Bochum. Per Mail haben Bochums Schulen erfahren, dass es vor der Wahl keine Podiumsdiskussionen geben soll. Dann ruderte das Land zurück. Was war da los?
Verunsicherung an den Schulen in Bochum: Anfang Januar haben sie eine Mail bekommen, in der stand, dass es vor der Wahl ein sechswöchiges sogenanntes Abstandsgebot für politische Veranstaltungen gibt. Mindestens ein Gymnasium sagte daraufhin eine Podiumsdiskussion ab. Dann ruderte das Schulministerium auf einmal zurück. Der Ärger ist nun groß.
Dafür hagelt es aus Bochum Kritik. „Die Mail von Schulministerin Feller war völlig kontraproduktiv“, sagt Léon Beck, Bundestagskandidat und Kreisvorsitzender der FDP Bochum, der in einer Pressemitteilung auf das Thema hinweist. Er sei zu einer Diskussion am Hellweg-Gymnasium eingeladen worden, habe dann von der Absage erfahren. Das Hin und Her habe zu einer großen Verunsicherung in den Schulen beigetragen.
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Heftige Kritik: Schulministerium rudert zurück
Zum Hintergrund: Schon seit zehn Jahren sei es gelebte Praxis, dass das Ministerium für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen die Bezirksregierungen vor Wahlen bittet, die Schulen auf das Neutralitätsgebot und das Abstandsgebot vor Wahlen hinzuweisen, erklärt ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion. So sei es auch in diesem Jahr gewesen. In der ersten Mail hieß es Medienberichten zufolge jedoch auch, dass das Abstandsgebot „trotz der Kurzfristigkeit der Wahl zu beachten“ sei. Nach heftiger Kritik relativierte das Schulministerium die Aussage in der Mail dann.
Gegenüber unserer Redaktion hieß es am Donnerstag: „Dieses Abstandsgebot beinhaltet keine starre Grenze, sondern soll darauf hinwirken, dass die Schulen rund sechs Wochen vor einer Wahl jeglichen Anschein einer politischen Einflussnahme auf Schülerinnen und Schüler vermeiden“, so ein Sprecher. Dies bedeutet lediglich eine Empfehlung zur Zurückhaltung und ausdrücklich kein Verbot beispielsweise für Podiumsdiskussionen, die den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien wahren und ein breites Meinungsspektrum abbilden. „Das Schulministerium begrüßt ausdrücklich, dass sich junge Menschen auch in der Schule intensiv mit der bevorstehenden Bundestagswahl auseinandersetzen.“
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Hellweg-Gymnasium sagte Podiumsdiskussion ab
Das kam bei Schulen wie dem Hellweg-Gymnasium jedoch anders an. Auf Anfrage dieser Redaktion äußert sich der kommissarische Schulleiter Timm Jakat nicht dazu, ob die Diskussion nun doch stattfinden wird. Das sei derzeit in Klärung mit der Bezirksregierung in Arnsberg.
Grünen-Kandidat Max Lucks erklärt: „Eine Schule, mit der wir in Kontakt stehen, hat mit viel Mühe und Engagement bereits eine Podiumsdiskussion organisiert, sie dann abgesagt, um dann zu erfahren, dass sie doch stattfinden kann.“ Das habe zu einem erheblichen Mehraufwand bei Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften geführt, die die Veranstaltung in ihrer Freizeit organisieren. „Wir sind sehr unzufrieden über das Missverständnis in Bezug auf Veranstaltungen zur Bundestagswahl an Schulen. Dies hat zu vielen Fragen und organisatorischen Schwierigkeiten an den Schulen, aber auch bei uns geführt“, sagt Lucks.
Der Erlass des Ministeriums für Schule und Bildung besage, dass bis sechs Wochen vor der Wahl keine Veranstaltungen stattfinden sollen, die politische Einflussnahme auf die Schülerinnen und Schüler. „Podiumsdiskussionen, die der Demokratieförderung und der politischen Bildung dienen, waren zwar zu keinem Zeitpunkt verboten, dies ist aber leider sehr missverständlich kommuniziert worden“, so der Grünen-Kandidat weiter.
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SPD-Chef Serdar Yüksel äußert sich deutlich: „Das kurzzeitige Verbot würde ich als kleinen Skandal bezeichnen. Wahlentscheidungen setzen eine politische Willensbildung voraus. Dazu ist es sinnvoll, oder sogar notwendig, sich auszutauschen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Wo könnten solche Gespräche mit jungen Menschen besser stattfinden als dort, wo sie sich sowieso aufhalten: in der Schule.“ Politische Bildung in Schulen zu reduzieren, sie unseriösen Quellen wie den sozialen Medien zu überlassen, sei fahrlässig.
Auch die AfD hält die Podiumsdiskussion für wichtig. „Diese sind wichtig, damit die Schüler sich eine eigene, ungefilterte Meinung bilden können. Anscheinend hat die Landesregierung Angst vor einem neutralen politischen Diskurs. Ob es daran liegt, dass bei der letzten Wahl besonders viele Jugendliche ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben, können wir nur vermuten“, sagt Christian Loose.
Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler, sich über Politik zu informieren
Auch Léon Beck (FDP) sagt: „Wir leben in politisierten und polarisierten Zeiten. Da sollte man Schulen nicht zurückpfeifen, wenn sie ihren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit eröffnen wollen, sich direkt und ausgewogen über die Bundestagswahl zu informieren.“
Andere Parteien kritisieren die Mail des Schulministeriums ebenfalls: „Das kurzzeitige Verbot durch das Schulministerium halten wir für außerordentlich dümmlich“, sagt Bernhard Koolen, Kreissprecher der Linken. Damit falle man Schülerinnen und Schülern sowie ihren Lehrkräften in den Rücken, die sich wochenlang auf solche Veranstaltungen vorbereiten. „Wer einmal erlebt hat, mit welcher Ernsthaftigkeit und Leidenschaft hier diskutiert wird, kann über solchen behördlichen Unfug nur den Kopf schütteln“, so Koolen. Christoph Schweitzer von der MLPD in Bochum erklärt: „Im Gegensatz zur Schulministerin haben wir Vertrauen in die Jugend. Und sind unbedingt für politische Veranstaltungen an Schulen.“
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Die CDU hat die Anfrage unserer Redaktion bisher nicht beantwortet.