Essen. Für Entwicklungsminister Dirk Niebel war’s eine extrem undankbare Talk-Show: Der Liberale versuchte sich bei Anne Will in der Debatte um den Zustand seiner Partei nach dem Lindner-Rücktritt in Floskeln zu retten – und wurde verbal gesteinigt. Denn die FDP ist am Ende, so der Konsens der Runde.
Die FDP ist in einem bemitleidenswerten Zustand: Die Partei ist über die Frage des Euro-Rettungsschirms völlig zerstritten, die Führung offenbar in Auflösung, ein Hoffnungsträger, der bisherige Generalsekretär Christian Lindner, durch die Hintertür verschwunden – dann gibt’s auch noch die unseligen Talkshows, wo die verbliebenen liberalen Würdenträger erklären müssen, was in der ältesten politischen Bewegung Deutschlands gerade vor sich geht.
Politisches Blabla von FDP-Politiker Niebel bei Anne Will
In der gestrigen Ausgabe von Anne Wills Polit-Zirkus übernahm Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel diese undankbare Aufgabe. Niebel gilt als bulliger Rhetoriker, aber wo nichts zu erklären ist, ohne peinliche Details offen zu legen, da bleibt nur die Flucht in die Floskel. Niebel versuchte das und zitierte aus Lindners Rücktritts-Begründung: Durch diesen Schritt gebe es neue Dynamik in der Partei. Man müsse nach vorne sehen – politisches Blabla. Beinahe logisch, dass ihm die übrigen Debattenteilnehmer das nicht durchgehen ließen.
Der mittlerweile in wirklich jeder Talkshow auflaufende Stern-Chefredakteur „für Sonderaufgaben“ (Talkshows), Hans-Ulrich Jörges, brachte immerhin auf den Punkt, was einigen Beobachtern als eine der plausibelsten Erklärungen für Lindners Schritt gilt: „Was wir erlebt haben, ist nicht das politischen Ende von Christian Lindner, sondern das von Philipp Rösler“. Der FDP-Chef und Wirtschaftsminister, so Jörges, sei vollkommen inkompetent und überfordert. Er werde spätestens nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein abgesägt. Lindner habe sich rechtzeitig abgesetzt, um nicht in den Abwärtsstrudel gerissen zu werden.
Liberalen-Bashing in der ARD
Die durchaus stringente Theorie war allerdings nur die Einleitung für das folgende Liberalen-Bashing. Auszüge: Der frühere NDR-Chefreporter, Publizist und bekennender Ex-FDP-Wähler Christoph Lütgert erwartet sogar „das Ende der FDP“, die Partei habe inhaltlich so abgewirtschaftet (Stichwort Steuerentlastung für Hoteliers), dass sie unrettbar sei. Die Schriftstellerin Thea Dorn, die sich ebenfalls zum bürgerlich-freiheitlichen Lager rechnet, wirft der Partei vor, dass sie die große Idee des Liberalismus – immerhin eine der Grundlagen für die Schaffung demokratischer Staaten – politisch „gegen die Wand gefahren“ hat“.
Jürgen Trittin, dessen Partei derzeit in den Umfragwerten schwebt, wo die FDP einst hinwollte, bevor der politische Ikarus-Effekt einsetzte, sieht’s ein bisschen differenzierter: Er wirft der Parteiführung grobe taktische Fehler beim Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm vor. Diese partei-interne Abstimmung richtet sich gegen einen Beschluss, den die Parteispitze in der Koalition mit der CDU ausgehandelt hat: den Euro zu retten, auch um den Preis höherer Lasten für die Bundesbürger.
Die FDP habe derzeit keine Antworten auf die wichtigsten politischen Themen
Anstatt dann aber diesen Beschluss in der Debatte mit der Basis zu verteidigen und durchzusetzen, versuche die Parteispitze nun, das Mitgliedervotum vorab zu diskreditieren und durch „Verfahrenstricks“ (Trittin) auszuhebeln. Das habe die amtierende Führung enorme Glaubwürdigkeit gekostet. Und Jörges setzt noch einen drauf: Rösler sei Wirtschafts -, Westerwelle Außenminister – und weder vom einen noch vom anderen habe man in den vergangenen Wochen grundlegende Diskussionsbeiträge zur Rettung des Euro oder der EU gehört – wiewohl die Themen in die Kernkompetenz der jeweiligen Ministerressorts fallen – und die Bürger auf Erkärungen warten. Die FDP habe derzeit keine Antworten auf die wichtigsten politischen Themen.
Und Trittin stellt die Frage aller Fragen: Was wird, wenn die FDP-Basis den Rettungsschirm doch ablehnt? Dann wäre die Koalition am Ende. Der tapfere Niebel will diese Spekulation nicht gelten lassen. Seine Sicht der Dinge: Die Partei habe um die Euro-Rettung gestritten, das ist normal in einer Demokratie, am Freitag ist die Sache beendet, es gebe keine Mehrheit gegen die Euro-Rettung – und die Koalition funktioniert weiter.
Peter Altmaier, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU und Merkel-Intimus fordert gar: Wenn es anders kommt, tritt automatisch Plan A in Kraft. Will heißen: Im Falle, die Mitglieder würden den Euro-Rettungsschirm doch ablehnen, müsse sich der FDP-Vorstand angesichts der schweren Krise Europas eben über diesen Basis-Beschluss hinwegsetzen. Dann allerdings dürfte das Schicksal der Liberalen tatsächlich entschieden sein. Dann gäbe es richtig Dynamik – abwärts, die Partei würde zerbrechen.