Mülheim. Im Ringlokschuppen sprechen Mülheimer vieler Nationen über ihre Beziehung zur Stadt. Trotz mancher Kritik schwärmen sie von den besonderen Orten.
Anfangs fühlt man sich wie in einer großen, überdimensionalen Zoom-Konferenz: Umgeben von zahlreichen Gesichtern befindet sich der Betrachter im Mittelpunkt einer Projektionsfläche und versucht herauszufinden, aus welchem Mund die immer wieder wechselnden Stimmen gerade zu hören sind. Menschen aller Generationen, jeglichen Geschlechts, mit verschiedenen Hautfarben und unterschiedlichen Herkünften blicken einem im Kreisrund entgegen. Sie alle sind Mülheimer und die Protagonisten der Videoausstellung „City Portraits – Gesichter einer Stadt“.
Dramaturg Sebastian Brohn: Mülheim ist als diversifizierte Stadt noch nicht erkannt
„Mülheim ist eine diversifizierte Stadt und hat sich als solche noch nicht richtig erkannt“, findet Sebastian Brohn, der als Dramaturg im Ringlokschuppen beschäftigt ist und dort die Ausstellung konzipiert hat. „Viele Mülheimer laufen noch mit einem alten Selbstverständnis herum, das mit der Wirklichkeit nicht synchronisiert ist.“
Die Videoinstallation bilde das „neue Mülheim“ ab. Dort wird nicht nur Deutsch gesprochen. Einige der Wortbeiträge in der Ausstellung erklingen in englischer, arabischer oder in einer anderen fremden Sprache.„City Portraits – Gesichter einer Stadt“ ist der Versuch, Menschen zusammenzubringen, die ansonsten getrennt in ihren Zonen leben.
Was weiß der Eppinghofener vom Leben der Uhlenhorster?
Was weiß der Uhlenhorster vom Leben in Eppinghofen und umgekehrt? Um dem Auftrag nachzukommen, wurden zum Aufspüren der „Gesichter der Stadt“ sogenannte „Local Agents“ ernannt: Leute, die sich in Mülheim auskennen und mehrere Sprachen sprechen. In Einzelgesprächen führten sie mit den Teilnehmern Interviews. „Grundbedingung war dabei, Leute zu finden, die man nicht kennt, und so aus der eigenen sozialen ‚Bubble‘ herauszukommen“, erläutert Brohn.
Als Handreichung diente den Local Agents ein Katalog von 25 Fragen, die sich um Themen wie Mitbestimmung, Umweltschutz oder Kultur in Mülheim drehten. Mehr als 80 Videos kamen auf diese Weise zustande, die mitunter bis zu 50 Minuten Länge hatten. Darunter sehr intensive Begegnungen: Zum Beispiel berichtet der Kameruner Solon über die einen Tag vor dem Interview vorgefallene Entführung seiner Mutter.
Lilli aus Broich: „Ich habe mich in Mülheim verliebt.“
Die junge Broicherin Lilli hingegen gesteht, warum sie ihre alte Heimatstadt Dortmund gar nicht mehr vermisst: „Die besonderen Orte, die man für sich entdeckt. Ich bleibe hier, weil ich mich in Mülheim verliebt habe.“ Und der Junge Karl meint: „Ich möchte nicht woanders leben – das wäre ein bisschen komisch.“ Was er als Bürgermeister machen würde? „Bürgermeister? Boah… als erste Sache wahrscheinlich mehr Radverkehr.“
Videocutterin Kathrin Grzeschniok stellte aus diesem reichhaltigen Material in mühevoller Arbeit achtminütige Filmchen her, die für die Installation dann in weiteren kleinen Häppchen von Max Walter themenbezogen choreografiert wurden.
Besonders auffällig dabei, dass auf eingefrorene Bilder verzichtet wurde. Die schweigenden Gesichter sind durch ihr Minenspiel ständig in Bewegung, wodurch die Präsentation zusätzlich an Lebendigkeit gewinnt.
15 Interviews mit Mülheimerinnen und Mülheimern sind im Netz zu finden
Ausstellung ist auch im Netz zu sehen
Die Videoausstellung „City Portraits – Gesichter einer Stadt“ ist Teil des internationalen Projekts „Moving Borders“. Das von dem Programm Kreatives Europa der Europäischen Union kofinanzierte Projekt vereint sieben Einrichtungen in Portugal, Griechenland, Frankreich, Polen, den Niederlanden und Deutschland, das neben dem Ringlokschuppen mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau vertreten ist.Die Sammlung der Videos und die digitale Landkarte „City Map“ gibt es im Netz unter der Adresse: ark.ringlokschuppen.ruhr.
Wer die Ausstellung just verpasst hat, bekommt im Internet eine zweite Chance: Neben der Videoausstellung, die am Sonntag beendet wurde, ist im Netz eine digitale Landkarte erstellt worden. Die „City Map“ dient der Archivierung und bietet so weiterhin die Möglichkeit, sich die Videos – allerdings ohne Choreografie – anschauen zu können. Bislang sind dort 15 Interviews zu finden. Die anderen Videos werden noch hinzukommen, verspricht Brohn.
Nachhaltigkeit zeige das Projekt zudem, freut sich der Dramaturg, in einem anderen Punkt. Nachdem sich die Teilnehmer in der letzten Woche erstmalig auch real getroffen haben, kam es spontan zur Bildung zweier Initiativen, die „ernsthaft vorhaben, bei der künftigen Gestaltung der Stadt mitzuwirken.“