Mülheim. Der Mülheimer (37), der auf dem Radschnellweg brutal zugeschlagen hat, leidet an paranoider Schizophrenie. Gericht ordnet seine Unterbringung an.

Paranoide Schizophrenie: Ohne jeden Zweifel leidet der 37-jährige Mülheimer, der einen alten Mann im Mai auf dem Radschnellweg fast totgeschlagen hat, seit vielen Jahren an dieser schweren psychischen Krankheit. Bei Begehung der Tat sei er deshalb schuldunfähig gewesen, sagte Dr. Asiye Temur-Görgülü, Psychiaterin und Forensik-Chefärztin in der LVR-Klink Langenfeld, am Donnerstag vor dem Landgericht Duisburg. Der Mann habe die Realität nicht wahrnehmen können, wie sie war, er habe „quasi seinen eigenen Film gesehen“. Und so habe er wirklich geglaubt, der 80-jährige Essener sei der Teufel und er müsse sich gegen dessen Attacke wehren und ihn um jeden Preis besiegen.

Dieses „Besiegen wollen“ bedeutete für den alten Mann unfassbare Qualen. Minutenlang schlug der 37-Jährige erbarmungslos auf ihn ein. Der 80-Jährige trug schlimmste Verletzungen am Kopf und im Brustbereich davon und wäre fast gestorben. Bis heute ist er komplett unfähig, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Er ist ein Schwerstpflegefall und kann mit der Außenwelt nicht kommunizieren. Um die Gesellschaft vor ähnlich grausamen Ausbrüchen des 37-Jährigen zu schützen und ihm die Möglichkeit auf eine langfristige Behandlung zu geben, ordnete die 5. Strafkammer die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus an.

Ob und wann der Mülheimer wieder auf freien Fuß kommt, ist unklar

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„Dort wird man sich intensiv um Sie kümmern“, sagte der Vorsitzende Richter, Mario Plein, zum Beschuldigten. Ob der Mülheimer eines Tages wieder auf freien Fuß kommt, ist unklar. „Das wird auf jeden Fall lange Zeit dauern.“ Die Psychose des 37-Jährigen müsse sich zuvor deutlich bessern und er müsse dann auch wirklich gewillt sein, seine Medikamente zuverlässig einzunehmen. „Es werden noch viele andere Dinge zu regeln sein“, so Plein in der Urteilsbegründung.

Die Tat auf dem Ruhrschnellweg hatte viele Menschen schockiert. Auch weil man ahnte, dass es wohl jeden hätte treffen können. Der betagte Spaziergänger war ein Zufallsopfer, er hatte unfassbares Pech, dass er ausgerechnet an diesem Mai-Morgen auf dem RS1 unterwegs war.

Ganz früher sei er mal „ein netter, junger Mann“ gewesen, so ein Nachbar

Auch andere Menschen hatten in den Tagen und Stunden zuvor beängstigende Begegnungen mit dem psychisch Kranken, kamen aber mit dem bloßen Schrecken davon. Ein Nachbar, der eine Etage unter dem Mann wohnte, erzählte vor Gericht, dass dessen Gesundheitszustand im Mai „von Tag zu Tag schlechter“ wurde. Ganz früher sei er mal „ein netter, junger Mann“ gewesen, doch dann habe es zunehmend Probleme gegeben. Er habe „immer und immer wieder an der Tür geklopft“, auch mitten in der Nacht. Und er habe erzählt, er sehe komische Dinge. „Manchmal war er wütend, manchmal hat er wirr gesprochen – und dann hat er sich wieder bei mir entschuldigt und gesagt, er sei krank.“

Keine Heimtücke: Gericht wertet Tat als versuchten Totschlag

Die Staatsanwaltschaft hatte in der Antragsschrift für das Sicherungsverfahren noch von versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung gesprochen. Sie bejahte zunächst das Mordmerkmal Heimtücke. Dieses setzt Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers voraus – sowie die Fähigkeit des Täters, beides zur Begehung seiner Tat auszunutzen.

Die Sachverständige hatte in ihrem Gutachten vor Gericht aber ausgeschlossen, dass der Täter ein Ausnutzungsbewusstsein hatte. Die Richter entschieden daher, dass Heimtücke nicht gegeben war – und verurteilten den Mülheimer wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung.

Einmal habe er ihm sogar Schläge mit einem Schlüssel angedroht. Ähnliches erlebte eine Nachbarin (22). Sie berichtete von einer Begegnung im Treppenhaus, bei der der Mann lauthals Verse aus dem Koran zitierte und ihr mit einem Messer in der Hand den Weg versperrt habe. Mehrfach wurde die Polizei in das Haus in der Mülheimer Innenstadt gerufen.

Auch ein Ehepaar mit kleinem Kind rief die Beamten zu Hilfe

Auch ein Ehepaar mit kleinem Kind rief die Beamten zu Hilfe. Am Tattag verließen die Lehrerin (37) und der Bürokaufmann (39) gegen 7 Uhr früh ihre Wohnung und trafen auf den bereits stark psychotischen Mann. „Er hat unseren zweieinhalbjährigen Sohn angesprochen und immer wieder gerufen, ,Komm her, du bist doch mein Sohn’“, so der Ehemann. Auch durch gutes Zureden habe er sich von seinem Irrglauben nicht abbringen lassen und sei immer näher gekommen. „Ich fand das bedrohlich“, so die Zeugin, zumal er ihrem Mann und Sohn noch hinterhergelaufen sei. „Wir haben deutlich gespürt, dass mit ihm etwas nicht stimmt.“

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Keine anderthalb Stunden später mussten Polizisten aus Essen und Mülheim zum Radschnellweg eilen. Der 80-jährige Essener rang mit dem Tod – und sein Peiniger wurde festgenommen. Er kam in die Psychiatrie des St. Marien-Hospitals, wo er in den vergangenen Jahren immer wieder mal behandelt worden war. Und er sprach vom Teufel. Dieser prüfe ihn regelmäßig, erzählte er einen Polizistin (35): „Er sei wegen so einer Prüfung auch schon mal vor einen Zug gesprungen“, erinnerte sich die Zeugin. In der Klinik, kurz nach dem schrecklichen Vorfall auf dem RS1, habe der verwirrte Mann dann um einen Becher Gift gebeten. „Als neue Prüfung des Teufels.“