Essen. Wenn das eigene Kind verschwindet, bricht für Eltern eine Welt zusammen. Die ZDF-Sendung “Aktenzeichen xy“ widmete dem Thema “Wo ist mein Kind?“ eine Sondersendung. Zu Gast war Natascha Kampusch. Auch wenn ihr 2006 die spektakuläre Flucht gelang, fühlt sie sich oft noch wie in ihrem Verlies.
Im „Aktenzeichen xy“-Spezial am Mittwoch suchten Rudi Cerne und sein Team nicht nach Mördern, Einbrechern und Vergewaltigern, sondern nach vermissten Kindern. „Wo ist mein Kind?“ lautete der Titel der Sendung. Neben den Eltern einiger noch immer verschwundenen Mädchen und Jungen kamen auch drei Menschen ins Studio, deren Geschichte Deutschland und Österreich monate- und sogar jahrelang in Atem hielt: Die Eltern des 2010 ermordeten Mirco aus Grefrath und Entführungsopfer Natascha Kampusch.
Oft sagen Eltern von seit langer Zeit verschwundenen Kindern, dass sie lieber wüssten, dass ihr Sohn oder ihre Tochter tot sei, als weiter in Ungewissheit zu leben. Ganz sicher kostet es diese Eltern große Überwindung, zu diesem Schluss zu kommen. Und noch größere, ihn dann offen auszusprechen. Auch die Studiogäste bei „Aktenzeichen xy – Wo ist mein Kind?“ sind an diesem Punkt angekommen.
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Etwa die Mutter der 1996 verschwundenen 8-jährigen Debbie Sassen aus Düsseldorf. Nach der Schule kam die Zweitklässlerin am 13. Februar 1996 nicht nach Hause, es wird überlegt, ob sie im Park, an der Straße oder an einer Straßenbahnhaltestelle entführt wurde. Es gibt ein Phantombild eines Mannes mit Schnäuzer. Bis heute ist die Polizei aber nicht weiter gekommen. Die Familie hat dieser Schicksalsschlag zerstört. Drei Jahre nach Debbies Verschwinden verübte ihre ältere Schwester Selbstmord, die Ehe der Mutter und des Stiefvaters zerbrach. Jetzt ist nur noch Debbies Mutter Elke übrig, die nach dem Mädchen sucht. Ihr Auftritt im Fernsehen fällt ihr sichtlich schwer. Auf die holprigen Fragen von Moderator Rudi Cerne antwortet sie nur sehr zögerlich. Vielleicht ist es ein Trost für sie, dass am Ende der Sendung die meisten Hinweise der Zuschauer ihren Fall betreffen.
Mircos Eltern haben dem Mörder ihres Sohnes vergeben
Debbies Fall bleibt nicht der einzige unaufgeklärte Fall, der in der Sendung neu aufgerollt wird. 1995 verschwindet die 19-jährige Sonja Engelbrecht in München nach einer Partynacht. Auch hier fischt die Polizei im Trüben. Die junge Mutter Bianca Blömecke aus Essen wird seit dem 6. August 2000 vermisst. Zunächst wird ihr Ex-Freund verdächtigt, was sich als falsch herausstellt. Mutter Erika hofft noch immer, dass ihre Tochter eines Tages wieder vor ihrer Tür steht: „Die Suche nach Bianca bestimmt mein Leben.“ Maria Baumer ist bereits 26 Jahre alt, als sie am 26. Mai dieses Jahres ihren Heimatort Regensburg verlässt. Ihr Verlobter erhält am Tag ihres Verschwindens einige verwirrende Anrufe von ihr, in denen sie sagt, dass sie eine Auszeit bräuchte und nach dem Wochenende wieder zurück sei. Damit verliert sich auch ihre Spur.
Was die Angehörigen dieser Vermissten durchleben und vielleicht noch durchleben müssen, haben Sandra und Reinhard Schlitter, die Eltern von Mirco, bereits hinter sich. Im September 2010 kam der 10-Jährige abends nicht heim, eine riesige Suchaktion begann. 146 Tage bangten die Schlitters um ihren Sohn, dann wurde der Mann gefasst, der Mirco erst missbraucht und dann umgebracht hat. Mittlerweile hat das Ehepaar Schlitter ihm vergeben. Sie gehen mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit um, wie sie sagen, anderen betroffenen Eltern Mut zu machen. Anders als bei vielen Paaren, deren Kind verschwindet oder stirbt, ist die Ehe der Schlitters noch intakt. Darüber wundert sich auch Rudi Cerne. Mircos Eltern begründen das mit ihrem tiefen Glauben. „Und wir haben die Schuld nicht immer beim Anderen gesucht“, erklärt Sandra Schlitter. Sie haben ihr Schicksal offenbar akzeptiert, ohne Verbitterung.
Natascha Kampusch - ihre Gefangenschaft ist noch immer präsent
So wirkt auch Natascha Kampusch, die ebenfalls im Studio zu Gast ist. Acht Jahre ihrer Jugend hat die Wienerin im Verließ ihres Entführer verbracht und wagte dann 2006 die spektakuläre Flucht. Seitdem reißen sich die Medien um sie, was sie auch nutzt. So betreibt sie eine eigene Internetseite, auf der sie Spenden für wohltätige Zwecke sammelt. Der verstorbene Hollywood-Regisseur Bernd Eichinger hat ein Drehbuch über ihre Geschichte geschrieben. Im Frühjahr 2013 kommt der Film „3096 Tage“ in die Kinos. Aber so, wie Natascha Kampusch in dem engen schwarzen Ledersessel sitzt, den Kopf immer wieder schieflegt und unsicher lächelt, wirkt sie nicht wie die medienerfahrene junge Frau, die sie eigentlich sein müsste. Gerade mache sie eine Ausbildung zur Goldschmiedin, erklärt sie Rudi Cerne in wenigen leisen Worten. Ihre Gefangenschaft sei ihr noch immer präsent, erst einen Tag zuvor habe sie sich wieder gefühlt, als sei sie dort. Für Natascha Kampusch und Sandra und Reinhard Schlitter geht das Leben weiter. Aber ihre Geschichten haben ja auch ein Ende. Und das ist in jedem Fall besser als die Ungewissheit.