Berlin. Christoph Schlingensiefs Spezialität war die Gratwanderung zwischen Groteske und bitterer Realität. Selten kam das so stark zum Ausdruck wie bei dem Stück “Eine Kirche in mir“ über seine tödliche Krankheit. ZDFkultur zeigt das Projekt des 2010 verstorbenen Aktionskünstlers am Donnerstag.
Er schnitt sich vor laufender TV-Kamera Wunden ins Gesicht, trug ein riesiges Kruzifix durch die U-Bahn und sprach mit Rudolph Moshammer über das Thema "Sind Tiere die besseren Menschen?" Aktionskünstler Christoph Schlingensief, der 2010 mit nur 49 Jahren starb, hat nicht nur im Kino, auf der Weltkunstschau Documenta oder im Opernhaus von Bayreuth Spuren hinterlassen. Mit tabuloser Anarchie schenkte er dem deutschen Fernsehen einzigartige Talkshows - zu Unrecht vergessene, kurzlebige Kostbarkeiten wie "U 3000", im Jahr 2000 auf MTV zu sehen.
An einer Stelle konfrontiert er dort die armen Schlager-Schwestern Maria und Margot Hellwig in einer dicht gedrängten U-Bahn mit einem chronisch kranken Ehepaar, das von Sozialhilfe lebt. "Man darf auch mal über seine Krankheit lachen", skandiert er da.
"Auch mal über die Krankheit anderer." Schlingensief hielt sich daran. Als 2008 bei ihm selbst Lungenkrebs festgestellt wurde, sprach er offen darüber. Und er schrieb ein Oratorium, das am Donnerstag (13. Februar) auf ZDFkultur um 22.25 Uhr zu sehen ist: "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir".
"Ein Fleck auf einem Röntgenbild"
Schlingensief hatte ein Stück, das ursprünglich auf einen eher politischen Auslöser zurückgegangen war, zu etwas sehr Persönlichem weiterentwickelt. "Die "Kirche der Angst" entstand zur Zeit der New Yorker Terroranschläge vom 11. September 2001, wo jeder jeden verdächtigt hat", sagte Schlingensief zur Uraufführung in Duisburg.
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Inzwischen, im Jahr 2008, gehe es um "eine ganz persönliche Angstkirche", den Krebs in seinem Körper. Schlingensief war Nichtraucher. Er hatte nicht mit der Krankheit gerechnet, musste damit umzugehen lernen. "Ich war ja praktisch mit meiner Arbeit bis dahin quasi in einem Hochgeschwindigkeitsrausch und wurde plötzlich angehalten, mit einem Fleck auf einem Röntgenbild."
Kunst und Leben sind nicht voneinander zu trennen
Schlingensief montiert im Stück Super-Acht-Filme von seinem Leben seit frühester Kindheit mit Aufnahmen von Krebszellen. Dazwischen verstörende Bilder: eine Prozession von Menschen mit Tierköpfen, die Umrisse von Schlingensief mit Taschenlampe im Klinikbett. Er erzählt von seiner Krankheit - mal ruhig, mal mit tränenerstickter Stimme. Nachrichten von seinem Anrufbeantworter. All das ist eingebettet in eine Bühnenszenerie mit dem bunten Prunk einer päpstlichen Messe.
Ein Jahr, bevor die Krankheit ihn tötete, zeigte Schlingensief das Stück beim Berliner Theatertreffen. Diese Aufführung ist bei ZDFkultur zu sehen. In der Begründung der Jury zur Auswahl heißt es: "Dieses Fluxus-Oratorium ist beseelt von der Idee, dass Kunst und Leben nicht voneinander zu trennen sind." Das Stück sei "höchst ergreifend und von einer Unmittelbarkeit, der man im Theater selten begegnet". (dpa)