Essen. Von der Nazi-Zeit bis in die prosperierende Bundesrepublik inszenierte die Frau aus Köln technisch perfekt eine heile Welt der Betriebe.

Wenn die Fotografin Ruth Hallensleben (1898-1977, kl. Foto) behauptete, ihr Fachgebiet sei „Feld, Wald und Wiese“, war das eine klare Auskunft über ihre Ironiefähigkeit: Hallensleben war herausragend auf dem Feld der Industriefotografie in ihrer Schaffenszeit: Sie fotografierte in Stahlwerken und Zechen, sie lichtete die Koffer-, Strumpf- und Rolleiflex-Produktion ebenso ab wie die NS-Frauenschaft und die hunderttausendste Bombe in der Mönchengladbacher Maschinenfabrik Meer 1941. Ruth Hallensleben ist ein eklatanter Fall jener frühen Frauen­eman­zi­pa­tion mit der Kamera, die Ute Eskildsen als langjährige Chefin des Museums Folkwang mit vielen Ausstellungen und Büchern ins Bewusstsein gehoben hat.

Ruth Hallensleben: Rhein-Herne-Kanal und Kokerei Nordstern, Gelsenkirchen, September 1952.
Ruth Hallensleben: Rhein-Herne-Kanal und Kokerei Nordstern, Gelsenkirchen, September 1952. © Ruhrmuseum | Ruth Hallensleben

Ute Eskildsen war es auch, die Berthold Beitz 1986 dazu überredete, Hallenslebens Nachlass für 145.000 DM anzukaufen, der sich heute im Ruhrmuseum befindet: rund 40.000 Negative, 1500 Abzüge und 190 Kontakt-Alben. Aus der Komplett-Sichtung dieses Schatzes ging die Ausstellung hervor, die ab Montag (10. Februar) unter dem Titel „Bilder im Auftrag“ einen repräsentativen Querschnitt durch Hallenslebens Foto-Werk aus den Jahren 1931 bis 1973 zeigt. Kuratiert hat sie Stefanie Grebe, Foto-Chefin des Hauses.

Ruth Hallensleben vergrub Kamera-Ausrüstung und Negative nach dem Krieg für zwei Jahre

Ein nicht unerheblicher Teil dieser Bilder und Hallenslebens Kamera-Ausrüstung waren zwei Jahre lang, zwischen 1945 und 1947 verbuddelt: „Sie wusste“, sagt Ruhrmuseums-Chef Heinrich Theodor Grütter, „wie brisant das war, was sie da hatte.“ Umso erstaunlicher, aber auch vielsagend, dass Hallensleben nach dieser Abkling-Zeit in der jungen Bundesrepublik erfolgreich weiterarbeiten konnte.

Ruth Hallensleben: Werk Thyssen der Deutsche Röhrenwerke AG, Mülheim an der Ruhr 1935:
Ruth Hallensleben: Werk Thyssen der Deutsche Röhrenwerke AG, Mülheim an der Ruhr 1935: © Ruhrmuseum | Ruth Hallensleben

Das geschah allerdings nicht ganz so bruchlos, wie es die Ausstellung behauptet. Unterschiede lassen sich etwa an den Porträts der Nazi- und Unternehmer-Größe Albert Vögler (steif, herrisch, durchdringend) und von Heinz-Diether Korfmann erkennen, den sie als Geschäftsführer des gleichnamigen Werks in Witten im März 1955 fotografierte: lässig auf einer Sessellehne sitzend, das Anzug-Jackett geöffnet. Blick und Miene sind nun sicher, aber mit einer gewissen Offenheit. Gleich geblieben ist aber Ruth Hallenslebens Gespür für den Zeitgeist, eine gewisse Biegsamkeit.

Ruth Hallensleben fotografierte, was gefragt war: Gesichter, Kofferfabriken, Stahlwerke und Landschaften

Die Kölner Kaufmannstochter hatte nach dem Besuch einer Privatschule zunächst im Fröbelseminar Erzieherin gelernt, nach dem Ersten Weltkrieg auch als Kinderschwester gearbeitet und danach die Stellen und Arbeitsorte oft gewechselt, von Berlin übers Badische bis Gelsenkirchen. Sie war nicht wählerisch und arbeitete am Stuttgarter Flughafen, in Beamtenkasinos, als Telefonistin. 1930, mit über 30, warf sie mit der Arbeit in einem Kinderheim in Gelsenkirchen-Leithe hin und entschloss sie sich zu einer Lehre als Fotografin im Kölner Atelier von Elisabeth Gropp (1885-1974).

Ruth Hallensleben: Milchbar der Zeche Graf Moltke, Gladbeck, November 1954. 
Ruth Hallensleben: Milchbar der Zeche Graf Moltke, Gladbeck, November 1954.  © Ruhrmuseum | Ruth Hallensleben

Und sie fotografierte, was gefragt war: Zeitlebens Porträts (mit handwerklicher Routine), aber auch für Bildagenturen wie Hoppenstedt. Sie fotografierte abertausendfach für Werkzeitungen (etwa „Das Werk“ von der Vereinigten Stahlwerke AG) und Firmen-Festschriften. Auch für Reisebilder war sie zu haben, späte Aufnahmen von der Insel Ischia offenbaren neben der technischen Brillanz ein gutes Auge auch jenseits von gestellten Szenen. Hallensleben fotografierte mit 6x6-Kameras oder der großen Plattenkamera im Format 9x12.

Wie perfekt sie Motive schon durch den Sucher beurteilen konnte, zeigt sich auf den Kontaktabzügen: Mit sicherem Strich markierte sie dort den denkbar besten Ausschnitt, aber sie musste, wenn überhaupt, immer nur sehr wenig wegschneiden, die Bilder waren von Anfang an konzentriert und komponiert.

Man nannte Ruth Hallensleben „die Frau mit der Trillerpfeife“. Damit drang sie auch in lauten Werken durch

Eine Aufnahme von unbekannter Hand zeigt sie 1958 mit ihrer Mitarbeiterin Waltraud Kreiensen auf der Brücke eines Werks im Ruhrgebiet – und gleich doppelt gegen ein Schild verstoßend, auf dem der „Betriebsführer“ forderte: „Diese Brücke darf nur von einem Mann betreten werden“ (bei dem Gebot dürfte es in einem reinen Männerbetrieb um die Zahl gegangen sein, nicht um das Geschlecht).

Ruth Hallensleben 1958 im Ruhrgebiet bei der Arbeit mit ihrer Assistentin Waltraut Kreiensen.
Ruth Hallensleben 1958 im Ruhrgebiet bei der Arbeit mit ihrer Assistentin Waltraut Kreiensen. © Ruhrmuseum | © Fotograf:in unbekannt / Bestand Ruth Hallensleben / Fotoarchiv Ruhr Museum

Man nannte sie auch „die Frau mit der Trillerpfeife“ – damit verschaffte sie sich in den riesigen, lärmenden Werkshallen jene unbedingte Aufmerksamkeit und Disziplin, die sie für ihre durchweg gestellten Motive benötigte. Die sorgfältig arrangierten Positionen nannte der Foto-Historiker Jörg Boström einmal „kollektive Pose“. Sie verraten aus heutiger Perspektive, wie sehr die Bilder gemacht sind und wie doppelbödig Hallenslebens Leitsatz „Ich fotografiere nur, was da ist!“ war: Sie sorgte selbst dafür alles, was da war auf ihren Bildern. Die Betriebe als heile Welt: „Der Eindruck ist echter, wenn man stellt“, soll sie gesagt haben. Das sieht man heute anders.

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„Bilder im Auftrag. Fotografien von Ruth Hallensleben 1931-1973.“ Ruhrmuseum Essen, bis 24. August. Geöffnet: Mo-So 10-18 Uhr. Eintritt: 5 €, erm. 4 €. Der ausgezeichnet gedruckte Katalog (Klartext Verlag) mit Biografie und 270 Abbildungen dürfte zum Standardwerk werden (29,95 €).