Mülheim. Marion Jäger zeichnet unter größter Kraftanstrengung. Die Frau des früheren NRW-Innenministers wurde durch eine Grippeinfektion schwer krank.
Eine ganz besondere Ausstellung ist seit wenigen Tagen im Mülheimer Atelier Zwo7 zu sehen. „Begegnungen“ heißt sie und versammelt eine Auswahl großformatiger Porträtzeichnungen in Bleistift und Kohle, angefertigt von Marion Jäger.
Eine offizielle Eröffnungsveranstaltung gibt es nicht, dafür ist die Künstlerin zu krank. In Duisburg, wo ihre Werke zuvor ausgestellt wurden, hat sich die 51-Jährige einen solchen Kraftakt zugemutet. „Ich hatte dann zwei Wochen Nachwirkungen“, berichtet sie.
Mülheimerin wurde chronisch krank nach einer Grippeinfektion
Marion Jäger leidet an einer Krankheit mit dem komplizierten Namen Myalgische Enzephalonmyelitis, besser bekannt als Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS). Seit Jahren lähmen sie Schmerzen und bleierne Erschöpfung - Symptome, die auch viele Long-Covid-Betroffene aus ihrem bisherigen Leben werfen. In Jägers Fall war nicht das Coronavirus der Auslöser, sondern offenbar eine Grippeinfektion im Februar 2014 und eine anschließende Herzmuskelentzündung.
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Letztlich zwang das Leiden die lebhafte Kunstlehrerin, Sonderpädagogin und dreifache Mutter in den Rollstuhl. Ihr Ehemann, der frühere NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), gab alle politischen Ämter auf, um seine pflegebedürftige Frau zu unterstützen.
Leben überwiegend im Liegen - keine Reha oder ärztliche Behandlung
In den vergangenen Jahren führte Marion Jäger ein Leben auf Sparflamme, überwiegend im Liegen. Nur eine oder zwei Minuten täglich könne sie aufrecht stehen, schilderte sie im Mai 2021 im Gespräch mit dieser Redaktion. Nach Aktivitäten wie Duschen oder Gesprächen mit Freunden ist oft wieder Bettruhe nötig. Die schwerkranke Frau benutzt eine Pulsuhr, um ihre Kraft zu dosieren und ihren persönlichen Energiekorridor nicht zu verlassen.
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Heute sagt Marion Jäger: „Es gibt keine ärztliche Behandlung für meine Krankheit und keine Reha, die auf mich zugeschnitten ist. Energiemanagement ist das A und O.“ Hoffnungen setzt sie auf die Long-Covid-Forschung, die möglicherweise auch hilfreiche Erkenntnisse für CFS-Betroffene bringen könnte.
Ihre Familie, die viele Jahre in Duisburg beheimatet war, ist umgezogen nach Mülheim-Menden, in eine barrierefreie Wohnung. Hier kommt die schwer erkrankte Pädagogin allmählich zu Kräften: „Es geht leicht bergauf“, stellt sie fest, „ganz langsam.“ Was nicht bedeute, dass sie wieder einkaufen gehen oder kochen könne. Es sei aber möglich, gelegentlich kurze Strecken mit dem Auto zu fahren, mal eine Freundin zu besuchen, mal mit ihrem Mann essen zu gehen.
„An Tagen, an denen es mir gut geht, muss ich mich zwingen, nicht zu viel zu tun“, berichtet Marion Jäger. „Sonst liege ich wieder ein paar Tage.“ Wie nach ihrer jüngsten Ausstellungseröffnung.
Zeichnungen entstehen im Sitzen oder Liegen, mit langen Unterbrechungen
Die meisten Bilder, die sie jetzt in Mülheim zeigt, sind in der Frühphase ihrer Krankheit entstanden, als sie zunächst monatelang beruflich pausieren musste, doch noch nicht vollends geschwächt war. Einige Werke stammen aus jüngster Zeit, sie wurden in vielen winzigen Etappen unter erheblicher Anstrengung geschaffen. Marion Jäger zeichnet ihre großformatigen Arbeiten sitzend oder liegend. Dabei hilft ihr eine elektrisch höhenverstellbare Massageliege, mit der sie hinauf- und hinabfahren kann.
Ausstellung bis Anfang März
Die Ausstellung „Begegnungen“ mit Porträtzeichnungen von Marion Jäger läuft bis zum 2. März im Atelier Zwo7, Oberstaße 27, in Mülheim.
Besichtigungszeiten sind donnerstags von 17 bis 19 Uhr und nach Vereinbarung (per Mail an: info@fraujaegerin.de). Regelmäßige Öffnungszeiten kann Marion Jäger aufgrund ihrer Krankheit nicht anbieten.
Weitere Infos zur Künstlerin gibt es auf www.fraujaegerin.de sowie auf Instagram (fraujaegerin).
„Manchmal ging es nur zwei Mal 20 Minuten pro Woche oder monatelang gar nicht.“ Entsprechend langsam sind diese Bilder gewachsen. Auch in puncto Material passt sich die Künstlerin ihrem Krankheitszustand an. Sie greift zum Bleistift oder zur Zeichenkohle, so dass die Werke problemlos über längere Zeit ruhen können. Bei Ölgemälden ginge das nicht. „Die Gerüche von Acryl- oder Ölfarben vertrage ich auch nicht mehr.“
Porträtmotive findet Marion Jäger auf Instagram
Thematisch habe sich ihre künstlerische Arbeit dagegen nicht verändert. Sie bleibt bei Porträts, wobei sie ihre Motive über Instagram findet - einfach Menschen anschreibt, deren Fotos sie interessant findet, und um Erlaubnis bittet, sie zeichnen zu dürfen. Mit einer Frau aus Florida sei auf diese Wiese ein persönlicher Kontakt entstanden. „Begegnungen“ heißt auch die Ausstellung im Mülheimer Atelier Zwo7.
Das Zeichnen gibt Marion Jäger Energie und neue Hoffnung, sie sagt: „Für mich ist es ein besseres Gefühl, eine langsam arbeitende Künstlerin zu sein als eine pensionierte chronisch Kranke. Ich fühle mich dadurch mehr wie ein Mensch.“ Daneben helfen ihr Meditation und Atemtechniken aus dem Yoga, „nicht in Verzweiflung zu verfallen...“