Bochum. Der Fachkräftemangel ist bekannt. Aber auch die Firmennachfolge ist eines der drängendsten Themen in der Wirtschaft. So sieht eine Lösung aus.

Der Fachkräftemangel gilt als die große Herausforderung der deutschen Wirtschaft. Mindestens ebenso herausfordernd aber ist die Nachfolgeregelung an der Spitze von Firmen – vor allem von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU). Ein Drittel aller Selbstständigen in Nordrhein-Westfalen ist älter als 55 Jahre und ein Viertel älter als 60. Wer rückt für sie nach? Und gibt es überhaupt genügend Nachrücker?

Nicht immer steigen Kinder in die Firma ein – wie bei Fiege und Philipps

In den nächsten sechs Jahren werden allein 265.000 Unternehmen, die den Industrie- und Handelskammern (IHK) angehören, von diesen Fragen betroffen sein – und mit ihnen 1,5 Millionen Beschäftigte. Sie brauchen Chefs, um ihre Jobs zu behalten.

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Vor allem Familienbetriebe sind betroffen. Wenn es gut läuft, übernehmen Kinder die Leitung, wie etwa bei einigen Bochumer Traditionsunternehmen, dem Kupplungshersteller Reich, der Privatbrauerei Moritz Fiege und dem Sanitärunternehmen Philipps. Gibt es keine Kinder oder schlagen sie andere berufliche Wege ein, geht die Suche los. Und die kann ganz schön lange dauern. Denn Schlangen bilden sich in der Regel nicht vor den Türen der Betriebsinhaber.

Den „Papierkram“ hat der neue Chef unterschätzt

Da ist jemand wie Andreas Grund geradezu ein Glücksgriff. Der 44-Jährige hat vor knapp zwei Jahren die Reifen Seyfert GmbH in Weitmar-Mitte übernommen, eine fast 100 Jahre alte Firma mit zehn Beschäftigten.„Wenn ich das gewusst hätte…“, beginnt der Kfz-Meister während unseres Gesprächs einen Satz. Der allerdings mündet nicht mit der Endung, „…dann hätte ich das nie gemacht“.

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Bereut habe er den Schritt in die Selbstständigkeit überhaupt nicht, sagt er. Schließlich habe sich das erfüllt, was er sich zuallererst von einer eigenen Firma versprochen hat: Er gibt die Richtung vor und trifft die Entscheidungen. Dass damit viel Verantwortung und finanzielle Risiken verbunden sind, schreckt Grund nicht.

Nachfolge-Konferenz am 9. März im Ruhrstadion

Für potenzielle „Übernehmer“ stehen die Chancen nach Einschätzung der Handwerkskammer (HWK) Dortmund gerade richtig gut: „In NRW suchen zahlreiche Handwerksbetriebe eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger.“ Die HWK will dabei helfen, u.a. mit einer Nachfolgelotsin. Ihr Ziel ist es, „Übergeber“ für eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema zu sensibilisieren und potenzielle Nachfolger zu gewinnen, einen Nachfolgerpool aufzubauen und beide Gruppen in einem „Match“ zusammenzubringen.

Längst beschäftigt sich auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittleres Ruhrgebiet mit dem Thema. Sie veranstaltet am 9. März im Ruhrstadion die 2. Nachfolge-Konferenz Ruhr – federführend für die Nachfolge Allianz Ruhr. In dieser Allianz sind neben der IHK 18 weitere Partner, darunter die Handwerkskammer Dortmund, Handels- und Arbeitgeberverbände, Wirtschaftsförderungen, Banken und Kreditinstitute, Hochschulen sowie Städte aus dem mittleren Ruhrgebiet organisiert.

450 Teilnehmer haben sich für die Nachfolge-Konferenz bereits angemeldet. Weitere Anmeldungen sind möglich, so die IHK. Die Teilnahme ist kostenlos.

Unterschätzt habe er allerdings, mit wie viel „Papierkram“ das alles verbunden ist. „Ich wollte ja eigentlich auch weiter schrauben. Aber zu 95 Prozent mache ich Büroarbeit“, sagt der neue Chef und gewährt einen zwiespältigen Blick mit einer Mischung aus Humor und Bedauern. Schwierig sei die Umstellung vor allem deshalb gewesen, weil er buchstäblich in eine neue Welt eingetaucht sei: „In der Werkstatt kenne ich mich aus, da macht mir niemand etwas vor. Und im Zweifelsfall kann ich mir Dinge erarbeiten. Im Büro aber habe ich bei null angefangen, ich wusste gar nichts.“

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Vertrauen in eigene Erfahrungen und in ein „tolles Team“

Und doch war er überzeugt davon, das Richtige zu tun, als die Vorbesitzer Dietmar und Gudrun Rose ihn vor dreieinhalb Jahren gefragt, ob er die Firma übernehmen möchte. „Mit 25, ich hatte gerade meinen Meister gemacht und hier angefangen, hatte ich gesagt, ich könnte mir vorstellen, irgendwann den Betrieb zu übernehmen“, erinnert sich Andreas Grund. Viele Jahre war davon überhaupt keine Rede mehr. Und zwischendurch habe er ein, zwei Gelegenheiten verpasst, den Absprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Schnell sei für ihn klar gewesen: Jetzt oder nie.

„Auch deshalb weil ich den Betrieb so gut kenne und mir gedacht habe, da kann eigentlich gar nichts schief gehen. Wir haben ein tolles Team, außerdem kenne ich die Werkstatt, die Arbeitsabläufe und Strukturen und konnte einen großen Stammkundenkreis gleich mit übernehmen.“ Viele gute Gründe für Andreas Grund.

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Ein Tipp für alle Interessierten: Eine gute Vorbereitung ist alles

Er rät jedem, der mit dem Gedanken spielt, ein Unternehmen zu übernehmen: „Bereite dich gut vor und nimm Kontakt zu Fachleuten auf.“

Ob er sich noch einmal so entscheiden würde? „Ja, auf jeden Fall“ – trotz der Zehn- bis Zwölf-Stunden-Arbeitstage, bisweilen kniffliger Entscheidungen und natürlich der Frage, wie er mittelfristig seine eingeschworene und gute Belegschaft ersetzen kann, wenn sie nach und nach in den Ruhestand geht. Und da ist sie dann doch, die andere große Herausforderung: der Fachkräftemangel.