Essen. . Natascha Kampusch sprach in Günter Jauchs ARD-Talk nach acht Jahren in Dunkelheit und sechs Jahren im Scheinwerferlicht über die Zeit in der Hand ihres Entführers.

„Die Freiheit“, so hat Natascha Kampusch vor gut zwei Jahren in ihrem Buch geschrieben, „beginnt erst jetzt.“ Es war ihr Schlusssatz, er sollte ein neuer Anfang sein – und nun? Da sitzt sie, nach acht Jahren in Dunkelheit und sechs Jahren im Scheinwerferlicht, es ist ihr 25. Geburtstag, es ist mal wieder eine Talkshow. Und „Freiheit“ ist gerade nicht das Erste, was dem Zuschauer bei diesem Anblick einfällt.

Zumal Günther Jauch ihr an diesem Sonntagabend das letzte Geheimnis nimmt, das Stück Privatsphäre, das sie sich bewahren wollte. Nie hat sie darüber gesprochen, nie durfte man sie danach auch nur fragen, selbst in ihrer Autobiographie hat sie dazu geschwiegen. Aber jetzt gibt es diese Szene in einem Film, der kommende Woche in den deutschen Kinos anläuft: „3096 Tage“ heißt er, wie ihr Buch; und der Einspieler zeigt unmissverständlich, wie der Mann, der den Entführer Wolfgang Priklopil spielt, Natascha zum Sex zwingt. Ob das nun ein Signal war, will Jauch wissen: „Sie können sehen, wie es war – aber jetzt lassen Sie mich in Ruhe!“? Ja, nickt Natascha Kampusch, „genau so“.

Acht Jahre im Keller-Verlies

Weiß die Welt also nun auch das über das Mädchen aus Österreich, das im Alter von zehn Jahren von einem Psychopathen entführt und mehr als acht Jahre in einem Kellerverlies bei Wien gefangen gehalten wurde. Es gibt ja längst niemanden mehr, der dieses Drama nicht kennen würde, nun auch bis ins letzte schmutzige Detail, und man sieht ja immer noch hin. Lässt vielleicht prüfend den Blick schweifen über die junge Frau: Hat sie sich entwickelt – und wohin?

Fraulicher ist sie geworden und fülliger, das ist nicht zu übersehen trotz der weiten violetten Kleider. So lange hat sie gehungert, dass sie nach ihrer Flucht nicht mehr gelernt habe, welche Nahrung gut für sie sei. Natascha Kampusch findet das Gefühl nicht wieder, satt zu sein. Sie sagt, sie habe auch Probleme, Vertrauen zu fassen. Sie lasse die Dinge neuerdings auf sich zukommen. Eine Ausbildung hat sie deshalb „unterbrochen“.

Ist das die Freiheit? Die diese junge Frau da sitzen lässt, ein wenig, als wäre sie eine alte? Steif, sehr gerade, offenkundig angespannt. Man hat das in den vergangenen Jahren meist nur an ihren Händen gesehen, an diesem Abend zeigt sie es auch im Gesicht. Sie presst die Lippen zusammen, feuchtet sie an, blickt manchmal wie hilfesuchend nach oben, zur Seite, als erwarte sie von dort Antworten. Was sie sagt, ist immer noch geschliffen, druckreif formuliert, reflektiert; manches, nach Jahren der Therapie, hört sich an wie aus dem psychologischen Lehrbuch. Manches aber muss sie offenkundig in sich selbst suchen, dann lächelt sie und sagt nur: „Ja.“

Als unglaubwürdig beschimpft

So kennt man Natascha Kampusch gar nicht, so zurückgenommen. Es sind immer dieselben Fragen, die man ihr stellt seit September 2006, sie hat sie wohl hundertmal beantwortet, und gerade Jauch mit seinen Karteikarten erfindet sie nicht neu. Aber vielleicht sind inzwischen die Proben zu lange her: Sie hatte ja erzählt, gleich nach ihrer Flucht, wie sie Interviews geübt habe in all den Jahren ihrer Gefangenschaft. Mancher hat ihr das übel genommen und tut es noch, als unglaubwürdig hat man sie beschimpft, als geldgierig und süchtig nach Öffentlichkeit.

Man hat ihr ihre Stärke nicht gegönnt. „Nachdenklich, betroffen, traurig“, mache sie das, sagt Natascha Kampusch. „Es gibt unheimlich viele dumme Menschen“, antwortet der Psychiater Georg Pieper in der Sendung. Solche, die ein Opfer leiden sehen wollten, um sich gut zu fühlen. Dabei, so Pieper, sei Kampusch „eine Botschafterin des Überlebens: ein leuchtendes Beispiel, wie man sein Schicksal in die Hand nimmt“.

Möglich, dass vor allem das die Freiheit der Natascha Kampusch ist: nie wieder Opfer zu sein.