Essen. Ein düsteres Dorf mit finsteren Einwohnern, ein TV-Ermittler mit Wahrnehmungsstörungen - wenn dann noch die Kessler-Zwillinger tanzen und singen, kommt ein “Tatort“ heraus, der das Fan-Lager spaltet. Von “Grauenhaft“ bis “hoher Spaßfaktor“ reicht das Echo auf den Tatort mit Ulrich Tukur von diesem Sonntag, der so gar nicht ins gängige Erzählschema passte.

Jetzt hatte auch mal die ARD einen "Kottan": Der Hessen-Tatort "Das Dorf" mit Ulrich Tukur als LKA-Ermittler Felix Murot am Sonntagabend war ein Spiel mit den Genres und ein ziemlich absurdes Theater (Regie: Justus von Dohnanyi): Ein bisschen "Wixxer"-Persiflage und Edgar Wallace-Atmo, etwas Thriller à la Hitchcock und Schauspieler, die genüsslich in ihren finsteren Rollen frohlockten. Nur ein Krimi war dieser Tatort irgendwie nicht, meinen jedenfalls Hunderte von Tatort-Fans, die das auf der Tatort-Facebook-Seite zum Teil noch während des Films gepostet haben.

Die Szenerie: Ein düsteres Dorf irgendwo in Hessen, überragt von einer noch düstereren Burg, deren zwielichtiger Burgherr (Thomas Thieme) dort mit seiner Mutter lebt ("Psycho" lässt grüßen), gespielt von Alice oder Ellen Kessler - schließlich: beiden - und sich als dubioser Organhändler und -Transplanteur entpuppt, der das Dorf und seine verängstigten Bewohner in den Händen hat. Ein Mordfall, der bereits nach Minuten vom örtlichen Kriminalbeamten als "gelöst" bezeichnet wird. Doch Ermittler Felix Murot hat Zweifel, gepaart mit Wahrnehmungsstörungen, weil ihn sein Hirnturmor quält. Am Ende siegt das Gute und Murot erwacht aus dem gespielten Tode, weil er zuvor so schlau war, den Inhalt seiner Todesspritze mit Kochsalzlösung auszutauschen.

Tatort-Zuschauerin droht mit Mattscheiben-Entzug

"Der größte Mist seit Jahren. In allen Belangen daneben. Unlogisch und langweilig": TV-Zuschauer Karl Reil ist angesichts der schrägen Handlung der Humor abhanden gekommen, falls er welchen hat: "Für sowas zahlen wir Gebühren", beschwert er sich und ist damit kein Einzelfall. Für Wanja Westermann hätten der Film "sicherlich ein guter Kurzkrimi" sein können, wäre er bloß auf 45 Minuten gekürzt worden. Ein anderer Fan urteilt am Montagmorgen kurz und knapp "Schwachsinn" und Facebookerin Angela Nikisch droht der ARD mit Mattscheiben-Entzug: "Nochmal so ein Bockmist, und ich verweigere!"

Wie sehr dieser Tatort die Krimi-Gemeinde in Wallung bringt, zeigt schon die Zahl der Kommentare auf der Facebook-Seite: Während beim Borowski-Fall "Borowski und der coole Hund", dessen Geschichten ja auch nicht soo unschräg sind, vom 6. November 2724 Facebooker auf den "gefällt mir"-Button drückten, waren es beim zweiten Tukur-Fall - Stand Montagmorgen - 949 Personen. Dafür hatte der Hessen-Tatort (Stand 7 Uhr) bereits 2295 Kommentare, beim Borowski-Fall gibt es (seit Wochen) nur 574. Der vergangene Tatort aus München "Mord in der Synagoge" regte bloß 288 Facebooker und -innen zu Kommentaren an. Es war eben auch ein reichlich konventioneller Krimi mit dem Tatort-üblichen Aufklär-Anliegen.

"Provinzfall" mit "pseudoschickem Kunstkackelook"

Wenn also mal was Unkonventionelles läuft, dann lesen sich die Reaktionen so: "Sowas Schlechtes als Tatort zu verkaufen ist unglaublich", teilt Mike Kuhlmann mit, während sich Michael Krutschke darüber freut, diesen Tatort diesmal "NICHT geguckt" zu haben. Da hat er aber was verpasst, meint Suse Marquardt und argumentiert medienanalytisch: "Wenn man dem Zuschauer seit Jahren (...) dramaturgisch und ästhetisch nichts mehr zutraut (...), dann ist dieser Tatort ein mutiges Wunder". Ihr Urteil: "Hervorragend inszeniert, passender Look, super Musik". Peter Franz Kühn würde das wohl nicht befürworten: Er sah den "aktuellen Provinzfall" mit "pseudoschickem Kunstkackelook" gepimpt.

Andere sind knapper in ihrer Kritik ("Edgar Wallace für arme") oder outen sich als "stinknormaler Krimizuschauer", der "normale Storys" haben will. So mancher Facebooker lässt den Krimi- und Kino-Experten erkennen. Und setzt Vergleiche an: "(...) Edgar Wallace und David Lynch-like war eindeutig zuviel gewollt und doch nicht gekonnt", meint Elke Blaettel, die "in der Umsetzung einfach zu wenig Spannung und Stimmung und die Story sehr lasch" fand. "Da hat mir die Henning Mankell Version des letzten Kieler Tatorts schon viel besser gefallen!"

"Gleicht kommt noch der Kalkofe..."

Vielfach reiben sich Facebook-User an den Kommentaren anderer zum Film: "Das war Perlen vor die Säue" gibt Jenz Pöhnisch mit Bezug auf andere Kommentare auf der Tatort-Seite kund, während Maike Ohmsen der Kommentar-Gemeinde ein "Ich bin begeistert!" zuruft und dafür wiederum fünf "Gefällt mir"-Bestätigungen erntet.

Auch am Montagmorgen reißt die Kommentarwelle nicht ab, während die Zahl der "Likes" sich nicht bewegt, werden innerhalb von zehn Minuten um kurz vor acht Uhr weitere 100 Kommentare gepostet. Und schon während des Films lief das Sozialnetzwerk heiß: Gut 1000 Posts sind bei Facebook zu zählen, als Ulrich Tukur gerade zum surrealen Tango mit der zwielichtigen Dorf-Ärztin Dr. Herkenrath (Claudia Michelsen) ansetzt, die dann plötzlich in den Himmel entschwebt, aus dem eine riesige Eichel - oder war es eine Haselnuss? - den LKA-Ermittler zu erschlagen droht. Sandra Wildhagen ist von der Szene wenig überzeugt: "Von der Rieseneichel erschlagen... naja!" und ARD-Zuschauerin Kerstin Riechelmann befürchtet, "gleich kommt noch der Oliver Kalkofe mit der Wixxer". In die gleiche Kerbe schlägt Gabriele Paukens: "Fehlt nur der gute Klaus Kinski und gleich kommt noch der Eddi Arendt um die Ecke"; vielleicht ein lohnenswerter Hinweis für künftige Produktionen beim Hessen-Tatort.

Mercedes 600, Ro 80, Ford-Transit: Ein Krimi für Autofans

Einige wenige achten auf Details: "Die Autos sind auf jeden Fall sehenswert", schreibt Ralf Friedrich; ein Mercedes 600 Pullman und ein NSU Ro 80 ("Das genialste Auto ever", lobt ein Zuschauer) tauchen in aktuellen Krimi-Produktionen nicht so häufig auf. Andere heben lieber zur Grundsatzdebatte an, inwieweit die Kritiker besser auf RTL zuhause wären, wenn sie das Niveau dieses Tatorts nicht erkennen mögen. "Kommt mal von dem Trip runter", will Facebooker Benjamin Neubert, noch während des Films, diese "Unverschämtheit" nicht auf sich sitzen lassen.

Es muss wohl ungefähr die Szene gewesen sein, als LKA-Ermittler Murot plötzlich die zuvor noch als tot registrierte Leiche eines Dorfbewohners auf einer Wiese vor schroffen Felsen über den Weg läuft, die dann mit einem (Autofreunde, Achtung:) Ford-Transit der 70er Jahre entfleucht, als Matthias Wiesner dem weltweiten Gesichtsnetz mitteilt: "Meine Fresse, ist der Tatort Scheiße".

Doch schon der Auftakt regt die Zuschauer zu Kommentaren an ("...der fängt ja gut an", "Was ist das????") oder ruft Sarkasmus hervor: "Man wartet sekündlich auf Miss Marple". Luis Fri bemängelt ein "schlechtes Intro", Kaka Leti lobt dagegen "Super Intro". Am Ende lässt sich die Kritik mit zwei Posts zusammenfassen: Viele fanden's "laaaaaaangweilig", einige sagten "guter Film" - mitunter mit der Einschränkung: "aber als Tatort fehl am Platz".

Heike Laß wunderte sich unterdessen um 20:17 Uhr am Sonntagabend: "Huch. Der Tatort läuft schon zwei Minuten und noch keiner hat gesagt, dass er blöd ist". Eine gute Minute danach folgt das erste negative Statement: "Ich glaub, ich guck Jauch!" Und dann folgen... Hunderte.