Bochum-Stiepel. Bergmann Hugo Höltermann aus Bochum wurde 1939 von den Nationalsozialisten verschleppt und starb im KZ. Seine Enkelin schildert sein Martyrium.

Genau 80 Jahre ist es her, seit Soldaten der Roten Armee das größte deutsche Konzentrationslager Auschwitz befreiten, wo während der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten rund 1,5 Millionen Menschen umgebracht wurden. Seither wird am 27. Januar mit einem Gedenktag an die Opfer des Holocaust erinnert: Fernsehsendungen und Zeitungsartikel gab es dazu in den letzten Tagen viele. Christel Stoffer fällt es schwer, sich das anzuschauen: „Diese Bilder sind so schrecklich, ich kann mir das nicht alles ansehen“, erzählt sie.

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Hugo Höltermann aus Bochum starb 1944 im KZ Ravensbrück

Denn die 77-jährige Seniorin aus Stiepel ist persönlich betroffen: Ihr Großvater Hugo Höltermann, den sie selber nie kennenlernte, war einer von geschätzt etwa 28.000 Häftlingen, die im KZ Ravensbrück nördlich von Berlin ums Leben kamen. Am 27. Oktober 1944 soll er dort gestorben sein, wie Dokumente nahelegen, die Christel Stoffer in einem alten Küchenschrank gefunden hat. Welches Martyrium ihr Opa dort in den Jahren zuvor erlebt haben muss, ist heute nur schwer zu rekonstruieren: „Alles, was von ihm geblieben ist, sind ein paar Briefe, die er aus der Gefangenschaft geschrieben hat“, sagt sie. „Darin behauptet er immer, es gehe ihm gut.“ Ob das die Wahrheit war, darf bezweifelt werden: „Die Post der Häftlinge wurde damals genau gelesen und kontrolliert.“

Christel Stoffer (77) hat die Lebensgeschichte ihres Großvaters Hugo Höltermann recherchiert. Sie fand zahlreiche Briefe und Unterlage nach dem Tod ihrer Mutter in einem Küchenschrank.
Christel Stoffer (77) hat die Lebensgeschichte ihres Großvaters Hugo Höltermann recherchiert. Sie fand zahlreiche Briefe und Unterlage nach dem Tod ihrer Mutter in einem Küchenschrank. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Dass Christel Stoffer heute überhaupt so viel über ihren Großvater weiß, ist ein großer Zufall. Die Briefe und andere Unterlagen wie die Sterbeurkunde fand sie nach dem Tod ihrer Mutter in einem Karton im Küchenschrank. „Ich wusste wohl, dass dort alte Papiere lagen, aber nicht genau, was drin stand“, erzählt sie. Vieles war auch nur schwer zu entziffern, denn die handgeschriebenen Briefe wurden allesamt in Sütterlin verfasst, was heute nicht mehr viele lesen können. Ihre Freundin Eva Schönwald ließ die Briefe dann übersetzen.

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Stolperstein soll an Höltermanns Schicksal erinnern

Das Schicksal von Hugo Höltermann, das sich dabei offenbarte, lässt schaudern. Mit seiner Frau Lina Gruenendick lebte er auf der Gräfin-Imma-Straße, beide heirateten im Mai 1909. Höltermann arbeitete offenbar im Bergbau: „Wo genau, das habe ich nie erfahren“, sagt Christel Stoffer. „Darüber wurde in unserer Familie nicht gesprochen.“

Aus dem KZ heraus verfasste Hugo Höltermann an seine Familie einige Briefe.
Aus dem KZ heraus verfasste Hugo Höltermann an seine Familie einige Briefe. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Weil Höltermann der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehörte, wurde er am 5. Juni 1938 „in Schutzhaft“ genommen, wie es heißt. Denn was nicht jeder weiß: Die Zeugen Jehovas wurden im Dritten Reich vom NS-Regime verfolgt, ihre Organisation wurde verboten. Am 12. Oktober 1938 verurteilte das Sondergericht Dortmund Höltermann wegen verbotener „Bibelforschertätigkeit“ zu anderthalb Jahren Gefängnis.

„Ich hoffe auch, dass die Zeit kommen wird, wo ich wieder bei euch sein kann. Geben wir alles in Gottes Hand.“

Hugo Höltermann in einem Brief aus dem KZ Ravensbrück

Nach der Haftentlassung Ende 1939 war er in insgesamt drei Konzentrationslagern interniert: zunächst in Sachenhausen, dann in Niederhagen und zuletzt ab April 1943 in Ravensbrück, wo er im Alter von 60 Jahren starb. „Offenbar wurde er erschlagen“, hat Eva Schönwald herausgefunden. Die Briefe, die er von dort regelmäßig schrieb, geben nur bedingt Auskunft über seinen körperlichen und seelischen Zustand: „Ich hoffe auch, dass die Zeit kommen wird, wo ich wieder bei euch sein kann“, schrieb er einmal. „Geben wir alles in Gottes Hand. In der Hoffnung auf mein baldiges Wiedersehen.“ Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Den letzten Brief schrieb er drei Wochen vor seinem Tod: „Da hatte er schon keine Kraft mehr.“

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All dies im Nachhinein zu erfahren und darüber zu lesen, ist für Christel Stoffer ein schmerzhafter, aber auch wichtiger Prozess. „Diese Zeit darf nicht in Vergessenheit geraten“, sagt sie. Ein Stolperstein, der voraussichtlich 2026 verlegt wird, soll auf der Gräfin-Imma-Straße an Hugo Höltermanns Schicksal erinnern.

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