Essen. . 1:0 für Anne Will. Die ARD-Talkerin machte am Mittwochabend genau das Richtige: Nach dem Pokal-Hit Gladbach gegen Bayern palaverte sie nicht über Politik, sondern philosophierte über Fußball. Sie nutzte das Elfmeterdrama als Steilvorlage. Mancher Einwurf von Wills Gästen erwies sich als Treffer.

Mehr live ging nicht. Die Zitterpartie vom Bökelberg warf das Sendeschema der ARD über den Haufen. Um 22.45 Uhr sollte Anne Wills Talk am Mittwochabend angepfiffen werden. Tatsächlich kam sie, nach Spiel, Schnellanalyse und Gespräch mit Bayerns Pokal-Held Manuel Neuer, erst um 23.25 Uhr ins Spiel. Es war eine erstaunliche Runde, zur Nachahmung empfohlen, allein deshalb, weil Will ihr Thema nach der erfolgreichen Vorgängersendung wählte – und Zuschauern so den Ausklang eines Fußballabends bot.

„Geld oder Leidenschaft – was regiert die Fußballwelt?“: Diese scheinbare Entweder-oder-Frage wurde mit einem klaren Sowohl-als-auch beantwortet. Anne Will war ihre „Sportschau“-Erfahrung anzumerken. Die 46-Jährige war stets auf Ballhöhe.

Für Leidenschaft in der Diskussion sorgte Kabarettist Serdar Somuncu, indem der 43-jährige Gladbach-Fan schlichte Anti-Bayern-Klischees bemühte. Der Rekordmeister aus München sei ein Club „ohne Seele“, die andauernden Meister-Ambitionen seien „arrogant“. Trainer-Legende Udo Lattek (77), der die Bayern-Elf der 70er formte, hielt reflexhaft gegen.

Toni Schumacher outet sich als "Kotzbrocken"...

Ex-Nationaltorhüter Toni Schumacher (58) verkörperte die fußballerische Leidenschaft schlechthin. Kurz vor Schluss des Gesprächskreises wurde er persönlich. Er habe die gegnerischen Fans provoziert, um sich selbst zu Höchstleistungen zu puschen. Er hasse Gegentore, egal ob vom Gegner, von Amateuren oder von Mannschaftskollegen im Trainingsspiel, sagte Schumacher. Wenn er ein Spiel verloren habe, sei er zuhause, bei seiner ersten Frau, ein „Kotzbrocken“ gewesen. Er habe derart viel Wut in sich gehabt, dass er in den Keller seines Hauses gegangen sei, um sich die Fäuste blutig zu schlagen.

Zuvor hatte „d'r Tünn“, wie ihn seine Kölner Fans nennen, erläutert, warum sich die Zeiten im Fußball geändert haben. Früher hätten die Vertragsmodalitäten die Vereinstreue eines Spielers begünstigt. Er erwähnte nicht, dass das Bosman-Urteil den Wandel im Geschäft begünstigt habe, beschrieb aber den heutigen Zustand: Es gebe schnellere Vereinswechsel und mehr Professionalität unter den Spielern. Dennoch befand Schumacher: „Ohne Leidenschaft hast du keinen Erfolg.“

Die Kehrseite der Kommerzialisierung beklagte Dieter Dehm. Der 61-jährige Linken-Vorständler und Fußballer-Sohn beklagte die zunehmende Kommerzialisierung im Fußball. Seiner Meinung nach geht sie zu Lasten der Amateur-Clubs in Deutschland und zu Lasten des Fußballs in Schwellenländern, in denen keine Millionen für Profis gezahlt werden können. Dehm warb dafür, dass die DFL Mehreinnahmen aus dem TV-Rechtegeschäft an die Amateur-Clubs weiterreichen solle. Der Musiker und Mitgesellschafter von „Hitradio FFH“ argumentierte übrigens viel kommerzieller, als es das landläufige Vorurteil einem Politiker der Linken zutraut. Grundsätzlich, so Dehm, solle unternehmerische Leistung schon wirtschaftlich belohnt werden.

...und "Waldi" Hartmann outet sich als Bayern-Fan

Genau das reklamierte Udo Lattek für sich. Als Bayern-Trainer habe er im Verein mit dem damaligen Jung-Manager Uli Hoeness sein Team mit Zukäufen von Gegnern stärken und deren Ex-Clubs schwächen wollen. Lattek stand auch für die Meisterschaftsansage; ein Spitzenclub müsse den Titel wollen.

Zum FC Bayern hat Sportreporter Waldemar Hartmann (64) ein ganz besonderes Verhältnis. Der ehemalige ARD-Fußballkommentator outete sich als Fan. Jenseits der professionellen Reporter-Ebene seien über die Jahre persönliche Kontakte entstanden; es gebe „Sympathien“. Zugleich beklagte Hartmann die Auswirkungen zunehmender Professionalisierung. Die Distanz zwischen Journalisten und Spielern wachse – wie auch zwischen Sportlern und Fan-Clubs. Somuncu sprach sich für eine „Entschleunigung“ des Geschäfts aus. Wie das gehen soll, verriet er allerdings nicht.

Als Fehlbesetzung im Talk erwies sich übrigens Sky-Reporterin Esther Sedlaczek (26). Sie war kurzfristig für die Grünen-Politikerin Claudia Roth eingesprungen. Allerdings saß Sedlaczek meist auf der sprichwörtlichen Reserve-Bank, und ihre Einwürfe waren kaum mehr als verbale Flachpässe.Dabei erweckte Wills Runde nur selten den Anschein, ein öffentlich-rechtlicher Fußball-Stammtisch zu sein. In einem Punkt jedoch waren Gäste nahe bei der Fan-Folklore. Anstatt isotonische Getränke zu sich zu nehmen, süffelte Dehm am Rotspon, und „Waldi“ Hartmann zischte sich, wie gewohnt, ein Weizenbier.