Mülheim. Weniger Emission, mehr Platz für Fußgänger und Gastro: Mülheimer „Partei“ fordert autofreie Straße in der Innenstadt. Der Widerstand ist groß.

Auf der Straße spielen ungestört die Kinder, auf dem Parkplatz am Kohlenkamp trinken die Gäste der umliegenden Gaststätten ihren Kaffee und genießen den Blick auf die Petrikirche. Kein Autolärm, kein Bolide bremst die Flaneure zwischen Altstadt und Schloßstraße aus. So idyllisch stellt sich Andreas Preker-Frank (Die Partei, Verschönerungsklub) die autofreie Innenstadt vor. An der Bachstraße sollte der Traum seinen Anfang nehmen. Warum der Testballon platzte?

Das ist nicht so einfach zu beantworten: Von der Gastronomie an Bachstraße und Kohlenkamp, aber auch von jenen am Siegfried-Reda-Platz will der ehrenamtliche Verschönerer ein „Daumen hoch“ bekommen haben. „Die Betreiber begrüßen es zu 99 Prozent“, gab Preker-Frank in der Bezirksvertretung 1 an, von wo aus die „Transformation der Innenstadt“ zur „lebens- und liebenswerten City“ ihren Lauf nehmen sollte.

Was für weniger Autoverkehr in Mülheims Innenstadt spricht

Auch interessant

Ab kommenden Mai und nur für ein Jahr schlägt dieser vor, die Nebenstraße zwischen Leineweber- und Friedrich-Ebert-Straße für das Auto zu sperren. „Sie stellt keine wichtige Verbindung für den Autoverkehr dar“, begründet Preker-Frank seinen Versuchsballon. Dafür gebe es viel zu gewinnen: weniger CO2 und Feinstaub, Lärm, dafür mehr Raum für Feste, Fußgänger, Fahrradfahrer und Außengastronomie.

Beispiele, wenn auch nur gebietsweise, gibt es längst: im niederländischen Houten, in Ljubljana, in den Superblocks von Barcelona, tageweise in Paris. Auf einigen deutschen Nordseeinseln wird es akzeptiert, dass das Auto auf dem Festland zurückbleibt. Kein Ding.

Dass des Deutschen liebstes Kind zu viel Platz in den Städten einnimmt, der dem sozialen Raum fehlt, ist beileibe keine neue These. Auch nicht neu: die klimatischen Folgen des Verkehrs. „Wir müssen angesichts der Klimakrise umsteuern“, fordert etwa der Mobilitätsforscher Thorsten Koska (Wuppertaler Institut für Umwelt). Denn gerade im Verkehrssektor sinken die Emissionen gegenüber anderen Bereichen kaum – sie steigen sogar.

Der Parkplatz am Kohlenkamp: Für Preker-Frank ist der Blick auf die Petrikirche dafür viel zu schön, um ihn nur zum Abstellen von Fahrzeugen zu nutzen.
Der Parkplatz am Kohlenkamp: Für Preker-Frank ist der Blick auf die Petrikirche dafür viel zu schön, um ihn nur zum Abstellen von Fahrzeugen zu nutzen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

So ist die Auto-Realität in Mülheim

Auch interessant

Auch in Mülheim, wo die Emissionen im Verkehr seit 30 Jahren weder absolut noch im Vergleich zu anderen Sektoren keinen Deut abgenommen haben (1990: 361.269 Tonnen CO2, 2019: 359.366). Dabei müssten sie sich wohl nahezu halbieren, glauben Klima- und Verkehrsexperten.

Die Zeichen in der Ruhrstadt stehen aktuell jedoch anders: Gerade einmal 17 Prozent der Haushalte haben keinen privaten Pkw, dafür besitzt rund ein Drittel mehr als einen. Die Quote liegt bei 1,22 Pkw pro Haushalt. So besagt es eine neue Umfrage zum Mobilitätsverhalten im Auftrag der Stadt. Dabei ist die Quote der Fahrräder übrigens größer: Sie liegt bei 1,6 Rädern pro Haushalt.

Kaum Veränderungen im Mülheimer Mobilitätsverhalten

Im Verkehrsaufkommen – dem Modal Split – allerdings spiegelt sich das kaum wider: Mit 59 Prozent hält das Auto den höchsten Anteil am Verkehr, nur zehn Prozent das Fahrrad. Die Zugewinne beim Rad von vier auf zehn Prozent sind in der Hauptsache vom Nahverkehr (16 Prozent, minus drei Punkte) und Fußverkehr (15 Prozent, minus ein Punkt) abgewandert.

Denn was das Auto anbelangt, hat sich in der Stadt in den vergangenen 20 Jahren kaum etwas verändert: Es liegt wie Blei in der Kurve. Keine Nachbarstadt hat einen höheren Pkw-Anteil am Verkehr und auch der Landesdurchschnitt hält mit 57 Prozent leichten Abstand. Das Potenzial für Veränderung im Mobilitätsverhalten ist also hier am höchsten. Allerdings damit auch das Potenzial für Widerstände.

Was gegen autofreie Straßen spricht – die Politik

Auch interessant

Und die zeigten sich erneut in der Bezirksvertretung: Hansgeorg Schiemer (CDU) kritisierte eine temporäre autofreie Bachstraße als „Schnellschuss“ und bemängelte, dass es im Vorfeld keine Bürgerbefragung dazu gegeben habe. Er habe „andere Stimmungen“ im Umfeld wahrgenommen. Man solle hier „behutsam vorangehen“, eine „autofeindliche Aktion“ lehne die CDU ab.

Die Genossen schlossen sich an, „obwohl wir viel Sympathie für den Vorschlag haben“, begründete der SPD-BV-Fraktionsvorsitzende Oskar Obarowski die Ablehnung. Doch gibt es nach seiner Sicht „viele Schattierungen“ zwischen autofrei und einem reduzierten Verkehr. Die MBI kritisierten, dass eine Park-Lösung für die Anwohner fehle. Für die FDP indes wäre die autofreie Bachstraße dann machbar, wenn man dagegen auf der Leineweberstraße einen Zweirichtungs-Autoverkehr einführte.

Vorbild für die ganze Bachstraße könnte der Siegfried-Reda-Platz sein. Hier hat man es geschafft, die Autos weitestgehend fernzuhalten. Das bietet mehr Fläche fürs Schlendern und Verweilen.
Vorbild für die ganze Bachstraße könnte der Siegfried-Reda-Platz sein. Hier hat man es geschafft, die Autos weitestgehend fernzuhalten. Das bietet mehr Fläche fürs Schlendern und Verweilen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Eine Brücke bauen wollte hingegen die Grüne Bezirksbürgermeisterin Britta Stalleicken, die vorschlug, die Verwaltung möge die Umsetzung prüfen, um dann einen parteiübergreifenden Vorschlag zu machen. Preker-Frank aber sah den „Prüfauftrag“ damit erfüllt, dass die Einschränkung schließlich nur für ein Jahr gelten sollte und während dieser Phase geprüft werden könne. Danach könne man entscheiden, ob man die Bachstraße autofrei lasse oder nicht.

Am Ende drängte Preker-Frank auf Abstimmung mit bekanntem Ergebnis: Die autofreie Stadt – wenn auch nur für eine Nebenstraße – lässt in Mülheim weiter auf sich warten.