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Wie kann man Kinder vor Hetze im Internet schützen? Nach dem schockierenden Fernsehfilm „Homevideo“ diskutierte Anne Will mit ihren Gästen über die Folgen von Cyber-Mobbing. Wohl aber Vorbeugung, wenn man es richtig macht. Empörte Pamphlete und feurige Plädoyers blieben aus. Stattdessen bleibt eine große Ratlosigkeit – auf dem Podium und beim Publikum.
Ganz still ist es im Studio, als Anne Will ihre Zuschauer am Mittwochabend begrüßt. „Wir machen Dich fertig – Mobbing im Internet“ ist das Thema. Die Diskussionsteilnehmer blicken ernst in die Runde. Denn auch wenn die von der ARD vorgeschaltete Fernsehproduktion „Homevideo“ eine extrem drastische Geschichte erzählt, von einem Jugendlichen, dessen privater Film ins Internet gerät, der schließlich Selbstmord begeht: Cyber-Mobbing ist kein medial überdrehtes Thema, das nur aus Sensationsgier auf allen Kanälen erscheint. Es ist ein Thema, das viele Eltern in Deutschland beunruhigt.
Michael Winterhoff, Kinder- und Jugendpsychiater, bringt es gleich zu Beginn der Sendung auf den Punkt: „Cyber-Mobbing bietet einen neuen Raum für alte Auffälligkeiten.“
Hänseleien hat es immer schon gegeben. Der eine hatte die falschen Klamotten, der andere eine krumme Nase. Kinder können grausam sein, diese Erkenntnis ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Doch die Unterhaltung zeigt, dass die Dimensionen von Mobbing sich geändert haben.
Behörden zu beschäftigt?
Der Anwalt für Medienrecht Christian Schertz weiß über viele Fälle aus seinem Berufsalltag zu berichten. Es sei nach wie vor schwer, juristisch gegen Rufmord im Internet vorzugehen. Nicht, weil das Internet ein „rechtsfreier Raum“ sei, sondern weil die Behörden mit anderen Dingen beschäftigt seien, „wie dem Schützen von Urheberrechten.“ Bei einer Straftat stehe schließlich das öffentliche Interesse im Vordergrund, und ein Ermittlungsverfahren werde nur dann eingeleitet, wenn die Betroffenen selbst zur Polizei gingen.
Lisa Loch hatte Erfolg: Die heute 26-jährige nahm 2001 an einer Misswahl teil. RTL berichtete von der Veranstaltung, der Beitrag fiel in die Hände von Stefan Raab – und kurze Zeit später machte er sich in seiner Sendung „TV Total“ über ihren Namen lustig. Mit dem Satz „Mein Name ist Lisa Loch und ich bin 16 Jahre alt“ wurde sie zum Gespött im Fernsehen, in der Schule, in ihrem gesamten sozialen Umfeld. Sie zog vor Gericht. 70 000 Euro Schmerzensgeld bekam sie zugesprochen.
„Natürlich hat der Rückhalt meiner Familie mir sehr geholfen, aber vor Gericht Recht zu bekommen, zu beweisen, dass hier Unrecht geschehen ist, das hat mir sehr gut getan.“ Mehr Zuspruch von ihren Lehren hätte sie sich gewünscht, sagt Lisa Loch. „Soziale Kompetenz sollte doch eine Grundvoraussetzung für jeden Lehrer sein“.
Der Mann, der Schüler fit macht
Wolfgang Kindler hat diese soziale Kompetenz. Zumindest trainiert der Lehrer aus Recklinghausen seine Schüler in einer freiwilligen Anti-Mobbing-AG. Ein kurzer Einspieler zeigt, wie er mit seinen Schülern über „Homevideo“ diskutiert. Auf Augenhöhe, in einem Rollenspiel. Das einzige Mittel, das Kinder und Jugendliche vor Attacken aus dem Internet schützen kann, sei der Unterricht in Medienkompetenz.
Das meint auch Anke Domscheit-Berg, die ansonsten mit ihrer Meinung recht allein dasteht. Sie plädiert für ein freies Netz, berichtet, dass auch sie viele bösartige Kommentare über sich lesen muss. Und darüber hinwegsehen kann. Der Unterschied: Sie ist kein Kind, kein Teenager, der sich allein gelassen fühlt.
Wer glaubt, Cyber-Mobbing sei nichts als ein inflationär gebrauchter Begriff für eine Modeerscheinung, hat spätestens bei der Geschichte von Manuela Horn einen Kloß im Hals. Ihr Sohn Joel nahm sich das Leben. Mit dreizehn Jahren. Ein bislang nicht ermittelter Täter hatte Joel auf seiner Facebook-Pinnwand übel beschimpft und beleidigt. Eine Situation, mit der der Junge nicht mehr umzugehen wusste. Die platte Argumentation, die Eltern sollten stets überwachen, was ihre Kinder tun, greift hier nicht: Manuela Horn macht nicht den Eindruck einer Mutter, die keinen Zugang zu ihrem Kind hatte. Sie ringt um Fassung, als sie das Schicksal ihres Sohnes erzählt. Und fordert die Politik auf, endlich zu handeln. Ein starker Auftritt.