Müdigkeit und Erschöpfung als momentanen Zustand kennt jeder – die chronische Krankheit nicht. Mitglieder einer Selbsthilfegruppe erzählen.
- Zwischen 200 000 und 400 000 Menschen leiden in Deutschland unter chronischer Müdigkeit
- Betroffene werden von ihrem Umfeld oft als Simulanten und Drückeberger angesehen
- Eine Selbsthilfegruppe kämpft in Essen für die Erforschung der Krankheit und gegen Vorurteile
„Stell’ Dich nicht so an! Ich bin auch mal müde.“ Das haben die Mitglieder der Selbsthilfegruppe, die sich an diesem Donnerstagabend im Haus der Begegnung treffen, wohl alle schon einmal gehört. Sie sind aber nicht „mal“ erschöpft, sondern ständig. Und das nicht über Monate, sondern Jahre. Sie leiden unter dem Chronischen Müdigkeitssyndrom (englisch: Chronic Fatigue Syndrome; kurz: CFS). In Deutschland sollen 200 000 bis 400 000 Menschen betroffen sein.
In manchen Fällen ist CFS eine Begleiterscheinung chronischer Erkrankungen oder Folge außergewöhnlicher Belastungen. So wie bei Monika. Es begann nach einer Strahlentherapie. „Es ist keine klassische Behinderung. Man sieht es uns nicht an, aber bei mir geht das bis zu Wortfindungsstörungen. Man traut sich vieles nicht mehr zu. Wer will schon mit einem solchen Menschen zusammenkommen“, erzählt die 72-Jährige.
Anja (55) bekam CFS nach einer Krebserkrankung
Anja (55) bekam CFS nach Krebs. „Man kann nichts planen, weil man ja nicht weiß, ob man es einhalten kann“, erzählt sie. Heute Abend gehe es verhältnismäßig gut. Sie geht auch wieder zwei Stunden am Tag arbeiten. Ein Anfang, der Mut macht. Und dann sagt sie noch aufmunternd in die Runde: „Ich bin eine Schnecke geworden, aber Schnecken kommen auch vorwärts.“
Peter (75), der nicht an CFS erkrankt ist, ist heute allein gekommen. „Meine Frau, die schon über zehn Jahre an der Krankheit leidet, wollte unbedingt mitkommen, aber es ging nicht“, sagt er. Er wird ihr später alles erzählen.
Kathrin (31) verlor ihren Job, weil sie CFS verheimlichte
Die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung steigt mit dem Alter, sagen Wissenschaftler. Das bedeutet nicht, dass CFS nicht auch jüngere Menschen ereilen kann. Kathrin ist 31 Jahre alt. Früher war sie sehr sportlich. Dann erkrankte sie am Pfeifferschen Drüsenfieber und später an CFS. Der Weg zu dieser Diagnose gleicht einer Odyssee. Bei unzähligen Untersuchungen in Essen und Umgebung wurden zunächst andere Krankheiten ausgeschlossen, bis in der Berliner Charité CFS festgestellt werden konnte.
„Heute kann ich nur noch drei bis vier Stunden am Tag etwas machen. Wenn ich mich überschätze, bekomme ich sofort dafür die Quittung. Meinen Job habe ich auch verloren, weil ich lange Zeit die Krankheit verheimlicht habe“, sagt sie unter Tränen. Das Sprechen mit Betroffenen tue ihr gut. Sie wisse auch, dass sie mit der Krankheit offensiver gegenüber ihrem Umfeld umgehen müsse. Aber das falle ihr noch schwer.
Die Krankheit kann viele Ursachen haben
Die Ursachen für CFS – ob als Folge einer anderen Erkrankung oder als eigenständige Erkrankung – sind vielfältig. Es gibt viele Theorien, die auch erforscht werden. Medikamente und Therapien haben den Mitgliedern der Gruppe allerdings bisher nicht entscheidend geholfen. Und mehr Schlaf hat auch nicht geholfen. „Viele Ärzte kennen die Krankheit nicht. Dann werden oft einfach Anti-Depressiva verschrieben. Und vom Umfeld wird man oft als Simulant hingestellt“, sagt Boris Dimanov (65). Der gebürtige Makedonier gründete die Gruppe. „Früher bin ich 200 km mit dem Fahrrad gefahren. Heute bin ich an manchen Tagen ein menschliches Wrack.“ Lösungen sind nicht in Sicht.
Boris, Anja, Kathrin, Monika und die anderen werden sich also weiterhin einmal im Monat treffen, um Erfahrungen und neueste Therapien auszutauschen, um ihre Krankheit bekannter zu machen und um gegen die Einsamkeit anzugehen.
Und auch, um Sätze wie „Stell’ Dich nicht so an“ nicht mehr hören zu müssen.
>>> Kontakt zur Selbsthilfegruppe
Boris Dimanov: 0176-65778357