kandidatenkür in Bochum. Robert Habeck möchte Kanzler werden, Max Lucks und Anna di Bari möchten in den Bundestag einziehen. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Das alles sorgt für Rückenwind. Oder beflügelt es Robert Habeck sogar?

„Es verpflichtet einen“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. „Das ist das, was wir erleben, seit der Wahlkampf begonnen hat. Die Leute rennen uns die Bude ein, es gibt Parteieintritte wie wir es noch nie gesehen haben. Auch die Umfragen, als einzige Ampelpartei, bewegen sich nach oben. Tatsächlich habe es in den vergangenen fünf Tagen etwa 5000 Eintrittsanträge geben, so die Grünen.

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„Zehn davon in Bochum“, wie Kreis-Geschäftsführer Oliver Buschmann sagt. Er hofft nun auf einen ähnlichen Schub wie nach der Europawahl 2019, als binnen vier Wochen 50 Menschen der Partei beigetragen sind. Nach dem Bruch der Koalition am 6. November 2024 seien es sogar 170 gewesen. Buschmann: „Jetzt haben wir Marke von 900 Mitgliedern geknackt und peilen die 1000 an.“

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