Essen/Dortmund. Der italienische Startenor Vittorio Grigolo über das Singen im Vatikan, Luciano Pavarotti und das Beten vor dem Auftritt. Mit seinem jüngsten Album kehrt er in die Sixtina zurück: Auf „Ave Maria“ singt er geistliche Lieder. Im November ist Grigolo in Essen und Dortmund zu erleben.

Als Bub sang er im Knabenchor der Sixtinischen Kapelle. Mit 13 stand er als Hirtenjunge neben Pavarotti in Puccinis „Tosca“ auf der Bühne. Viel ist Vittorio Grigolo an der Wiege gesungen worden. Heute behauptet sich der 36-Jährige aus Arezzo als Held im Italienischen Fach. Mit seinem jüngsten Album kehrt er in die Sixtina zurück: Auf „Ave Maria“ (Sony) singt er geistliche Lieder – und die Chorknaben stimmen gottgefällig ein. Lars von der Gönna sprach mit Grigolo über das Singen im Vatikan, Pavarotti und das Beten vor dem Auftritt.

Herr Grigolo, Sie sind oft mit Luciano Pavarotti verglichen worden. Nervt es oder schmeichelt es, wenn man als „neuer Pavarotti“ bezeichnet wird?

Vittorio Grigolo: Nein, gar nicht. Ich glaube, wie er schaffe ich meinen eigenen Raum, so wie es nach mir wieder jemand tun wird, es ist ja nur eine Episode. Seine letzte Unterrichtsstunde hat Pavarotti mir gegeben, das macht mich sehr stolz. Er war immer voller Energie und Liebe, wenn er mit mir geredet hat, um seine Geheimnisse zu vermitteln. Ich weiß, er hilft mir jetzt immer noch, von oben. Es ist eine Wahnsinns-Karrierchance, und wir dürfen sie nicht verschenken.

Als Sie zusammen die „Tosca“ gesungen haben, hat er ihnen eine prophetische Widmung auf sein Autogramm für Sie geschrieben: an Vittorio, den Ersten.

Grigolo: Oh, das war ein sehr großer Moment für mich! Ich war ein bisschen nervös, aber Luciano hat immer hinter der Bühne auf mich gewartet und mich mit Komplimenten und Aufmerksamkeiten gestärkt, dass meine Aufregung wieder verschwand. Daran werde ich mich ewig erinnern.

Sie wirken furchtlos, Sie haben den Alfredo in der „Traviata“ höher als die allermeisten anderen Tenöre gesungen – lieben Sie das Risiko? Schließlich fahren Sie ja auch einen Porsche...

Grigolo: Nein, ich liebe nicht das Risiko, aber ich mag es, das Limit, den Rand, die Grenze zu finden. Ich fordere mich gern heraus und brauche immer etwas, das alle meine Sinne stimulieren kann und mich das Leben fühlen lässt.

Zwei Konzerte

Vittorio Grigolo singt gleich zweimal in unserer Region: Am Samstag, 9. November, in der Essener Philharmonie (Karten: 15-105 Euro), sowie am Montag, 11. November, im Dortmunder Konzerthaus (22,40-128 €), Beginn: jeweils 20 Uhr.

In der Begleitung der Filarmonica della Scala singt Grigolo Arien von Donizetti und Puccini.

Da ist auch die Sehnsucht, es immer besser zu machen. Aber sicher, mir ist klar, dass das nicht geht, weil wir Menschen sind und der Körper keine Maschine ist. Und das ist ja auch etwas Besonderes: Die Unzulänglichkeiten machen uns einzigartig! Und wenn wir unbedingt was riskieren wollten, sollten wir dafür sorgen, dass wir allein sind, so dass wir nicht zum Risiko für andere werden.

Mit all den Verpflichtungen klarzukommen, die das Leben eines Stars in der Klassik mit sich bringt – Fototermine und ähnliches – scheinen Sie nicht sonderlich zu stören. Wie denken Sie über die Kommerzialisierung der Klassik?

Grigolo: Ich denke, das ist eine notwendige Entwicklung, wenn wir ein größeres, jüngers Publikum mit Oper und Klassik vertraut machen wollen. Die Welt ändert sich und die Sprache mit ihr, wie wir Musik kaufen, wie wir ihr lauschen... Wir müssen unsere Musik dahin bringen, wo sie von unserem künftigen Publikum wahrgenommen und genossen wird, wenn wir diese unglaubliche, schöne Musik in den Herzen vieler am Leben heralten wollen. Ein Diamant muss gesehen werden! Wenn wir ihn in der Tasche tragen, warum sollten wir einen kaufen?

Auf der Bühne strahlen Sie extreme Gefühle wie Liebe, Hass oder Schmerz aus – kommen diese Gefühle von alleine auf, wenn Sie Verdi oder Puccini singen?

Grigolo: Wenn ich auf der Bühne bin, bin ich nicht länger Vittorio, ich bin die Person, die Rolle... oder vielleicht beides. Es ist keine bewusste Anstrengung, es ist natürlich für mich. Ich fühle, was meine Bühnenfigur fühlt, ihren Schmerz, ihre Freude, ihren Zorn, ihre Leidenschaft. Erst wenn der Vorhang fällt, kehrt Vittorio schließlich zurück – oder vielleicht auch nicht. Manchmal würde ich es vorziehen, niemals wieder zurückzukehren.

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Von Lars von der Gönna

Nach all dem Opern-Repertoire, das Sie gesungen haben, legen Sie nun ein sehr spirituelles Album vor. Unlängst haben Sie gesagt, da sei eine „dunkle Seite“ in ihnen. Ist dieses Album ein Weg, Licht und Weisheit aufzuspüren?

Grigolo: Das Ave Maria zu machen, war der natürliche nächste Schritt, die Geschichte meiner Herkunft zu erzählen. Seit ich ganz klein war, sind diese Lieder Teil meines Lebens gewesen. Die Chance, sie aufzunehmen und sie mit der Welt zu teilen, war etwas, von dem ich lange Zeit geträumt habe. Es ist eine Verbeugung vor all den Leuten, die mir geholfen haben, vor den Stunden, die wir studierend und übend in den kleinen Räumen einer Kapelle verbracht haben, und vor der unglaublichen Musik, die wir zusammen gesungen haben.

Als Sie Kind waren, haben Sie für den Papst gesungen – wie erinnern Sie sich an die Atmosphäre im Vatikan?

Grigolo: Ich war Solist im Chor der Sixtinischen Kapelle, und in der Tat war die Atmosphäre angespannt. Das erste Mal vor Johannes Paul II., das war ein wirklich inspirierender Moment. Nach Aufführung hat er uns allen gratuliert und mir ganz besonders. Ich habe ihn später als Erwachsener noch einmal getroffen, aber es war nicht mehr dasselbe wie in Kindertagen. Wenn wir mitten in der Kindheit sind, scheint alles unglaublicher, spannend und riesig zu sein – und manchmal übernatürlich wie dieser magische Moment. Der Vatikan ist eine kleine Stadt in Rom.

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Wenn man sie betritt und die Mauern passiert, fühlst du buchstäblich, dass sich etwas verändert hat. Es fühlt sich manchmal so an, als ob man dort sogar eine andere Luft einatmet. Wir betreten die geheimnisvolle Welt des Glaubens. Eine Welt, aus der man nicht wieder zurückkehren kann, sobald man sie betreten hat. Es macht dich irgendwie besser. Der Glaube ist etwas, das den Unterschied ausmachen kann. Vielleicht ist es wirklich der Glaube, der mich auf diesem Album inspiriert hat. Ich musste viel davon haben, um in den alten Archiven des Vatikans die Musik zu finden, die ins Heute passt. Es war nicht einfach, manchmal musste ich Musik hinzufügen, an die ich mich erinnerte. Schließlich hat alles geklappt und der Traum ist Wirklichkeit geworden.

Ihr Kollege Mario del Monaco hat sich Weihwasser aufs Kostüm geträufelt – und was tun Sie? Darf ich Sie fragen, ob Sie beten, bevor sie auf die Bühne gehen?

Grigolo: Ich glaube, Mario del Monaco war nicht so weit weg von dem, was ich tue. Ja, ich bete, bevor ich singe, und stelle mir die Bilder all jener vor, die mir Tag für Tag geholfen haben auf dieser langen Strecke, die eine unendliche Geschichte zu sein scheint. Ich benutze aber auch ein feuchtes Handtuch voller Eiswasser, um meine Nase feucht zu halten. Und ich trinke eine Mischung aus Eis, Cola und Wasser – mein geheimer Zaubertrank! Weihwasser gibt es ja leider üblicherweise nur in kleinen Portionen, um die Stirn zu benetzen – ich finde, wir sollten die Wände damit tränken! Je mehr, desto besser! Und es ist umsonst. (lacht)