Bochum. 1975 hat Ulrich Schneider seine Lehre als Vulkaniseur bei Reifen Seyfert in Bochum begonnen. Im Sommer 2024 macht er Schluss – fast zumindest.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist im Juli 2024 erschienen. Zum Jahresende blicken wir noch einmal zurück.
Blauer Overall, Schirmmütze, freundliches Lächeln und ein kräftiger Handschlag. Der Mann strahlt gute Laune und Tatkraft aus. Und das nach 49 Jahren Arbeitsleben – und immer im gleichen Betrieb. Am 2. September 1975 hat Ulrich Schneider seine Lehre als Vulkaniseur bei Reifen Seyfert in Bochum-Weitmar begonnen. Nächsten Mittwoch ist seine letzte Schicht.
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64-jähriger Bochumer geht nach 49 Jahren in den Ruhestand
Wehmut? Ach wo. Erst einmal gehe es noch darum, seine Aufgaben ordentlich zu erfüllen. Seit knapp 20 Jahren ist der 64-jährige Bochumer bei dem Traditionsbetrieb an der Hattinger Straße für die Lkw-Reifen zuständig. Er beliefert die Kunden, vor allem Speditionen, mit neuen Reifen, holt Altreifen ab und kümmert sich um deren Runderneuerung bei einem Dienstleister oder beim Reifenhersteller und erledigt außerdem Reparaturen. „Solche spezielle Reifenreparaturen, wie wir das machen, macht heute keiner mehr in Bochum“, sagt Ulrich Schneider.
Das liege daran, dass nicht mehr viele Betriebe die Fachkompetenz dafur haben. Und auch nicht die technische Ausrüstung. „Man braucht dazu u.a. einen Autoklaven. Und den schafft sich niemand mehr an“, erklärt Schneiders Chef Andreas Grund, der Inhaber von Reifen Seyfert. An der Hattinger Straße wird das Gerät auch nicht mehr so oft genutzt wie früher. 2005 haben sie dort die Runderneuerung von Reifen eingestellt, u.a. weil nach und nach die Aufträge der immer weniger gewordenen Taxi-Unternehmen weggefallen sind. Aber für die Reparatur der großen Rundlinge wird immer noch ein Autoklav benötigt. Grund: „Deshalb pflegen wir den auch sehr und sehen zu, dass er immer auf dem neuesten Stand ist.“
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Die Lkw-Abteilung ist bei Seyfert seit 2005 ein One-Man-Job. Den erledigt Ulrich Schneider. Und das gerne: „Alles muss gut organisiert und abgearbeitet werden“, sagt der 64-Jährige. Das gefällt mir. „Ich mag die Kontinuität, das Gewohnte.“
Auch deshalb hat er sich in den 1980er Jahren dagegen entschieden, zu Thyssenkrupp zu wechseln, als dort die sogenannte Conti-Schicht eingeführt wurde. „Damals hätte ich wechseln und natürlich deutlich mehr verdienen können. Die Arbeit wäre auch sicher leichter gewesen als hier.“ Aber: Wechselschicht ist nicht sein Ding. „Man ist im richtigen Leben doch gar nicht mehr da.“ Und das wollte Ulrich Schneider nicht. Auch wenn er in seinem Job ganz schön zupacken muss. „70 bis 75 Kilo wiegt ein Lkw-Reifen, ich selber wiege 69“, sagt er. „Man muss wissen, wie man die anfasst. Wenn man das oft genug falsch macht, wird der Orthopäde irgendwann sagen, dass es das war.“
Nächste Woche fängt für ihn ein neuer Lebensabschnitt an. Aber eigentlich ist es mehr ein gleitender Übergang. Denn: Er übernimmt einen Minijob bei Seyert. 20 Stunden im Monat. Sein Chef hätte ihn gerne auch weiter halbtags beschäftigt. Aber das hätte sich aus steuerlichen Gründen für seinen langgedienten Mitarbeiter nicht gelohnt.
Mehr Sport treiben und mal sehen, das ist der Plan des künftigen Rentners
Der kann sich jetzt mal überlegen, was er mit seinen neu gewonnenen Freizeit anfangen will. „Da fällt mir schon etwas ein“, sagt er. „Mehr Sport treiben, Schwimmen. Mal sehen, was der Tag so bringt.“ Auch Radfahren will er mehr. „Richtig Radfahren, nicht mit einem E-Bike“, sagt er und zwinkert mit dem Auge. In der Wohnung und im Keller gibt es nichts zu tun. Das hat er während der Corona-Pandemie alles in Schuss gebracht.
Allerdings: Der Ruhestand fängt ohnehin erst einmal mit Arbeit an. „Ich mache die Urlaubsvertretung für meinen Nachfolger“, sagt Ulrich Schneider. Und freut sich darauf.