Frankfurt/Main. . Ulrich Tukur ist ein Tausendsassa. Der Schauspieler, auch bekannt als schrulliger Kommissar im “Tatort“, ist als Musiker unterwegs und hat nun ein Buch veröffentlicht: In seiner ersten Novelle, „Die Spieluhr“, reist Tukur in die Fantasiewelten der Vergangenheit. Ein Gespräch über Träume und Nostalgie.

Seine Anzughose sitzt weit oben in der Taille und scheint ein wenig kurz, seine Haare sind akkurat gescheitelt. Ulrich Tukur liebt das Gestern: Mit seinen „Rhythmus Boys“ lässt er die Tanzmusik der 20-er Jahre aufleben; und wenn er nun seine erste Novelle veröffentlicht, dann prangt der Titel „Die Spieluhr“ in goldenen Lettern auf dem Leinen-Einband. Mit Britta Heidemann sprach der 56-Jährige Schauspieler, Musiker und Autor über seine nostalgischen Sehnsüchte.

Herr Tukur, Sie scheinen immer so ein wenig in die Vergangenheit gewandt – woher kommt das?

Ulrich Tukur: Ich bin in einem Elterhaus groß geworden, in dem die Vergangenheit zuhause war, mit der Bücherwelt meines Großvaters und Urgroßvaters. Wir hatten ein Bakelit-Telefon und einen Radioapparat, das war’s. Ich hatte die Natur draußen und meine Traumwelten im Kopf. Mit der Wirklichkeit hatte ich nur in Form von Schule zu tun und das hat mich nicht sehr begeistert. Die Sehnsucht nach Vergangenheit ist die Sehnsucht nach dem blühenden Land, dem Paradies – denn das bedeutet ja das Wort Nostalgie.

Als Teenager Fan von Hans Albers und Fats Waller

Aber man ist doch alleine mit dieser Sehnsucht, weil die meisten Menschen im Heute leben, oder?

Ulrich Tukur: Als Jüngling in den späten 60er- und frühen 70-er Jahren war ich ziemlich allein mit meiner Weltsicht. Die Klassenkameraden und Freunde hörten Led Zeppelin, Deep Purple, Creedence Clearwater Revival – und ich ließ meine Schellack-Platten auf einem Reisegrammophon laufen. Stundenlang habe ich englische Tanzmusik und alte deutsche Schlager gehört (lacht). Und habe das geliebt! Ich konnte meinen Mitschülern doch nicht sagen, dass ich Hans Albers oder Fats Waller den Stones oder Beatles vorzog. Die hätten mich für verrückt erklärt!

Leiden Sie an der Realität?

Ulrich Tukur: Ich reibe mich an der Realität. Aber das tun ja viele Menschen. Ich sehne mich nach einem Land, in dem nicht alles dem Wirtschaftskreislauf unterworfen und industrialisiert wird. In dem Anstand, ein hohes Gefühl für Schönheit und Respekt voreinander und vor der Natur zuhause sind. Es gab Zeiten, die kulturell hoch flogen, in denen die schönen Künste das Leben der Menschen durchdrangen, da man zu träumen wagte und versuchte Träume zu leben. Und es gibt immer wieder Perioden, die am Boden kleben. Und ich, ich möchte gerne fliegen!

Aber wir kleben am Boden?

Ulrich Tukur: Ich sehe jedenfalls nicht, dass die Sonne der Kultur sehr hoch steht. Musik, Mode, Lebensgefühl, die völlige Vereinnahmung der Menschen durch die Industrie – all das interessiert mich nicht. Es wäre schön, wir würden uns für unser Glück ein wenig mehr anstrengen, selbst etwas tun und es nicht zulassen, daß wir zugemüllt allmählich unsere Würde verlieren. Wir fordern uns nicht mehr!

Ulrich Tukurs Herz hängt an der Musik

Sie fordern sich ja in gleich drei Berufen: als Schauspieler, Musiker und jetzt auch als Autor. Woran hängt ihr Herz?

Ulrich Tukur: An der Musik. Sie fließt aus der Seele direkt in das Herz der Menschen. Aber auch das Schreiben hat einen großen Reiz, der für mich neu ist. Man schafft eine Welt aus sich heraus und reproduziert keine Sachen, die ein anderer erfunden hat. Und man lernt sehr viel über sich.

Was hat Ihnen denn „Die Spieluhr“ über sich selbst erzählt?

"Die Spieluhr" - Eine traumschöne Zeitreise

Das Buch: Ulrich Tukurs Novelle „Die Spieluhr“ (Ullstein, 160 S., 18 €) erzählt von einem magischen Bild, das seine Betrachter in vergangene Zeiten entlässt – und einer Spieluhr, deren Figuren einst höchst lebendig waren. Eine traumschöne Zeitreise.

Die Musik: Mit seinen „Rhythmus Boys“ ist Ulrich Tukur zum Jahreswechsel in der Region auf Tour: 30.12. Bochumer Schauspielhaus, 31.12. Stadthalle Wuppertal, 3.1. Düsseldorfer Tonhalle, 6.1. Lichtburg Essen. Info: www.rhythmus-boys.de.

Ulrich Tukur: Dass ich Angst habe. Den Weg zu verlieren, zu verschwinden. Der Gang hinter die Bilder, das Weiterleben in Gemälden, von dem meine Novelle erzählt, bedingt die Auslöschung in der Wirklichkeit. Ich beschwöre ein Weiterleben nach dem Tod, das aber kein Paradies, sondern etwas sehr Unheimliches ist. Die „Spieluhr“ ist sehr verschlungen und lässt sich nicht wirklich erklären. Sie ist ein Geheimnis, das man nicht zerlegen sollte.

Verraten Sie uns dennoch etwas über ihre Entstehung?

Ulrich Tukur: 2007 drehte ich den französischen Kinofilm „Séraphine“, die Geschichte der verrückten Malerin Séraphine Louis und ihrem Entdecker und Förderer Wilhelm Uhde. Teile des Films enstanden in einem alten Schloss in der Picardie, das zur Hälfte gesperrt war, weil es einzustürzen drohte. Ein alter Graf mit seiner Frau lebte noch darin. An einem Spätnachmittag bin ich in den abgesperrten Teil eingestiegen und durch verwunschene Säle und Korridore gelaufen. In einer Bibliothek voll uralter Bücher entdeckte ich ein kleines Kind mit blasser Hautfarbe, das mich anstarrte wie einen Geist. Es saß zwischen hohen Bücherregalen auf einem Empiresofa und hatte einen Schwarz-Weiß Fernsehapparat vor sich stehen, in dem ein japanischer Zeichentrickfilm lief. Es kam mir vor wie ein Kind aus dem 18. Jahrhundert, das durch ein Loch in unsere moderne Welt schaute. Später stellte sich heraus, dass es der Urenkel des Comte war, der dort spielte. Aber dieses Bild konnte ich einfach nicht vergessen, und ich wusste, dass ich daraus etwas machen würde.

Wenn Sie mal in die Zukunft träumen statt in die Vergangenheit, was erträumen Sie sich da?

Ulrich Tukur: Ich habe den Traum, dass die Menschen es vielleicht einmal schaffen, der Schöpfung mit Respekt zu begegnen. Wir leben auf einem Planeten, der brutal ausgeräubert wird. Und ich habe den großen Wunsch, dass es noch lange dauern möge, mein Leben. Und das meiner Frau.