Mülheim. Wie eine 1935 verschickte Postkarte nach über 80 Jahren zu dem richtigen Mülheimer fand. Und den Sohn eines gefallenen Soldaten glücklich machte.
Eine alte Postkarte aus dem Jahr 1935 verbindet den 1940 geborenen Speldorfer Horst Stachelhaus mit seinem 1941 in Russland gefallenen Vater Willi, den er selbst nicht mehr kennenlernen konnte. Die Postkarte, die sein Vater an die Eltern in Mülheim schickte, wurde Horst Stachelhaus jetzt vom ehemaligen FDP-Bezirksvertreter Wolf Rüdiger Deichsel-Otterbeck überreicht.
Der Gruß des jungen Gefreiten Willi Stachelhaus aus dem Truppenübungslager in Munster teilt den Eltern Willi und Maria Stachelhaus seine Ankunft auf dem Truppenübungsgelände in der Lüneburger Heide und seine dortige Postanschrift mit. Er lässt seine Eltern auch wissen, dass er „nicht den besten Eindruck von dem Truppenübungsplatz“ habe. Deichsel-Otterbeck berichtet, wie es zu dem ungewöhnlichen Post-Umweg kam: „Ich weiß gar nicht, wie die Postkarte aus dem Jahr 1935 in meinen Besitz gekommen ist. Auf einmal war sie da. Es könnte sein, dass es eine Verbindung zwischen der Familie Stachelhaus und meinen Schwiegereltern Otterbeck gegeben hat. Ich weiß, dass mein Schwiegervater Briefmarken gesammelt hat.“
Im Mülheimer Telefonbuch nach der Familie Stachelhaus gesucht
Doch das sei eigentlich kein hinreichender Grund dafür, dass dem Schwiegervater diese Postkarte vielleicht irgendwann von der Familie Stachelhaus geschenkt worden ist, meint Wolf Rüdiger Deichsel-Otterbeck. „Denn die 1935 von Willi Stachelhaus aufgeklebte 6-Pfennig-Briefmarke mit dem Porträt des 1934 verstorbenen Generalfeldmarschalles und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg war zur damaligen Reichspost-Zeit eine ganz normale Briefmarke und keine Rarität.
Eigentlich wollte ich die Postkarte an einem Freund schicken, der heute in Munster lebt und ihn fragen, ob sich seine Eindrücke mit denen des jungen Gefreiten Willi Stachelhaus überschneiden“, berichtet der ehemalige FDP-Bezirksvertreter und erzählt weiter: „Doch dann kam mir die Idee, dass es in Mülheim eine Familie Stachelhaus geben könnte, die vielleicht an diesem Erinnerungsstück eines Angehörigen interessiert sein könnte. Deshalb habe ich mir alle Rufnummern notiert, die unter dem Namen Stachelhaus im örtlichen Telefonbuch eingetragen sind. Und bei der Nummer neun von zwölf wurde ich fündig und traf auf Horst Stachelhaus, der mir sofort von seinem Vater erzählte.“
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Und Horst Stachelhaus sagt angesichts des ihm unverhofft geschenkten Poststück aus seiner Familiengeschichte: „Das ist ein sehr bewegender Moment für mich. Denn ich halte jetzt eine Postkarte in Händen, die mein Vater geschrieben, frankiert und abgeschickt hat. Ich habe nur wenige Erinnerungsstücke an meinen Vater, etwa ein Bild, das ihn als jungen Leutnant der Wehrmacht zeigt und seinen Offiziersdolch.“ Der Dolch und das Foto sowie einige andere Habseligkeiten hat ein Wehrmachtskamerad seines Vaters der Mutter überbracht.
Dieser Kamerad war Heinz Land, den seine Mutter Berta Schneider 1947 heiraten sollte. „Obwohl Heinz Land nicht mein leiblicher Vater war“, erklärt Horst Stachelhaus, „habe ich immer ein gutes Verhältnis zu ihm gehabt und habe ihn auch als meinen faktischen Vater akzeptiert. Über meinen leiblichen Vater wurde nach dem Krieg nur wenig gesprochen. Meine Mutter hat mir nur immer wieder versichert, dass ich aussehe, als sei ich ihm aus dem Gesicht geschnitten.“
Großvater Stachelhaus bewirtschaftete das Alte Schifferhaus
Die Postkarte des am 1. Oktober 1941 In Russland gefallenen Vaters erreichte seine Eltern Willi und Maria 1935 an ihrer damaligen Adresse, der Löhstraße 76. Hier befand sich das Alte Schifferhaus, das seit 1936 von Willi und Maria Stachelhaus gastronomisch bewirtschaftet wurde. Davor hatte sein Großvater bereits die Gaststätten Flieg an der Aktienstraße und Haus Wehner an der Eppinghofer Straße als Gastwirt geführt. Wer sich mit Horst Stachelhaus, mit dem 1930 geborenen Mülheimer Hans Meinolf und mit dem Heimatforscher Bernd Simmerock über das Alte Schifferhaus unterhält, erfährt, dass es bereits 1861 von Johannes Bovermann eröffnet wurde und über einen großen Veranstaltungssaal verfügte, in dem getanzt und gefeiert, aber auch geboxt und gerungen sowie politisch debattiert wurde. 1989 begann mit dem Einzug des Jazzclubs, dem der Starclub folgen sollte, die musikalische Ära des Alten Schifferhauses.
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Horst Stachelhaus betrachtet liebevoll ein Foto aus dem Jahr 1949. Es zeigt ihn mit seinem Großvater Wilhelm bei einer Nikolausfeier. „Er hat den Tod seines Sohnes nie verwunden und freute sich immer ungemein, wenn ich ihn in seiner Gaststätte besucht habe“, erinnert sich der Enkel. Beim Gespräch über die Geschichte der historischen Postkarte aus dem Truppenübungsstandort Munster zeigen sich weitere Gemeinsamkeiten zwischen Stachelhaus und Deichsel-Otterbeck.
Die Väter von Horst Stachelhaus und Wolf Rüdiger Deichsel-Otterbeck traten im selben Jahr in damalige Reichswehr ein
Beider Väter sind im Jahr der Machtübernahme Hitlers 1933 in die damalige Reichswehr eingetreten. Damals war die deutsche Armee durch den Versailler Friedensvertrag von 1919 auf 100.000 Mann begrenzt. Doch Hitler wollte den Revanche-Krieg und brach den Friedensvertrag, in dem er 1935 Teile der Polizei in die nun Wehrmacht genannte Armee integrierte und die allgemeine Wehrpflicht einführte.
„Ich habe den Truppenübungsplatz Munster 30 Jahre nach Willi Stachelhaus während meiner militärischen Ausbildung bei der Bundeswehr kennengelernt,“ berichtet der pensionierte Berufsoffizier Deichsel-Otterbeck. Und am Ende des Gesprächs verspricht Deichsel-Otterbeck Horst Stachelhaus in seinem Namen bei der Kriegsgräberfürsorge nach dem Grab seines in Russland gefallenen Vaters zu recherchieren.