Essen. . Erlösung oder EKG? In Essen scheint sich Regisseur Joachim Schloemer bei seinem „Parsifal“ für die klinische Lösung entschieden zu haben. Im Wagner-Jahr 2013 verlegt er die Gralsritter ins Zeitalter der Intensivmedizin. Das Premieren-Publikum ließ es erboste Buhs hageln.

200 Jahre Wagner: Wie hält man das Wunder am Klingen? Wie hütet man den Gral seiner großen Opern? Das Rezept, das Joachim Schloemer am Sonntag dem „Parsifal“ im Aalto ausstellte, wird sich schwerlich als Allheilmittel verdient machen. Auf jedes Bravo kamen im Schlussbeifall etwa 100 Buhs. Das Theater war zur Intensivstation geworden. So oder so.

Gewiss, es gibt in Wagners letztem Werk reichlich Stoff, der einen Regisseur dazu führen könnte, Krankheit und nicht enden wollendes Siechtum ins Zentrum seiner Deutung zu stellen, zumal in einer Gegenwart, in der immer mehr Menschen: nicht mehr leben wollen, aber nicht sterben können.

Im Todes-Terrarium aus Glas

Doch ist das gläserne Todes-Terrarium, das Jens Kilians Bühnenbild zum Zentrum macht, geradezu ein Diktat. Wie soll noch Raum sein für Abstraktion um Worte wie „Wunde“ und „Erlösung“, wenn die Bilder wieder und wieder die Reduktion aufs klinische Endspiel attestieren?

Magne Fremmerlid (Gurnemanz) und Jeffrey Dowd (Parsifal). Foto: Thilo Beu
Magne Fremmerlid (Gurnemanz) und Jeffrey Dowd (Parsifal). Foto: Thilo Beu

Amfortas jedenfalls, König der Gralsritter, scheint Privatpatient zu sein und unbelehrbar dazu. Ein halbes Dutzend Mal (erst der Sänger, später ein Statist) purzelt der Blutende aus dem Bett. Es helfen eiligen Schrittes: Chefarzt, Schwestern, Putzkolonne, schließlich Hausjuristen des Spitals.

Diese Endlos-Schleife aus dem Pflege-Alltag ist der Hauch des Operntodes: Willig tauscht man den Atem der Kunst gegen ein Mysterium der künstlichen Beatmung.

Diese Einengung ist auch deshalb traurig, weil mit dem Wagner-Abend die Intendanz eines bedeutenden Künstlers unserer Region endet. Wahrlich, man hätte Stefan Soltesz, dessen zwingende Musikalität und schlaue Politik dem Aalto in 15 Jahren überregionale Strahlkraft schenkte, Besseres gewünscht.

Wundervolle Philharmoniker: Weihe ohne Weihrauch

Dabei tut Soltesz an diesem Abend viel, um den Ausnahmerang des Hauses zu betonen. Wie vital (fast als Kritik der am Ende vermüllten Beckett-Bühne) der „Parsifal“ der Essener Philharmoniker klingt! Wie klar und leuchtend Soltesz die Opposition der (Schein-)Welten verwebt, ohne dass Weihe je nach Weihrauch klingt. Nichts wird geschleppt, nichts getrieben. Zum Klang wird hier der Raum!

Bordell mit Damen im Kunstpelz 

Oben aber, in Schloemers Versuch, die Geschichte zu übersetzen, ist der Zustand allenfalls stabil. Wer diese Grals-Gesellschaft ist, die ohne einen Toren wie Parsifal verloren scheint, darüber schweigt sich die Szene aus.

Jeffrey Dowd (Parsifal) und die Blumenmädchen. Foto: Thilo Beu
Jeffrey Dowd (Parsifal) und die Blumenmädchen. Foto: Thilo Beu

Da hilft uns der wissende Ritter Gurnemanz (Magne Fremmerlid zwar leicht röhrend, aber mit fast italienischem Timbre) wenig. Er hockt mit Rüschenhemd und Karteikärtchen als Talk-Onkel im Designersessel. Es hilft nicht die (tanzende) Verdoppelung der Sünderin Kundry und nicht die „Dark Side“ des Zauberers Klingsor.

Sein Garten ist augenscheinlich ein Bordell mit Damen im Kunstpelz (Kostüme: Nicole von Graevenitz). Sie tragen drei Sorten T-Shirts, manche mit „S“, manche mit „E“, dritte mit „X“. Dürfen wir lösen, Frau Gilzer? Buchstabiert so eine Regie, die ihr Publikum für dumm hält?

Schloemers inszenatorische Hausapotheke blieb auf manchen im Parkett nicht ohne Wirkung: Es gab Menschen, die verloren nach zehn Minuten vorübergehend das Bewusstsein – und schliefen ein.

Kitsch ist auch keine (Er-) Lösung

Pflegefall Parsifal? Nein, schon der Philharmoniker wegen nicht. Die Chöre (gelegentlich leicht grobkörnig) leisten viel. Und von Jane Duttons fahl-schriller Kundry abgesehen, hört man solide Sänger.

Yara Hassan (Kundry – Alter Ego), Jeffrey Dowd (Parsifal) und Jane Dutton (Kundry). Foto: Thilo Beu
Yara Hassan (Kundry – Alter Ego), Jeffrey Dowd (Parsifal) und Jane Dutton (Kundry). Foto: Thilo Beu

Bewährte Wagner-Stützen des Hauses sind Jeffrey Dowd in der Titelrolle und Almas Svilpa, der einen überraschend zurückhaltenden Klingsor singt. Heiko Trinsingers Amfortas hat noch in der Verausgabung am Ende allen Leidens packende Momente . Da aber lässt Schloemer 100 Statisten in Alltagskleidung den Gral finden: Ein Kind im Soldatenmantel bietet eine Leuchtkugel feil. Kitsch ist auch keine (Er-)Lösung.

Operation misslungen. Dass der Patient tot ist, war bei Redaktionsschluss nicht zu bestätigen. Dem Vernehmen nach ist Wagner einfach nicht kaputtzukriegen.

Termine: 24./31.3.;7./28.4; 15./30.6. Tel. 0201-8122200