Essen. Jeder dritte Jugendliche in NRW ist schon einmal Opfer von Mobbing-Angriffen im Internet geworden. Rund 400 000 Schüler sind betroffen. Die erste repräsentative Befragung zum Thema im Lande zeichnet ein erschreckendes Bild.

„Wir sehen, dass sich immer mehr depressive Kinder und Jugendliche in stationäre Behandlung begeben“, sagt Christian Els­pas, Sprecher der Techniker-Krankenkasse, die die Studie in Auftrag gab. Innerhalb von zwei Jahren schnellten die Zahlen bei den Ersatzkassen in NRW um ein Drittel auf aktuell 4200 Jugendliche hoch.

Am Anfang fing alles ganz harmlos an, mit komischen Kommentaren unter meinen Bildern im Internet. Dann ging es aber soweit, dass mein Name unter der Rubrik ,Ich mag nicht’ bei anderen Usern stand. Das war schon ziemlich hart. Immer, wenn ich den Computer angemacht habe, wurde ich damit konfrontiert.“ (Schülerin, 16, Kreis Unna)

Jeder dritte Jugendliche ist schon Opfer einer Mobbing-Attacke im Internet geworden. Die erste repräsentative Umfrage zum Thema Cyber-Mobbing in NRW bestätigt den Trend und zeichnet ihn fort. Die Techniker Krankenkasse ließ in NRW und bundesweit je 1000 Jungen und Mädchen zwischen 14 und 20 befragen. Bei einer nicht-repräsentativen Befragung der Uni Lüneburg vor zwei Jahren gaben 31,2 Prozent an, schon mal Opfer geworden zu sein. Nun sind es in NRW bereits 36 Prozent (die Zahlen liegen leicht über dem Bundesschnitt).

Drohungen, Beleidigungen, Geheimnisverrat

Was erleben die Opfer? Jeder fünfte Betroffene wird bedroht oder beleidigt, jeder sechste muss Verleumdungen ertragen, Profile werden missbraucht (11 %) und Geheimnisse verraten (4 %). Es kann ein Leben prägen, wenn ein Handyvideo vom Klo zum Witz der Schule wird.

Sie hatte sich gerade bei SchülerVZ angemeldet, da wurde sie überschüttet mit den übelsten Beleidigungen. „Ich wusste nicht, was ich machen sollte, ignorierte die Schreiben dann einfach.“ Bis der Täter sich ein neues Profil zulegte. „Die Hemmschwelle, sich jemandem anzuvertrauen, ist groß. Die Eltern haben von solchen Sachen oft keine Ahnung, außerdem ist einem das alles auch furchtbar peinlich.“ (Adriana C., 16, Oberhausen)



Die erschreckende Erkenntnis lautet: Es kann jeden treffen. Gymnasiast oder Hauptschüler, Junge oder Mädchen – alle können Opfer werden.(Jungen allerdings sind häufiger Täter.) Besonders im Alter von 13 oder 14 ist man gefährdet, aber es beginnt schon in der fünften Klasse oder früher. „Das Risiko nimmt mit dem Maß der Internetaktivität zu“, sagt Dr. Stephanie Pieschl von der Uni Münster, die die Umfrage auswertete. „Wer aktiv sein Online-Profil pflegt, wird häufiger Opfer.“


„Klappsenkind ... Du bist zu dumm, dich umzubringen“ ... Monatelang mobbten vier Mitschülerinnen Sarah, bis diese sich im Chat wehrte: „Keine Angst. Jeder bekommt, was er verdient. Der Tag wird kommen ... Ich schlage euch kaputt.“ Eine Mitschülerin informiert die Schulleitung, die befürchtet einen Amoklauf, Sarah wird nachts von der Polizei aus dem Bett geholt und in die Jugendpsychiatrie gebracht. (Sarah, 15, Sauerland)

Opfer werden oft auch zu Tätern

Auch das bestätigt die Studie: Opfer werden oft auch zu Tätern. „Es gibt eine große Schnittmenge“, sagt Psychologin Pieschl. Rache ist ein vorherrschendes Motiv, oder die Opfer wollen sich wehren. Andere Täter wollen einfach gedankenlos „Spaß“ – und immerhin jeder zwölfte wird irgendwann zum Täter. Die meisten Opfer kennen zwar ihre Peiniger, aber „diese bekommen nicht mehr direkt die Reaktion des Opfers mit“, erklärt Günter van Aalst, Leiter der TK-Landesvertretung. „Früher, auf dem Schulhof, hat man gesehen, wenn der andere verzweifelt ist, wenn es weint.“ Aber in der modernen Kommunikation fehlt dieser Informationskanal. Und die Beleidigungen bleiben stehen – potenziell für immer: wie ein Brandzeichen.

– „Diese fette [Name] ist übelst hässlich, hat auch schon die halbe Schule gefiXXX.“
– „Die [Name] ist eine geile Sau. Was habt ihr für Erlebnisse mit ihr?“

(Anonyme Kommentare über zwei Essener Schülerinnen auf der Seite „iShareGossip“)

Was geschieht mit den Opfern, die so gedemütigt werden? Sie sind vor allem wütend (70%) oder verzweifelt (24%), viele entwickeln aber auch körperliche Symptome: Schlafstörungen, Kopf- und Bauchschmerzen.

Aber was kann man tun? Pieschls Ratschläge: Man sollte nicht zurückschlagen, Man sollte sich Hilfe bei Eltern oder Lehrern holen. Man sollte die Beweise sichern, und man sollte die Internetanbieter kontaktieren, damit diese die Angriffe löschen. „Aber“, weiß Pieschl, „ist man erst mal betroffen, gibt es keine einfache oder ideale Lösung.“