Mülheim. Eine neue Befragung zur Mobilität in Mülheim stellt alte Gewissheiten auf den Kopf. Mehr fahren Rad, weniger Bus. In der Kritik steht das Auto.
Mehr Mülheimerinnen und Mülheimer denn je nutzen das Fahrrad, um in der Stadt voranzukommen: Von vormals vier Prozent stieg ihre Zahl auf zehn – das ergibt eine repräsentative Mobilitätsbefragung, die im vergangenen Jahr erhoben wurde. 1,63 Fahrräder hat ein Haushalt durchschnittlich, mehr als ein Auto (1,22). Am häufigsten steigt man in Broich aufs Rad, am seltensten in der Altstadt 1. Dem Auto droht nicht nur Konkurrenz, die mehr Platz auf der Straße einfordert. Es steht auch aus anderen Gründen auf dem Prüfstand.
Denn der Befragung zufolge werden in der Regel immer noch 59 Prozent aller Wege mit Auto und Motorrad zurückgelegt. Gegenüber 2019 ist das zwar ein Rückgang von zwei Prozentpunkten, doch in den vergangenen 20 Jahren liegt der durchschnittliche Verkehrsanteil des „motorisierten Individualverkehrs“ (MIV) wie Blei auf diesem Level. Und in keiner anderen Nachbarstadt ist sein Anteil höher oder gleich hoch, auch der Landesdurchschnitt liegt mit 57 Prozent, der Bund mit 50 Prozent sogar deutlich niedriger.
Wo man in Mülheim am häufigsten das Auto nutzt
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Die Zuwächse beim Rad gehen also nicht zulasten des Autos. Doch woran liegt’s, dass etwa besonders in Menden-Holthausen (66 Prozent), Heißen (64) und Saarn (65) die „Karre“ am häufigsten genutzt wird? Hingegen in Broich (51 Prozent) oder in der Altstadt 1 (49 Prozent) sie öfter stehen gelassen wird? Was Carsten Voß als Grüner Saarner im Mobilitätsausschuss zur Aussage verleiten ließ, die Saarner seien deswegen „aber keine bösen Menschen – das weiß ich aus Erfahrung“.
Theorien dazu bot die Politik im Mobilitätsausschuss viele. Aus Voß Sicht gelte es, genauer auf die Gründe zu schauen, warum etwa selbst im sogenannten Nahbereich von ein bis zweieinhalb Kilometern bereits überwiegend auf das Auto (43 Prozent) zurückgegriffen werde. Fehle es dort etwa an guten Rad- und Fußwegen? Oder an nahen Supermärkten, wie Voß vermutet. Bemerkenswert ist zumindest, dass gut 20 Prozent durchaus vom Auto aufs Fahrrad umstiegen, wenn die Radwege besser wären.
Und rund 27 Prozent ließen ihren Wagen stehen, wenn der ÖPNV ein besseres Angebot hätte, 26 Prozent dann, wenn der Nahverkehr günstiger wäre. Für Axel Hercher (Grüne) stellte sich angesichts dessen die Frage, warum dann der Anteil des Autoverkehrs selbst nach Essen mit 73 Prozent so hoch sei, obwohl dorthin mit der S-Bahn und den Straßenbahnen gute ÖPNV-Verbindungen bestehen?
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Geht’s jetzt dem Auto an den Kragen?
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Welche Formen der Fortbewegung sollen daher künftig in Mülheim vorangebracht werden, und welche möglicherweise beschnitten? Die notwendige öffentliche Debatte schlägt schärfere Töne an, Voß etwa erinnerte daran, dass die Politik vor zwei Jahren den „Klimanotstand“ festgestellt habe, „wir müssen darauf reagieren“. Aus seiner Sicht etwa mit „Verkehrsvermeidung“.
Für den Umwelt- und Städteplanungsdezernenten Felix Blasch liegen die „negativen Auswirkungen“ des hohen motorisierten Individualverkehrs auf der Hand – „das müssen wir angehen. Wir haben zurzeit eben nicht überall schadstoffarme E-Fahrzeuge“. Das ,Wie’ aber, lässt Blasch derzeit noch offen. Nur soviel gab er Preis: Man arbeite daran, Verkehrsmittel zu den Zentren in der Stadt zu stärken. Welche, das müsse man jeweils stadtteilbezogen sehen.
Die Diskussion im Mobilitätsausschuss machte dennoch deutlich: Die bedingungslose Wahlfreiheit, wie sie etwa Peter Beitz von der FDP vertrat, mit dem Auto jederzeit schnell und überall hinfahren zu können, steht dabei mit auf dem Prüfstand. „Das Auto ist ein ,Stehzeug’ an 23 Stunden pro Tag – und meistens steht es im Weg“, konterte Axel Hercher (Grüne) den Unternehmensberater Beitz: Kein Unternehmer würde in Maschinen investieren, die zu 90 Prozent ungenutzt rumstehen, „das ist unökonomisch“.
Fahrrad und der Busverkehr
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In Mülheim könnte sich deshalb der Verkehr deutlicher als bisher umkrempeln: Andreas Preker-Frank (Die Partei) forderte, den starken Zuwachs beim Radverkehr nun verkehrspolitisch zu stützen mit mehr Radwegen. Der dafür notwendige Platz müsste am Ende dem Autoverkehr abgeknapst werden. Festlegen hingegen wollte sich die CDU nicht: „Das Auto hat viele Aspekte, nicht nur ökonomische“, wendete Sprecher Siegfried Rauhut ein. Man müsse aber für die Nahmobilität ein entsprechendes Angebot machen.
Für Carsten Trojahn (SPD) stellte sich indes die Frage der Auswirkung dieser Befragung auf den soeben erst beschlossenen neuen Nahverkehrsplan: Denn zum einen ist gerade der Anteil der Bus- und Bahnnutzer von 19 auf nur noch 16 Prozent gesunken. Und zum anderen zeigt sich im Detail, dass unter den Nutzern gerade der Schienenverkehr den größten Anteil hat. Die Schiene baut man in Mülheim jedoch ab, auch beim Busverkehr spare man ein, skizzierte Trojahn und fragt sich, wie wohl die Evaluation des ab Sommer beginnenden neuen Nahverkehrs in gut zwei Jahren ausfallen werde.
Die politische Bewertung der Mobilitätsbefragung wird dieses Jahr wohl deutlich prägen. Was die Debatte erleichtern könnte, zeichnete sich in der Befragung ebenso ab: Trotz hohem Verkehrsanteil gaben gerade einmal 35 Prozent der Befragten an, auf das Auto nicht verzichten zu können.