Bonn. Ein von Musikkennern als „bahnbrechend“ bezeichnetes Beethoven-Manuskript ist im Bonner Geburtshaus zu sehen. Nazis stahlen es 1939.
Welchen Schatz sie da gestohlen hatten, das wussten die Nazis wohl nicht so genau, als sie 1939 das Vermögen der jüdischen Familie Petschek in Kisten abtransportierten. „Arisierung“ nannten die NS-Schergen zynisch die Enteignung und den Raub fremden Eigentums. Unzählige jüdische Unternehmer zwangen sie dazu, ihre Firmen weit unter Wert zu verkaufen. Ihr Hab und Gut verkauften sie meist auf Auktionen. Tonnenweise verschwanden damals auch Kunst und Kultur.
In der schieren Menge fiel da die etwa A4-große und mit Samt eingebundene Mappe aus dem Besitz der Familie Petschek nicht weiter auf, obgleich deutlich „Beethoven. Streichquartett Opus 130, IV. Satz“ darauf zu lesen war. Jahrzehntelang fristete dieses Manuskript aus der Feder von Ludwig van Beethoven ein Schattendasein im Mährischen Landesmuseum in Brünn. Nun aber, 200 Jahre nach der Niederschrift durch das Musikgenie, ist das Werk seit einigen Tagen im Bestand des Beethoven-Hauses in Bonn, dem Geburtsort des wohl einflussreichsten Komponisten. Zum Ankauf des Manuskripts gab es jetzt einen Festakt im Kammermusiksaal der Beethovenstadt, zu dem auch Nachfahren der Familie Petschek aus den USA angereist waren.
Stück gilt unter Kennern als bahnbrechend
Beethoven (1770-1827) war bereits extrem schwerhörig, als er jenes Streichquartett im Auftrag eines russischen Mäzens komponierte. Unter Musikkennern gilt es als bahnbrechend. „Es lässt in die Tiefe seiner Seele blicken, zugleich macht es die damalige Zeit erlebbar“, sagte Daniel Hope, der Präsident des Beethoven-Hauses. Von den Musikern verlangt die Komposition dabei höchste Konzentration, es ist schwer zu spielen. „Schon mit den ersten Takten hatte er die bisherige Musik auf den Kopf gestellt“, erklärte der Komponist und Beethoven-Kenner Prof. Jörg Widmann. Und wohl für alle Musikkenner ist es zutiefst ergreifend, die markanten Unterstreichungen und strikten Anmerkungen aus der Feder von Beethoven auf dem Manuskript zu betrachten.
„Ein bedeutendes Kulturerbe der Menschheit“, wie Prof. Markus Hilgert als Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder meinte. Sie wie auch die NRW-Stiftung, das NRW-Kultusministerium, die Kunststiftung NRW und weitere Stiftungen, Firmen und Privatpersonen hatten sich zusammengetan, um das wertvolle Manuskript zu erwerben. „Wir haben anderthalb Jahre gebraucht, um die Finanzierungs-Allianz zu schmieden“, sagte Malte Boecker, der Direktor des Beethoven-Hause. Doch über die Höhe der Summe schweigt man sich vornehm aus. Mit Rücksicht auf die Nachkommen der Familie Petschek, wie es hieß. Dennoch fragt sich, warum nicht zumindest der Anteil der Steuergelder (NRW-Kulturministerium) bekannt gemacht wird.
„Die Nationalsozialisten haben großes Leid über die Familie Petschek gebracht. Umso mehr rührt es mich, dass deren Nachfahren die Musikhandschrift persönlich wieder nach Deutschland gebracht haben.“
Zugleich sagte Ministerin Ina Brandes: „Die Nationalsozialisten haben großes Leid über die Familie Petschek gebracht. Umso mehr rührt es mich, dass deren Nachfahren die Musikhandschrift persönlich wieder nach Deutschland gebracht haben. Es ist unsere Verantwortung, die Musikhandschrift der Öffentlichkeit zu zeigen und Forscherinnen und Forschern auf der ganzen Welt zugänglich zu machen.“
Familie Petschek kaufte das Original in den 1920er-Jahren
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Vor der Familie Petschek hatte der Wiener Rechtsanwalt und Sammler Heinrich Steger das Original erworben. Die in Aussig (vormals Nordböhmen) ansässigen Petscheks kauften es in den 1920er-Jahren. Damals zählten sie zu den reichsten jüdischen Industriellen Europas, sie führten Bergwerke aller Art und weitere Firmen. Doch nachdem die Nazis an die Macht kamen, mussten sie 1938 emigrieren. Zunächst nach England, dann in die USA. Mobiliar und Wertgegenstände wurden beschlagnahmt. Als sich 1942 die NS-Behörden mit der Verwertung der Kunstsammlung befassten, gelang es dem als Gutachter herangezogenen Leiter der Musiksammlung des Mährischen Museums in Brünn, die Handschrift für das Museum zu sichern.
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Nach dem Krieg suchte die Familie Petschek nach der Handschrift, zunächst ohne Erfolg. Als sie endlich gefunden war, verweigerte die kommunistische Regierung der damaligen Tschechoslowakei die Herausgabe des Beethoven-Autographs. Mit der Begründung, dass die Petscheks sich ja seinerzeit als Deutsche ausgewiesen hatten – was sie nach den „Benes-Dekreten“ der wiedererrichteten CSR kurzerhand zu Staatsfeinden machte. So gesehen litt die Familie zweimal unter totalitären Regimen. Erst 2022 erfolgte die Restitution an die Nachkommen Petscheks, die sich schließlich vor wenigen Wochen bereiterklärten, die Handschrift an das Beethoven-Haus zu verkaufen und wieder dauerhaft der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich zu machen. Dass der tschechische Botschafter bei dem Festakt zugegen war, wertete Ministerin Ina Brandes (CDU) denn auch als ein Zeichen der Versöhnung.
Die Handschrift wird nun unter konservatorisch optimalen Bedingungen im Beethoven-Haus aufbewahrt und ins Digitale Archiv eingebunden. Dort wird sie wissenschaftlich erschlossen und online öffentlich zugänglich sein. Von Juni bis August 2025 ist sie Thema einer Sonderausstellung und am 17. Dezember 2025 Gegenstand des traditionellen Tauftagskonzertes im Beethoven-Haus. Mehr unter beethoven.de