Essen. Die Alternative für Deutschland mischt die deutsche Politik auf. Das Sieben-Prozent-Ergebnis für die AfD bei der Europawahl ist den etablierten Parteien ordentlich in die Knochen gefahren. Wie wenig Union, SPD und Co. auf die Konkurrenz vorbereitet sind, zeigte auf eindrucksvolle Weise die konfuse Runde bei „Hart aber fair“ in der ARD. Nur einer konnte lachen.

Bernd Lucke macht es seinen Gegnern nicht leicht. Der Wirtschaftsprofessor mit dem Gesicht eines Unterprimaners wirkt auf den ersten Blick harmlos - doch in Diskussionen haut er drauf wie auf kaltes Eisen. Bei Frank Plasbergs „Hart-aber-fair“-Runde am Montagabend bekam dies ausgerechnet Michel Friedmann zu spüren, der Publizist, der selbst kein Kind von Traurigkeit ist: „Halten Sie doch einfach mal die Klappe!“, blaffte Lucke seinen Kontrahenten an, als der ihm zum wiederholten Mal verbal in die Parade fuhr. „Ich dachte, wir haben hier Kultur“, holzte Friedmann zurück. Das Publikum hat seinen Spaß. Und Lucke grinste sich eins.

Man muss dankbar sein für diese ARD-Talkrunde am Abend nach der Europawahl: Sie war in doppeltem Sinne entlarvend. Denn sie zeigte zum einen die perfiden Methoden, mit denen AfD-Chef Lucke versucht, seine platten und fremdenfeindlichen Thesen als Volkes Stimme zu verkleiden; und zum anderen demonstrierte die Diskussion auf beängstigende Weise, wie hilflos die etablierten Parteien dem Erstarken der „Alternative für Deutschland“ gegenüberstehen.

Bayern präsentierten sich als eine AfD light

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Nehmen wir nur die CSU. Im Europawahlkampf präsentierten sich die Bayern als eine Art AfD light indem sie versuchten, gleichzeitig für, aber auch gegen Europa zu sein. Bei diesem Spagat rutschte Parteichef Horst Seehofer böse aus und wurde von den Wählern abgestraft. Jetzt versucht Wilfried Scharnagl, Ex-Chefredakteur des „Bayernkuriers“, die AfD kleinzureden: Die Neulinge, ohnehin nicht mehr als „ein Sammelsurium ohne klare Linie“, würden „nach einer Scheinblüte schon wieder verschwinden“, raunte Scharnagl altväterlich.

Anders als die CDU nehmen die Grünen den Kampf mit der AfD auf: Verteufelung statt Anbiederung. Claudia Roth, ehemalige Frontfrau der Grünen und heutige Vizepräsidentin des Bundestags, rückt die AfD in die Nähe der NPD, nicht nur wegen des Wahlplakats „Wir sind nicht das Weltsozialamt“, das quasi wortgleich bei den Rechtsradikalen zu finden ist. Luckes großmauliger Spruch vom Wahlabend, seine AfD sei nun eine „Volkspartei“, verschaffe ihr eine „Gänsehaut“, so Roth: Lucke und eine Truppe seien „völkisch angehaucht“. Da schüttelte in der Runde nicht nur Lucke mit dem Kopf.

Eine Strategie gegen die Polit-Newcomer hat keiner im Plasberg-Talk

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Lucke selbst gibt sich als „Wolf im Schafspelz“, wie Michel Friedmann konstatiert. Das „Sozialamt“-Plakat? Ja hat denn nicht sogar die Kanzlerin selbst kurz vor der Wahl vor einer Sozialunion in Europa gewarnt, fragt der AfD-Chef. Das ziele doch in die gleiche Richtung. Und überhaupt: Was denn das Gerede von der Fremdenfeindlichkeit solle. „Selbstverständlich ist Deutschland ein Einwanderungsland.“ Und natürlich betreibe die AfD „keine einwanderungsfeindliche Politik“. Mit offen fremdenfeindlichen Typen wie Geert Wilders in den Niederlanden habe man nichts gemein. Es gehe ihm nur um gesetzlich Regelungen gegen ungeregelten Zuzug und Missbrauch der Sozialsysteme. Ach ja, und das mit dem Euro laufe ja auch nicht eben optimal.

Ob Scharnagl oder Roth, ob SPD-Altvorderer Uwe-Karsten Heye („Die AfD hat ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft“) oder Spiegel-Journalist Nikolaus Blome („Die AfD wird die FDP ersetzen“) sind natürlich alle mehr oder weniger entsetzt über den Wahlerfolg Luckes – eine Strategie gegen die Polit-Newcomer hat keiner von ihnen, jedenfalls nicht an diesem Abend.

Ein grinsender Bernd Lucke

Am Ende, in der Schlussrunde von "Hart aber fair", fragt Gastgeber Plasberg seine Diskutanten, ob die AfD es ihrer Meinung nach in dreieinhalb Jahren in den Bundestag schaffen werde. „Nein!“, retourniert Claudia Roth im Brustton der Überzeugung. Das werde man schon verhindern. Da beugt sich Sitznachbar Blome zu der Grünen herüber und fragt: „Und wie machen Sie das? Würde mich jetzt total interessieren.“ Und Bernd Lucke grinste.

Strahlende Sieger, trauernde Verlierer

Glückwünsche für Dortmunds OB Ullrich Sierau. Seine SPD holt 38 Prozent und liegt damit 11 Prozentpunkte vor der CDU.
Glückwünsche für Dortmunds OB Ullrich Sierau. Seine SPD holt 38 Prozent und liegt damit 11 Prozentpunkte vor der CDU. © dpa
Dennoch fällt die OB-Entscheidung erst in einer Stichwahl: Ullrich Sierau (44%, hier mit Ehefrau Barbara) muss in ein paar Wochen...
Dennoch fällt die OB-Entscheidung erst in einer Stichwahl: Ullrich Sierau (44%, hier mit Ehefrau Barbara) muss in ein paar Wochen... © dpa
...gegen CDU-Konkurrentin Dr. Annette Littmann (32%) antreten.
...gegen CDU-Konkurrentin Dr. Annette Littmann (32%) antreten. © dpa
Auch in Hagen muss eine Stichwahl entscheiden. OB-Kandidat Erik O. Schulz (CDU/FDP/Grüne) lag mit 47,8% zwar deutlich vor...
Auch in Hagen muss eine Stichwahl entscheiden. OB-Kandidat Erik O. Schulz (CDU/FDP/Grüne) lag mit 47,8% zwar deutlich vor... © WP Michael Kleinrensing
SPD-Kandidat Horst Wisotzki (35,6%). Die absolute Mehrheit verfehlte er aber knapp.
SPD-Kandidat Horst Wisotzki (35,6%). Die absolute Mehrheit verfehlte er aber knapp. © WP Michael Kleinrensing
Die Stichwahl zwischen Schulz und Wisotzki steht in ein paar Wochen an. Die Rats-SPD siegte mit 32,8% nur knapp vor der CDU mit 32%.
Die Stichwahl zwischen Schulz und Wisotzki steht in ein paar Wochen an. Die Rats-SPD siegte mit 32,8% nur knapp vor der CDU mit 32%. © WP Michael Kleinrensing
Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) ist gut gelaunt: Seine SPD liegt mit 34 Prozent knapp vorn.
Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) ist gut gelaunt: Seine SPD liegt mit 34 Prozent knapp vorn. © WAZ FotoPool
Im Rathaus standen nach der Verkündung des Ergebnisses erstmal ein paar Selfies mit dem strahlenden Rathaus-Chef an. Trotzdem: Die Genossen haben über vier Prozentpunkte verloren.
Im Rathaus standen nach der Verkündung des Ergebnisses erstmal ein paar Selfies mit dem strahlenden Rathaus-Chef an. Trotzdem: Die Genossen haben über vier Prozentpunkte verloren. © WAZ FotoPool
Auch die CDU ist nicht so ganz glücklich über ihr Ergebnis in Essen. Sie liegt bei der Ratswahl knapp hinter der SPD.
Auch die CDU ist nicht so ganz glücklich über ihr Ergebnis in Essen. Sie liegt bei der Ratswahl knapp hinter der SPD. © WAZ FotoPool
In Düsseldorf triumphiert Oberbürgermeister-Kandidat Geisel (SPD/37,9%): Er zwingt...
In Düsseldorf triumphiert Oberbürgermeister-Kandidat Geisel (SPD/37,9%): Er zwingt... © Kai Kitschenberg/WAZFotoPool
...OB Dirk Elbers (CDU/41,6%) zur Stichwahl. Eine angeblich repräsentative Umfrage hatte Elbers eine Woche vor der Wahl noch bei 57% gezeigt.
...OB Dirk Elbers (CDU/41,6%) zur Stichwahl. Eine angeblich repräsentative Umfrage hatte Elbers eine Woche vor der Wahl noch bei 57% gezeigt. © Kai Kitschenberg/WAZFotoPool
Auch die Rats-CDU hat kräftig Stimmen verloren und landet bei 37%. Die SPD dagegen...
Auch die Rats-CDU hat kräftig Stimmen verloren und landet bei 37%. Die SPD dagegen... © Kai Kitschenberg/WAZFotoPool
...schaffte es auf 29% — sechs Prozent mehr als letztes Mal.
...schaffte es auf 29% — sechs Prozent mehr als letztes Mal. © Kai Kitschenberg/WAZFotoPool
Die Oberhausener SPD ist ratlos. Die Partei holt mit 39% zwar die meisten Stimmen...
Die Oberhausener SPD ist ratlos. Die Partei holt mit 39% zwar die meisten Stimmen... © WAZ FotoPool
...verliert aber fünf Prozentpunkte gegenüber der letzten Wahl.
...verliert aber fünf Prozentpunkte gegenüber der letzten Wahl. © WAZ FotoPool
Die Oberhausener CDU dagegen hat Oberwasser: Sie holt fast 33%.
Die Oberhausener CDU dagegen hat Oberwasser: Sie holt fast 33%. © WAZ FotoPool
Die Bochumer SPD in Kuschellaune: Bürgermeisterin Gaby Schäfer und Landtagsabgeordneter Thomas Eiskirch. Die Genossen holen bei der Kommunalwahl 38,6% und liegen deutlich vor der CDU mit 25,7%.
Die Bochumer SPD in Kuschellaune: Bürgermeisterin Gaby Schäfer und Landtagsabgeordneter Thomas Eiskirch. Die Genossen holen bei der Kommunalwahl 38,6% und liegen deutlich vor der CDU mit 25,7%. © WAZ FotoPool/Ingo Otto
Duisburgs CDU-Fraktionschef Rainer Enzweiler blickt auf die Wahlergebnisse — und ist geschockt über 24,8%.
Duisburgs CDU-Fraktionschef Rainer Enzweiler blickt auf die Wahlergebnisse — und ist geschockt über 24,8%. © WAZ FotoPool
Die Duisburger SPD dagegen freut sich über 41% (im Bild Oberbürgermeister Sören Link und Landesinnenminister Ralf Jäger).
Die Duisburger SPD dagegen freut sich über 41% (im Bild Oberbürgermeister Sören Link und Landesinnenminister Ralf Jäger). © WAZ FotoPool
Erleichterung bei der Gelsenkirchener SPD: Frank Baranowski holt grandiose 67% und bleibt Oberbürgermeister. Von Ehefrau Gudrun gab's dafür ein Glückwunsch-Küsschen.
Erleichterung bei der Gelsenkirchener SPD: Frank Baranowski holt grandiose 67% und bleibt Oberbürgermeister. Von Ehefrau Gudrun gab's dafür ein Glückwunsch-Küsschen. © WAZ FotoPool
Die Genossen holten für den Rat stabile 50,2%.
Die Genossen holten für den Rat stabile 50,2%. © WAZ FotoPool
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