Berlin. Bei dem mauen Wettbewerb geht der Goldene Bär nach Norwegen, die Darstellerpreise an die USA. Das deutsche Kino bleibt ohne Auszeichnung.

Der Berlinale-Bär hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren, gerade im Vergleich zu der Palme in Cannes und dem Löwen in Venedig. Ein deutscher Regisseur, dessen Film in einer anderen Sektion lief – wir wollen keinen Namen nennen –, darauf angesprochen, ob er traurig sei, nicht im Bärenrennen zu laufen, meinte, seine Produzenten seien heilfroh, denn ein Bär bedeute: ein Ladenhüter im Kino.

Auch interessant

Auch in diesem Jahr war der Wettbewerb eher Mittelmaß

Ein Preis im freien Fall? Todd Haynes wurde auch deshalb in diesem Jahr zum Präsidenten der Internationalen Jury ernannt, um eine sanfte Kurskorrektur gegenüber den letzten Jahren zu verfolgen. Ganz gelungen ist das seiner Jury nicht.

Aber sie hatte es auch nicht leicht. Denn so gut die Berlinale insgesamt gelaufen ist und so glamourös und star-bestickt der Teppich war - der Wettbewerb, der ja eigentlich das Schaufenster eines jeden Festivals sein soll – , er war auch in diesem Jahr eher mittelmäßig. Zwar keine ganz großen Ausreißer nach unten (das gab es ja auch schon), aber auch kein Meisterwerk, das über alles hinausragte. Dafür ganz viele Filme, die oft nur Zustandsbeschreibungen waren und kein Ende fanden.

Berlinale 2025 - «O último azul»
Der Große Preis der Jury geht an „O último azul“ aus Brasilien. © DPA Images | Guillermo Garza

Der Goldene Bär sorgt denn auch gleich für eine Überraschung. Weil viele ihn nicht auf dem Radar hatten. Oder zumindest nicht für den Hauptpreis gehandelt hätten. Er geht an den norwegischen Beitrag „Drømmer - Dreams (Sex Love)“ - und damit an einen queeren Film. Er handelt von der ersten Lieben einer 17-jährigen Schülerin zu ihrer Französischlehrerin, die aber zunächst nur aus dem Off gesprochen wird.

„Drømmer“: Ein sehr dialog- und diskurslastiger Film

Eine Art Tagebuch der Verliebten, wie sich herausstellen wird, das dann später von ihrer Mutter und ihrer Großmutter gelesen und auch mit ihnen diskutiert wird. Ein sehr dialog- und diskurslastiger Film, keine Frage, bei dem die Mutter die Lehrerin wegen Missbrauchs anzeigen will, die Großmutter aber, eine Dichterin, die Poesie der Notizen wahrnimmt und dafür sorgt, dass aus dem Tagebuch am Ende ein richtiges Buch wird.

Ein Film über die Liebe, mit vielen gebrochenen Perspektiven, über das Träumen und das Verlangen, über Enttäuschungen und Verletzungen. Und doch kein Film. Eher ein schön bebilderter Podcast. „Das übersteigt meine kühnsten Träume“, meint Regisseur Dag Johan Haugerud auf der Bühne. ­

„Dreams“ ist der zweite Teil einer Trilogie von ihm, der nun als letzter gezeigt wird, nach „Sex“, der vor einem Jahr im Panorama, und „Love“, der im Herbst in Venedig lief. Vielleicht trifft das Ladenhüter-Urteil hier einmal nicht zu. „Drømmer“ hat zumindest schon einen deutschen Verleih, und der will ab Mitte April sogar alle drei Teile innerhalb sechs Wochen ins Kino bringen, mit „Träume“ als Mittelstück.

Berlinale 2025 - «El mensaje»
Der Preis der Jury geht an den argentinischen Film „El mensaje“. © DPA Images | -

Der Große Preis der Jury geht sehr verdient an den brasilianischen Beitrag „O último azul“ über eine nahe Zukunft, in der alte Menschen weggesperrt werden, damit die Jungen die Wirtschaftsleistung steigern können. Weshalb sich eine ältere Frau auf die Flucht in ein wieder selbstbestimmtes Leben macht. Der Film gehörte zu den wenigen Favoriten dieses Festivals, der immer genannt wurde.

Die Darstellerpreise gehen beide an die USA, Haynes‘ Heimatland

Hauptdarstellerin Denise Weinberg wurde auch immer wieder als Kandidatin für das beste Schauspiel gehandelt, aber da es in diesem Wettbewerb ausgesprochen viele stark gespielte Frauenfiguren gab, ist der Große Preis eine mehr als richtige Entscheidung, den Film zu würdigen. Er wurde wenige Stunden zuvor bei der Preisverleihung der Unabhängigen Jurys auch mit dem Leserpreis der Berliner Morgenpost ausgezeichnet.

Den Silbernen Bär für das beste Schauspiel geht an Rose Byrne für ihre wirkliche Ausnahmeperformance im US-amerikanischen Beitrag „If I Had Legs I’d Kick You“ über eine Frau, die sich als Mutter überfordert fühlt. Auch der Nebendarstellerpreis geht in Haynes‘ Heimat, an einen US-Film: an Andrew Scott für „Blue Moon“.

Berlinale 2025 - «If I Had Legs I·d Kick You»
Für ihre herausragende Performance in „If I Had Legs I’d Kick You“ wird Rose Byrne für das beste Schauspiel in einer Hauptrolle ausgezeichnet. © DPA Images | Logan White

Für diesen Film, einer der raren Highlights des Festivals, doch eher ein Trostpreis. Spielt doch Ethan Hawke als Hauptdarsteller die Rolle seines Lebens. Aber die Schauspielpreise werden ja seit 2021 genderneutral verliehen. Und die für die Hauptdarstellung geht seither immer an Frauen, was sonst wohl auch gleich kritisiert würde. Eine Ungleichbehandlung, die Tricia Tuttle unbedingt stoppen müsste.

Radu Jude, der vor vier Jahren Gold erhält, bekommt jetzt Silber fürs Drehbuch

All diese Preise gehen durchaus in Ordnung. Anders verhält es sich dagegen mit dem Preis der Jury an den argentinischen Beitrag „El Mensaje“ (The Message) über ein Mädchen, das die Nöte von Tieren versteht. Ein Film, bei dem praktisch nichts passiert, bei dem es keine Entwicklung und auch kein Ende gibt. Und wo das Ladenhüter-Prinzip mal wieder zu gelten scheint.

Auch der Drehbuchpreis an Radu Jude für „Kontinental ’25“ verwundert. Jude, der vor vier Jahren den Goldenen Bären gewann, hat für seine sozialkritische Satire zwar einen starken Stoff gewählt: Eine Gerichtsvollzieherin hat Gewissensbisse, als ein Bettler sich bei einer Zwangsräumung erhängt – aber der Film ist eher eine Aneinanderreihung ewig gleicher Gespräche, in der die wechselnden Partner alle wenig Mitgefühl zeigen. Jude war da mit früheren Filmen schon genauer und bissiger, „Kontinental ’25“ rangiert weit dahinter. Und der Preisträger meint auf der Bühne selbst, wie komisch das sei, für das Drehbuch ausgezeichnet zu werden, wo er doch „ein schlechter Drehbuchautor“ sei.

Silberner Bär für das beste Drehbuch: „Kontinental ’25“ von Radu Jude.
Silberner Bär für das beste Drehbuch: „Kontinental ’25“ von Radu Jude. © © Raluca Munteanu | © Raluca Munteanu

Der Bär für die beste Regie geht nach China, an Huo Meng, für „Sheng xi zhi di (Living the Land)“, der von einem kleinen Jungen erzählt, der auf dem Land im China der 90er-Jahre von einem ganzen Dorf erzogen wird, weil seine Eltern in der Stadt arbeiten.

Für Stirnrunzeln sorgt der Bär für die beste künstlerische Leistung

Auch das ist kein Film mit einer klassischen Dramaturgie, eher schön beobachtete und gefilmte Szenen vom Landleben, in dem wie nebenbei die großen Umwälzungen in der Landwirtschaft ins Bild gerückt werden und warum die Leute Landflucht begehen.

Für das meiste Stirnrunzeln sorgt der Bär für die beste künstlerische Leistung, der diesmal an das kreative Ensemble des französischen Films „La tour de glace“ (The Ice Tower) geht. Eine märchenhafte Geschichte in aufdringlichen Symbolen und langsamen, überwiegend dunklen Einstellungen.

Berlinale 2025 - «Sheng xi zhi di»
Der Silberne Bär für die beste Regie geht an den Chinesen Huo Meng für „Sheng xi zhi di“ (Living the Land). © DPA Images | -

Nein, auch diese Bären-Verleihung ist keine Kehrtwende. Sie ist aber vor allem eine dezidiert unpolitische Wahl. Warum bei allem der einzige Dokumentarfilm im Wettbewerb, der ukrainische Beitrag „Strichka chasu“ (Timestamp), gänzlich leer ausgeht, möchte man nicht recht verstehen.

Wird doch da sehr eindringlich gezeigt, wie Schulkinder in der Ukraine mit dem Krieg leben müssen und ihren Unterricht zwischen Gedenkminuten und Luftalarm, in zerschossenen Schulen oder per Teams abhalten müssen. Der Film lief genau einen Tag, nachdem Trump eine Kehrtwende in der amerikanischen Ukraine-Politik hingelegt hatte. Ein Preis wäre da ein echtes Signal gewesen. Die Jury um Haynes, der sich auf der Berlinale durchaus Trump-kritisch gab, hat diese Chance nicht genutzt.

PREISE DES FESTIVALS:

Goldener Bär für den besten Film: „Drømmer – Dreams (Sex Love)“ von Dag Johan Haugerud (Norwegen).

Silberner Bär Großer Preis der Jury: „O último azul (The Blue Trail)“ von Gabriel Mascaro (Brasilien).

Silberner Bär Preis der Jury: „El mensaje“ („The Message“) von Iván Fund (Argentinien).

Silberner Bär für die beste Regie: Huo Meng für „Sheng xi zhi di (Living the Land)“ .

Silberner Bär für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle: Rose Byrne für „If I Had Legs I’d Kick You“.

Silberner Bär für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle: Andrew Scott für „Blue Moon“.

Silberner Bär für das beste Drehbuch: Radu Jude für „Kontinental ‘25“.

Silberner Bär für eine herausragende künstlerische Leistung: Das kreative Ensemble von „La Tour de Glace (The Ice Tower)“ von Lucile Hadžihalilović.

Bester Dokumentarfilm: „Holding Liat“ von Brandon Kramer.

Perspectives - Preis bestes Spielfilmdebüt: „El Diablo Fuma (y guarda las cabezas de los cerillos quemados en la misma caja)“ von Ernesto Martínez Bucio.