Essen. Das dürfte die Kulturszene an Rhein und Ruhr so noch nicht erlebt haben. Ein Pianist wehrt sich wütend gegen einen Handy-Mitschnitt. Krystian Zimerman beim Klavierfestival Ruhr einen Smartphone-Filmer auf frischer Tat ertappt. In Essens Philharmonie unterbrach der Weltstar sein Konzert.
„So massiv habe ich das in einem Konzert noch nicht erlebt“: Franz Xaver Ohnesorg steckt „die Fallhöhe“ noch in den Gliedern. Ohnesorg, Intendant des Klavierfestivals Ruhr, hat am Montag einen denkwürdigen Konzertabend erlebt. Starpianist Krystian Zimerman spielte den Beginn der „Variationen in h-Moll über ein polnisches Thema“ von Karol Szymanowski – und brach ganz plötzlich ab. Das Publikum in Essens Philharmonie hielt die Luft an.
„Würden Sie das bitte lassen?“
„Würden Sie das bitte lassen?!“, sagte Zimerman zu einem Zuhörer, der auf der Empore des Konzertsaals offenbar mit einem Smartphone filmte. Dann verließ Zimerman die Bühne. Kurz darauf kehrte er zurück und wandte sich an das Publik mit der Bitte, seine Nervosität zu entschuldigen. Aus seinen Motiven für die Entrüstung machte der Musiker, der zu den Besten seiner Zunft zählt, keinen Hehl: Wut über Urheberrechtsverletzung. Er habe schon einige Plattenverträge mit der Begründung verloren: „Entschuldigung, das ist schon auf YouTube“, sagte er den Zuhörern im Alfried Krupp Saal. In einer kurzen, aber merklich emotionalen Ansprache, kritisierte Zimerman, die „Vernichtung der Musik“ durch YouTube sei enorm.
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Franz Xaver Ohnesorg zeigte nach dem Konzert vollen Schulterschluss: „Es ist Diebstahl, was da passiert. Das macht einem sensiblen Künstler schwer zu schaffen“. Der illegale Mitschnitt sei von Mitarbeitern der Philharmonie nicht bemerkt worden.
„YouTube macht Plattenverträge zunichte“
Zimerman statuierte ein Exempel. Es markiert die vorläufige Spitze einer Entwicklung, die auf anderen Kulturfeldern längst keine Ausnahme ist. Beim Pop-Konzert sind Handy-Mitschnitte von Zuschauern trotz gleicher Gesetzeslage Massensport. Sei’s der künstlerische Anspruch, sei’s die gestörte Konzentration, sei’s die verletzte Urheberschaft: Klassik-Interpreten reagieren deutlich ablehnender auf Mitschnitte dieser Art.
Die Frage der Urheberrechte
Der Eklat in der Essener Philharmonie lässt eine Debatte neu aufflammen, die die Kulturszene schon lange beschäftigt. Letztlich führt sie immer auf eine Frage zurück: Wem gehört die Kunst? Vor allem die Internetplattform „YouTube“ ist eine gigantische Schatzkammer für Freunde der Umsonstkultur, von Bayreuths Festspielen bis zum Klavierkonzert. Auch zu Krystian Zimerman finden sich dort zahlreiche Seiten. Mal sind es abgefilmte Fernsehauftritte, mal reine Akustik-Aufnahmen vor kitschiger Fototapete, die begeisterte Laien einstellen.
Vielen ist offenbar nicht klar, dass dabei Urheberrechte verletzt werden. Allzu oft gehen Künstler gegen diese Mitschnitte aber nicht an. Warum? „Es ist ein sehr aufwendiges Verfahren“, sagt Franz Xaver Ohnesorg als erfahrener Musikmanager des Klassik-Betriebes, einem Künstler seien sie kaum „zumutbar.“
Dass Menschen glauben, mit ihrer Eintrittskarte auch gleich die Filmrechte erworben zu haben, wundert Ohnesorg. Die Regeln seien eindeutig, seriöse Veranstalter führten sie in ihren Geschäftsbedingungen unter „Obliegenheiten und Pflichten des Kunden“: Beim Klavierfestival etwa so: „Aus urheberrechtlichen Gründen sind jegliche Ton-, Foto- und Filmaufnahmen, auch für den privaten Gebrauch, untersagt.“
Franz Xaver Ohnesorg: „Selbst wenn jemand durch die Veröffentlichung eines abgefilmten Konzerterlebnisses – z.B. auf YouTube – das Recht der freien Meinungsäußerung geltend macht, bleibt das ein illegaler Vorgang.“ (LvG)
Zimermans Hinweis, Gratis-Plattformen machten sogar Plattenverträge zunichte, lässt sich eher als Stimmung in der Musikerszene als durch harte Zahlen nachvollziehen. Sicher ist, dass noch nie so viele Menschen im Besitz von üppigen Musikarchiven waren, für die sie (außer den Kosten für einen Internetzugang) keinen Heller bezahlt haben.
Eklat überschattet ein hervorragendes Konzert
Es wäre einseitig, das Konzert auf einen Eklat zu reduzieren. Der Unterbrechung ging stimmungsvolles Spiel voraus. Zimerman ist ein hochsensibler Vertreter seiner Zunft. Alles musikalisch Aufgebauschte, Laute, künstlich Dramatische ist ihm fremd. Sein aristokratisches Charisma, die noble Kunst des Anschlags, steht für einen Solisten, der stets den Klang sprechen lässt und motivische Verläufe differenziert ausleuchtet.
So hat der Pianist die „Estampes“ und ausgewählte Préludes von Claude Debussy zauberhaft zelebriert, Brahms’ 2. Sonate glutvolle Spannung verliehen und letzthin Szymanowskis Variationen so virtuos wie feinfühlig interpretiert. Über allem schien eine elegante französische Note zu schweben. Selbst im großen Essener Saal glaubte man sich in die Intimität eines Salons versetzt. Wie sollte das wohl ein Smartphone-Filmchen einfangen?