Essen. Auch sieben Jahre nach ihrer Flucht aus dem Kellerverlies fühlt sich Natascha Kampusch noch immer nicht frei. Bei Günther Jauch sprach sie über ihre Seelenqualen aus der Vergangenheit und den aktuellen Druck der Öffentlichkeit. In der Sendung wurden auch Film-Szenen der Vergewaltigung gezeigt.
An ihrem 25. Geburtstag sitzt Natascha Kampusch im Studio von Günther Jauch. Sie spricht über das Eingesperrt sein. Sie erzählt von Demütigung und Erniedrigung. Moderator Jauch zeigt Filmausschnitte über dieses dunkelste Kapitel ihres Lebens. Es ist gewiss kein schöner Geburtstag, doch Kampusch hat schlimmere erlebt.
Natascha Kampusch war zehn, als sie entführt und verschleppt wurde. Mit 18 kam sie frei. An ihren Geburtstagen dazwischen gab es nur eine Person, mit der sie zusammen seien konnte: ihr Peiniger, Wolfgang Priklopil. Trotzdem hat sie jeden Geburtstag gefeiert und jeder war ihr wichtig: „Es war positiv, dass man älter und stärker wird, um sich widersetzen zu können“, erinnert sie sich im Gespräch mit Günther Jauch.
Jahr für Jahr sammelte Kampusch mehr Kraft, um endlich gegen ihren Entführer aufbegehren zu können. 2006, dem Jahr in dem sie volljährig wurde, gelang ihr die Flucht.
Natascha Kampusch erzählt von ihrer Vergangenheit, wie sie es schon oft zuvor getan hat. Auch sieben Jahre nach der Befreiung klingt ihre Stimme dabei müde und brüchig. Manchmal ist die junge Frau nur schwer zu verstehen. Sie wirkt erschöpft und verunsichert. Auch eine Folge des Lebens und Leidens in der Öffentlichkeit?
Kampusch will nie wieder Opfer sein
Nach ihrer Befreiung will Kampusch das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben. Sie geht in die mediale Offensive, spricht in Talkshows und schreibt ein eigenes Buch. Sie habe das Gefühl gehabt, dass auch ohne ihr Einverständnis Bilder von ihr gemacht worden wären. Das andere ihre Geschichte geschrieben hätten. Das sollte nicht passieren. Nie wieder will die junge Frau Spielball anderer sein. Nie wieder ein Opfer.
„Frau Kampusch ist ein leuchtendes Beispiel, das sich nicht als Opfer darstellt, sondern als aktive Überlebende“, lobt der Psychotherapeut Georg Pieper. Doch gerade dieses Leuchten in der Öffentlichkeit wirft Schatten. Im Bus drängen wildfremde Leute der jungen Frau ihre Probleme auf. Mit Familienangehörigen ist das Miteinander bis heute schwierig.
Leuchtturmfunktion mit Schattenseiten
Andere nehmen Kampusch ihre Leuchtturmfunktion übel. Erbarmungslos konfrontiert Günther Jauch sie mit Einträgen aus dem Onlineforum einer österreichischen Zeitung. Die Auszüge sind böse bis aufs Blut. Sie könne doch in einem Bordell arbeiten, rät ihr etwa ein Nutzer. Andere werfen ihr vor, sich immer wieder in die Medien zu drängen und so unglaubwürdig zu werden.
Es ist viel Druck, der auf dem ehemaligen Entführungsopfer lastet. Und auch die letzte Mauer, die Kampusch bislang um ihre Privatsphäre gezogen hatte, ist mittlerweile gefallen. In der kommenden Woche läuft ein Film über das Leiden der Natascha Kampusch in den deutschen Kinos an. "3096 Tage" heißt er, wie ihr autobiografisches Buch.
Bilder der Vergewaltigung
Der Film zeigt wie Natascha Kampusch vergewaltig wird. Schonungslos hält die Kamera drauf, als Wolfgang Priklopil sie fesselt und zum Sex zwingt. Ebenso schonungslos zeigt Günther Jauch diese Ausschnitte seinem Publikum.
In keinem Interview hatte Kampusch zuvor über dieses Thema gesprochen. In ihrem Buch schweigt sie dazu. Die Vergewaltigung gehörte zu den Teilen ihrer Vergangenheit, die sie mit sich selbst klären wollte. Es war ein Geheimnis, das über Vernehmungsprotokolle zunächst an österreichische Parlamentarier und so schließlich an die Presse gekommen sei, erklärt die junge Frau.
Sie sei im Vorfeld der Filmveröffentlichung darüber informiert worden, sagt Kampusch. Aber was der Filme zeige, sei nicht ihre Sicht der Dinge.
Das Gefühl "wie ein Viech durchs Dorf getrieben" zu werden
Auch zwei weitere von Jauchs Gästen kennen das Gefühl der Gefangenschaft und der Ohnmacht. Und sie kennen die Zeit danach. „Man ist einer solchen Situation ausgesetzt und wird am Ende wie ein Viech durchs Dorf getrieben“, beschreibt Johannes Erlemann seine Erfahrungen.
Erlemann wurde als Elfjähriger lebendig begraben. 1981 entführten ihn drei Männer auf dem Heimweg. Sie zwangen ihn in eine Holzkiste und vergruben diese im Wald. Nach 14 Tagen ließen ihn die Entführer gegen drei Millionen Mark Lösegeld laufen. Auch nach über 30 Jahren weiß Erlemann bis heute nicht, was schlimmer war, die Gefangenschaft oder die Zeit danach. Nur eines weiß Erlemann mit Gewissheit: „Die Kindheit war nach der Entführung vorbei.“
Nach seiner Freilassung wurde er auf dem Pausenhof verprügelt, musste schließlich sogar die Schule wechseln. Die Umwelt wollte in Johannes Erlemann ein Opfer sehen. Als er sich nicht als solches darstellte, machten sie aus ihm wieder eines.
Gefangen im Iran
Marcus Hellwig berichtet Günther Jauch über seine Zeit in iranischer Gefangenschaft. Mehrere Monate saß der Bild-Reporter in einem Gefängnis, weil er Interviews ohne staatliche Genehmigung geführt hatte. Hellwig wurde geschlagen und gefoltert. Er wusste nicht, ob er jemals wieder nach Hause kommt.
Nach seiner Rückkehr gab es nicht nur Freude und Mitleid. Immer wieder wurde er für seine Recherchen im Iran kritisiert. Für seine Festnahme sei er selbst verantwortlich, so der Vorwurf. Hellwig hat gelernt, mit solchen Meinungen umzugehen oder sie zu ignorieren. Bis heute ist er in psychologischer Betreuung.
Ein Leben ohne Vertrauen
„Entscheidend ist, dass es die Menschen schaffen, ihr Schicksal anzunehmen“, rät Traumaexperte Pieper. Doch das ist nicht leicht, wenn das Umfeld nicht mithilft und lieber Opfer sieht als Menschen.
Natascha Kampusch hat die Hilfe eines Psychiaters angenommen. Trotzdem sieht sie sich weiterhin als Einzelkämpferin, die sich auf niemanden wirklich verlassen kann. „Ein Anker kann nur der Glaube in gewisse Werte sein“, sagte sie am Ende der Sendung. Auch nach sieben Jahren in Freiheit, ist die 25-jährige von einem Leben in Normalität weit entfernt.