Berlin. . Missbrauchsopfer aus sieben Ländern haben erzählt, wie sie auf eine sexuelle Anmache im Internet hereinfielen. Für eine Studie, die die EU in Auftrag gegeben hat. Die, die ihre Geschichte erzählten, sind zwischen 12 und 18 Jahre alt. Einige trafen sich mit dem Täter „offline“ und wurden sexuell missbraucht.
Sexuelle Anmache gehört im Internet zum Alltag. Fast jeder zweite jugendliche Chatter hat es schon erlebt. Eine Studie im Auftrag der EU hat jetzt untersucht, was passiert, wenn aus der Anmache eine Straftat wird: Knapp 30 Missbrauchsopfer aus sieben europäischen Ländern haben ihre Geschichte erzählt. „Ich war auf mich allein gestellt“, sagt eines der Mädchen. „Keiner hatte Zeit mir zuzuhören, nie hat jemand Zeit.“
Sie sind zwischen 12 und 18 Jahren alt. Alle haben sie den Täter im Internet kennengelernt. Einige trafen sich später „offline“, wurden sexuell missbraucht und unter Druck gesetzt. „Er zog sein Handy hervor und zeigte mir die kleinen Videos, die er gemacht hatte, während wir Sex hatten“, erzählt ein Mädchen im Interview. Die Täter drohen, die Bilder zu verbreiten. „Ich stelle die ins Netz, dann können alle auf dich spucken.“
In anderen Fällen verlangte der Täter, dass die Mädchen Nacktfotos von sich schicken: „Er zwang mich, Bilder von mir zu machen. Wenn nicht, würde er zu mir nach Hause kommen, er wisse ja wo wir wohnen.“ Andere Mädchen schicken freiwillig Bilder, weil sie sich geschmeichelt fühlen: „Mann, bist du sexy!“, schreibt ein Täter. Später finden die Opfer die Bilder im Netz wieder. Und sie wissen: Einmal im Netz heißt immer im Netz.
„Aber dann läuft es auf einmal schief“
„Für viele ist der Kontrollverlust schlimmer als der Missbrauch selbst“, sagt der schwedische Psychologe Lars Lööf, Mitautor der EU-Studie. Ein Mädchen berichtet: „Früher habe ich zu meinen Freunden gesagt, ‘verzieh dich’, wenn es nicht gut lief. Ich hatte immer alles unter Kontrolle. Nun war es dieser Mann, der die Kontrolle übernommen hatte.“ Die Opfer sind in der Regel nicht naiv. Sie kennen die Risiken. Aber sie lassen sich extrem leicht über die Grenze vom Flirt zum Missbrauch locken.
„Alle späteren Opfer wussten, dass die Männer sexuelle Interessen hatten“, sagt Ethel Quayle, Studienleiterin aus Edinburgh. In den Interviews zeigen sich traurige, einsame und orientierungslose Jugendliche, aber auch Mädchen, die getrieben sind von sexueller Neugier, die sich nach Komplimenten sehnen und sich durch den offenherzigen Online-Flirt attraktiv und begehrenswert fühlen. Auch auf Sex lassen sich viele durchaus noch freiwillig ein: „Aber dann läuft es auf einmal schief und sie verlieren die Kontrolle.“
„Sie fragen nicht, also antworte ich nicht“
„Eltern können ihren Kindern nicht die ganze Zeit über die Schulter schauen“, weiß auch Quayle. Aber sie können dennoch etwas tun. „Sie fragen nicht, also antworte ich nicht“, sagt eines der betroffenen Mädchen im Interview. So erging es vielen. Die Experten mahnen: Es reicht nicht, die Gefahren des Internets fünfmal zu erklären. Eine 17-Jährige aus Estland bringt es auf den Punkt: „Wir haben die Regeln alle mal gelernt. Aber in der Pubertät vergessen wir sie wieder.“
Eltern sollten sich respektvoll für das Netzleben ihrer Kinder interessieren. Lööf: „Wenn du nicht fragst, hörst du nichts.“ Kritik üben die Wissenschaftler an Kinderärzten, Sozialarbeitern und Therapeuten: Viele wüssten zu wenig über Soziale Netzwerke und Online-Straftäter, um den Opfern richtig helfen zu können.