Bochum/Hattingen/Witten. Vor dem Landgericht begann der Prozess gegen vier Angeklagte. Es geht um mutmaßlichen Abrechnungsbetrug und Untreue in Millionenhöhe.

Die Vorwürfe, die Staatsanwalt Jörg Maleck am Freitag (18.) rund 80 Minuten lang vor dem Bochumer Landgericht vorträgt, erinnern teilweise an organisierte Kriminalität und an abgebrühte Selbstbedienungsmentalität. Auf der Anklagebank sitzt unter anderem ein 68-jähriger Bochumer Arzt, der viele Jahre lang in leitender Stellung bei einem großen Bochumer Pflegedienst mit Außenstelle in Hattingen und bei medizinischen Zentren in Bochum beschäftigt war. Die Anklage wirft ihm Untreue und Betrug vor mit einem „Vermögensverlust großen Ausmaßes“: Der Gesamtschaden soll mehr als drei Millionen Euro betragen.

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Seit 2019 hatte die Bochumer Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in diesem sehr komplexen Fall ermittelt. Anlass war die Strafanzeige eines Zeugen. Es folgten mehrere Durchsuchungen in den Pflegebetrieben.

Auch eine Pflegekraft in leitender Stellung ist angeklagt

Dem Arzt, dem Hauptangeklagten, ist die Last der Vorwürfe, die auf ihm liegt, zumindest äußerlich nicht anzumerken. Er wirkt sehr gefasst. Damals war er in dem Unternehmen, das in mehrere Einzelbetriebe unterteilt war, in exponierter Stellung im operativen Geschäft tätig. Neben ihm sitzt eine 58-jährige Wittenerin, die im Tatzeitraum im Pflegebereich eine leitende Funktion hatte. Außerdem sind eine frühere Bochumer Sachbearbeiterin (65) des Pflegeunternehmens und eine 46-jährige Bochumerin, eine Bekannte des Arztes, angeklagt.

Die 10. Strafkammer des Landgerichts Bochum
Die 10. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bochum. In der Mitte der Vorsitzende Richter Julian Möllers. © Bernd Kiesewetter

Vorwurf: „sich selbst eine dauerhafte Einnahmequelle von größerem Umfang“ gesichert

Die insgesamt zwei Anklagen umfassen drei verschiedene Tatkomplexe.

  1. Es sollen zwischen 2012 und 2022 mindestens 15 Scheinarbeitsverträge mit Beschäftigten des Unternehmens (darunter die 65-Jährige) und der jetzt angeklagten 46-Jährigen geschlossen worden sein. Dem Vertrag habe gar keine Leistung zugrunde gelegen, geflossen sei das Gehalt aber trotzdem. Laut Anklage sei es von den Schein-Beschäftigten in bar von ihrem Konto abgeholt worden und dem Arzt zur persönlichen Verwendung übergeben worden. Einmal soll der Arzt so einen Vertrag als „Abschiedsgeschenk“ für eine langjährige Kollegin zu ihrem Ruhestand organisiert haben.
    Um 1,15 Millionen Euro soll das Unternehmen auf diese Weise geschädigt worden sein. Der Arzt und die 58-jährige Pflegefachkraft hätten für dieses Geld ein gemeinsames privates Giro- und Sparkonto angelegt. Ziel sei gewesen, der Firma „systematisch Kapital zu eigenen Zwecken zu entziehen“ und „sich selbst eine dauerhafte Einnahmequelle von größerem Umfang“ zu sichern, so Ankläger Maleck.
  2. Die zweite mutmaßliche Masche: Pflegekunden sollen an eine polnische Pflegefirma vermittelt worden sein. Die dafür gezahlten Provisionen seien aber laut Anklage auf ein privates Konto des Arztes geflossen, nicht auf das Konto seines Pflegedienstes. Mutmaßliche Beute: rund 200.000 Euro.
  3. Im dritten Tatkomplex geht es um Abrechnungsbetrug zu Lasten von Krankenkassen. Der Arzt und die mitangeklagte 58-Jährige sollen zwischen 2016 und 2021 Leistungen zu einem Preis abgerechnet haben, als sei spezielles Fachpersonal wie zum Beispiel examinierte Altenpflegerinnen oder -pfleger im Einsatz gewesen. Tatsächlich soll aber nicht ausreichend qualifiziertes Personal die Arbeit erledigt haben – oder auch gar keine Leistung erbracht worden sein. Dem von den Strafverfolgern errechneten Schaden in Höhe von 1,7 Millionen Euro liegen rund 130.000 abgerechnete Hausbesuche zur Grunde. Es handle sich um eine „Mindestschadensberechnung“, so Maleck.

Vergleich vor dem Arbeitsgericht geschlossen

Im Vorfeld des Prozesses gab es zwischen dem Gericht, dem Staatsanwalt und den Verteidigern bereits ein „Rechtsgespräch“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dort wurden die jeweiligen Positionen ausgetauscht, aber keine „Verständigungen“, wie die Juristen einen Deal nennen, erzielt.

Bekannt wurde aber, dass der angeklagte Arzt und das Pflege-Unternehmen bereits einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht abgeschlossen haben. Darin wurde ein Schadensersatz vereinbart. Die Staatsanwaltschaft hat das dafür erforderliche Geld aber nach einer Sicherstellung von Konten noch eingefroren.

Das Gericht hat elf weitere Sitzungstermine bis 18. Dezember festgesetzt.

Zum Prozessauftakt vor der 10. Wirtschaftsstrafkammer hat sich nur die am wenigsten belastete Angeklagte (46) geäußert. Die Physiotherapeutin aus Bochum räumte den Vorwurf, ein Scheinarbeitsverhältnis abgeschlossen zu haben, ein. Ihr Fall wird gegen eine Schadenserstattung im unteren fünfstelligen Euro-Bereich wohl eingestellt.

Die anderen drei Angeklagten haben sich noch nicht zu der Anklage geäußert. Für Staatsanwalt Maleck steht bei dem angeklagten Arzt eine Haftstrafe ohne Bewährung im Raum.

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