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Christoph Schlingensief hat über seine Krebserkrankung ein öffentliches Tagebuch geschrieben. Er hat den drohenden Tod zu Theater gemacht: Eine seiner Arbeiten zeigt dort, wo sonst in der Monstranz die Hostie steckt, ein Röntgenbild der Lunge.

Man möchte die Formel vom „öffent­lichen Sterben” gebrauchen, aber das trifft es schlecht. Schlingensief, der Umstrittene, hat das Gegenteil getan, er hat dem Sterben etwas entgegengesetzt: fast bis zuletzt sein sichtbares, trotziges Leben, dessen Grundpfeiler bekannte Größen waren: entwaffnende Offenheit und künstlerischer Wagemut.

Der Tod eines Menschen ist kein Kommentar-Thema. Aber Christoph Schlingensiefs Tod lässt einen Blick auf diese Gesellschaft zu, auf ihre Überforderung hinsichtlich eines Themas, das alltäglich sein sollte, aber so weit davon entfernt ist, wie nie zuvor. In der Antike beschrieb man Tod und Schlaf noch als Zwillinge. Und der Dichter ­Mat­thias Claudius hat im Tod einen Freund gesehen.

Nicht verbittert

Das sind Vorstellungen, die unmöglich geworden sind für unsere Zeit, in der eine Größe stört, die nur für eines steht: das Ende. Christoph Schlingensief hat das sehr ehrlich und fast humorvoll benannt: „Ich bin nicht verbittert, aber ich bin beleidigt.”

In einer Gesellschaft, in der sich nicht nur die Kunst grenzenlos ausleben kann und der Mensch das Maß ist, fällt dem Tod eine Außenseiterrolle zu, die er früher nicht hatte. Er ist die Disziplin, die wir nicht beherrschen, die letzte unbekannte Größe. Täglich verlängern wir das Leben – ahnungslos, vor wem oder was wir Aufschub erlangen.

Tabu und Faszinosum

Seltsame Koexistenz von Tabu und ­Faszinosum: Dieselben Menschen, die über Wochen in aller Akribie das Sterben eines Papstes oder das Todesmysterium des King of Pop verfolgen, halten die Gegenwart eines verstorbenen Angehörigen keine Stunde aus. Es kann gar nicht schnell genug der Bestatter vorfahren.

Zugleich prosperiert ein Markt, der noch im Tode Bedürfnissen von Unverwechselbarkeit Rechnung trägt, um nur nicht gegen den großen Gleichmacher zu verlieren. Wir gehen im Designer-Sarg und originellen Beisetzungs-Kreationen. Oder so, als ob wir gar nicht dagewesen sind: anonym.

„Es kann doch nicht sein, dass nichts von einem bleibt, wenn man tot ist”, war ein verzweifelter Satz, den Christoph Schlingensief zuletzt oft gesagt hat. Er hat alles getan, damit etwas blieb. Sonntagnacht schrieb jemand ins virtuelle Kondolenzbuch: „Hab’ das Genie zu spät erkannt.“ Ein Satz, der auf tragische Weise passt in Schlingensiefs wütende Chronik eines zu frühen Abschieds.