Essen.. Der eine ein Grandseigneur des Verdi-Gesangs, die andere verdankt ihren internationalen Durchbruch der „Traviata“ des italienischen Komponisten. Nun bringen Plácido Domingo und Anna Netrebko ihre Beiträge zum 200. Geburtstag des Operngenies heraus.
Was tut ein Tenor, der seinem geliebten Verdi zum 200. Geburtstag gratulieren möchte, aber laut Einwohnermeldeamt von Madrid schon stolze 72 Jahre alt ist? Er singt einfach eine Etage tiefer.
Präsenzkünstler von Gnaden
Plácido Domingo, der Sänger, zu dem die Massen auch im Alter ungebrochen strömen, hat sich auf diesen Coup in aller Ruhe vorbereitet. Er, Bühnenmagier und Präsenzkünstler von Gnaden, hat in den letzten Jahren in London oder Berlin als Bariton Verdi stilvoll ausgeleuchtet, allen voran den noblen Dogen „Simon Boccanegra“.
Auch zwei große Arien Boccanegras finden sich auf Domingos „Verdi“ (Sony Classical, ca. 17€). Seine Kollegin Edda Moser schwärmte erst kürzlich vom „dunklen Gold“, das die Kehle des Spaniers birgt. Erhalten hat sich das Wunder Domingo diese Schönheit bis heute.
Aber als viel kostbarer fällt auf diesem Album seine Ausnahmebegabung auf, zutiefst anzurühren, Gesang nie als zirzensisches Kunstwerk sondern als Klang gewordenes Gefühl zu begreifen. Puristen könnten in Domingos Baritonrepertoire, das von Rigoletto über Posa bis zu Vater Germont und Graf Luna reicht, die Farben abgründiger Ambivalenz vermissen und ein stärker gewordenes Vibrato beklagen.
Fans hingegen werden das Album im Verdi-Jahr nicht missen wollen. Jungstar Pablo Heras-Casado und Valencias Sinfonier begleiten das Projekt mit jener angemessenen Würde, die Wucht nicht ausschließt.
Enormer Farbenreichtum
„La Traviata“ war die erste Verdi-Paraderolle von Anna Netrebko. Aber zwischen der schwindsüchtigen Kurtisane und anderen Frauenfiguren des Komponisten, einer Lady Macbeth etwa und einer Elisabeth in „Don Carlos“, liegen stimmlich Welten. Die lotet La Netrebko in ihrem aktuellen Album „Verdi“ (Deutsche Grammophon, ca. 15 €) aus. Und der Hörer merkt fasziniert: Hier bereitet sich ein Fachwechsel von lyrisch zu dramatisch vor.
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Anna Netrebko identifiziert sich leidenschaftlich mit Verdis Heldinnen und verleiht ihnen eine vibratosatte Stimme, in der die quecksilbrige Sopran-Leichtigkeit früherer Tage zwar noch aufblitzt, aber durch Farbenreichtum im dunklen Spektrum und einen enormen Ambitus ergänzt wird. Verdi-Spezialist Gianandrea Noseda und das Orchester Teatro Regio Torino lassen dazu die Partitur erstrahlen.
Dramatische Sopran-Heroine
Keine Sängerin vor ihr hat ein so großes opernfernes Publikum erreicht. Anna Netrebko ist ein Popstar. Daher werden auch alle Aspekte ihres Lebens öffentlich diskutiert: ihr Gewicht seit der Geburt ihres Sohnes, die vermutete Krise ihrer Beziehung mit Bassbariton Erwin Schrott – und ihre Stimme, dieser lebendige Sopran, der Millionen in seinen Bann zieht.
Eigentlich kann die Russin live auf der Bühne am ehesten ihren Zauber entfalten. Doch nun wird klar, warum sie fünf Jahre mit der Veröffentlichung eines neuen Studio-Albums gewartet hat. Denn das erweist sich als Eintrittskarte in die Welt der dramatischen Sopran-Heroinen, vor allem der Leonora aus dem „Trovatore“.