Berlin. Die Unionsparteien haben bei der Europawahl in Deutschland ihre Vorrangstellung verteidigt - allerdings mit herben CSU-Verlusten. Die SPD legt laut Hochrechnungen nach ihrem Tief vor fünf Jahren kräftig zu und der euroskeptischen Alternative für Deutschland (AfD) gelingt der Einzug ins Parlament.

Der Erfolg war Chefsache. Sigmar Gabriel erschien am Sonntagabend persönlich, um die Europawahl zu erklären. Fast sieben Prozent mehr für seine Partei. „Der größte Zugewinn, den die SPD bei einer deutschlandweiten Wahl jemals erreicht hat“, rief Gabriel seinen Anhängern im Willy-Brandt-Haus zu. Nicht nur sie waren in Sektlaune.

Die Linke verbuchte ein Bestergebnis, die Grünen sind wieder drittstärkste Kraft in Berlin, lauter zufriedene Gesichter, nachdem auch die Euro-Skeptiker von der Alternative für Deutschland (AfD) nach dem Achtungserfolg im Herbst 2013 bei der Bundestagswahl einen eindrucksvollen Sieg feierten. Sie sind drin: im EU-Parlament.

Stell Dir vor, es ist Wahl und keiner verliert. Geht das?

Geht natürlich nicht. Es gab sie, die Niederlagen. „Ein hundsmiserables Ergebnis“ nannte Wolfgang Kubicki die rund drei Prozent für die FDP. Zerknirscht wirkte auch die CSU. Die Verluste der Union gingen auf das Konto der CSU.

Berlin, Sonntag, 18.01 Uhr, der etwas andere Blick auf die Abstimmung: Die erste Testwahl der Großen Koalition ging problemlos über die Bühne. Das Ergebnis entsprach den Umfragen. Es war ein wohltemperierter Abend, ohne Sensationen, ohne Schärfen, ohne Radikalausschläge.

Wahlbeteiligung gestiegen

Gegen den Trend in vielen anderen Staaten ist die Wahlbeteiligung sogar gestiegen. Auch auf die Frage, wie die Partner der Großen Koalition Wahlkampf gegeneinander führen, gibt es nach dem Verlauf der letzten Wochen eine vorläufige Antwort: so behutsam wie Stachelschweine Liebe machen.

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SPD und Union können ohne Verletzungen zur Tagesordnung übergehen. Schon am Montag wollen sich die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Gabriel abstimmen. Es gibt zwei Themen: die Analyse der Urnengänge in der EU sowie in der Ukraine – und ein innenpolitischer Restposten: Die Zusage von sechs Milliarden Euro für Kinderbetreuung und Bildung. Die Länder wollen, dass sie ihnen ohne Auflagen zufließen, vermeintlich unbürokratisch, weil sie vor Ort am besten wüssten, wo sie gebraucht werden. Einen „Blankoscheck“ aus Berlin? Stellt Merkel ihn etwa aus?

Eine andere Frage drängte mehr

Die Antwort auf eine andere Frage drängt an diesem Abend mehr. Wer liegt eigentlich europaweit vorn? Die Sozialisten oder die Konservativen? Davon hängt es dann ab, ob die Fußballrhetorik von Peter Tauber verfängt oder nicht. „1:0 für Jean-Claude Juncker“, hatte der CDU-Generalsekretär verkündet. Juncker war der Kandidat der Konservativen für den Posten des Kommissionspräsidenten – und Gegenspieler von Martin Schulz, über den Gabriel sagt: „Wir sind superstolz darauf, dass Du einer von uns bist“.

Juncker oder Schulz, einer von beiden soll der nächste Kommissionschef werden. Meint Gabriel. Genau darüber will Merkel am Montag noch einmal reden. Im Kabinett muss sich die Koalition auf eine Verhandlungslinie verständigen.

Europawahl 2014Fakt ist: Die Union ist die stärkste Kraft geblieben. Der Erfolg der SPD erscheint groß, weil sie von einem Allzeit-Tief kommt, von jenen 20,8 Prozent aus dem Jahr 2009. „Das Wahlergebnis trägt einen Namen“, sagt der SPD-Chef, „und der lautet Martin Schulz.“ Der Trick war demnach, dass einer von ihnen die Sozialisten in ganz Europa anführte. Gut möglich, dass Schulz von einem einmaligen Effekt profitierte. Nennen wir es den Heimatbonus.

Euro-Krise war kein Thema

Fakt ist auch: Die Angst vor einem Erstarken der Rechtspopulisten war begründet; und Deutschland nicht die Ausnahme. AfD-Chef Bernd Lucke hält es freilich für „diffamierend“, wenn man seine Partei zum rechten Spektrum zählt. „Aufgeblüht“ sei die AfD „satt über fünf Prozent“, jubelt er. Dabei fehlte sogar ein großes und polarisierendes Thema. Der Ukraine-Konflikt drängte die Euro-Krise in den Hintergrund.

Trostlos ist das Abschneiden der FDP. Vor fünf Jahren errangen die Liberalen noch elf Prozent. Im Herbst scheiterten sie im Bund an der Fünf-Prozent-Hürde. Danach machte die Partei einen Schnitt: Neuanfang mit dem jungen Christian Lindner aus NRW. Ist der Effekt schon verpufft? Nun schaut die Partei auf die Wahlen im Sommer im Osten, in Sachsen steht sie in der Regierung. Vielleicht dort, vielleicht im Sommer. Die FDP hat ihren Aufschwung verschoben.