Essen. In unserer Serie zum 200. Geburtstag des Opernkomponisten sprechen Prominente über ihr Verhältnis zu Richard Wagner. Für den berühmten Bass Franz-Josef Selig war die Begegnung ein spätes Erlebnis. Sie sollte sein ganzes Leben verändern.
Mein Wagner? Heute kann ich das ganz locker sagen, damals war es mir fast peinlich: Ich war 24 und hatte noch nie eine Oper gehört. Wenn man sieht, wo ich heute stehe, ist das verrückt. Aber ich war ja ausgebildeter Kirchenmusiker, dessen musikalische Welt sich um Buxtehude, Bach, und Max Reger drehte
Und dann gleich Wagner und in Bayreuth. Ich hatte ein Stipendium bekommen. Opern waren mir vollkommen fremd. Und nun saß ich in diesem Haus und hörte „Meistersinger“, „Tannhäuser“ und „Tristan“. Ich war vollkommen überwältigt. Aber gleichzeitig war ich so weit davon entfernt, dass ich mir nie hätte träumen lassen, drei Jahre später auf der Aalto-Bühne zu stehen.
„Da kamen mir die Tränen.“
Wagner zu singen ist für mich immer etwas Besonderes geblieben. Er hat Wesen geschaffen, die ihresgleichen suchen. Eine Figur wie „Marke“ aus „Tristan und Isolde“ gibt es kein zweites Mal in der Opernwelt. Wagner zeigt einen König, der sehr ehrlich und auch sich selbst gegenüber schonungslos über eine emotionale Niederlage und Verletzung spricht. Das ist so erschütternd, das geht einem immer wieder nah. Ich habe die Partie überall auf der Welt gesungen, sie lässt mich nie kalt.
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Wagner habe ich viel zu verdanken, die „Marke“-Rolle vor allem. Aber als ich in Essen zum ersten Mal die längste Bass-Partie Wagners gesungen habe, den Gurnemanz im „Parsifal“, da kamen mir die Tränen, als ich im dritten Akt von der Bühne ging. Natürlich war es auch die anrührende Musik des Karfreitagszaubers. Aber was diese körperliche und seelische Leistung mit einem macht, werde ich nicht vergessen.
„Es ist wie mit einer Droge: Man nimmt sie oder man nimmt sie nicht.“
Klar, habe ich auch Freunde, die mit Wagner nichts anfangen können. Es gibt welche, die Abstand halten, weil sie zu Recht Wagner als Person kritisch sehen, erst recht seine Äußerungen zum Judentum. Bei manchen Zeilen aus den Meistersingern verspüre ich als Kind der Nachkriegsgeneration auch Unbehagen. Aber dann gibt es die anderen, eine ganze Reihe in meinem Fall, die sich meinen Lieblingen „Parsifal“ oder „Tristan“ als Kunstwerke einfach nicht aussetzen können. Ich habe dafür viel Verständnis.
Ich sehe das wie bei einer Droge: Man nimmt sie oder man nimmt sie nicht. Aber ich würde es jedem wünschen, wenn er das erfahren könnte, diesen Sog, den diese Musik ausüben kann.