Bonn. Zum 250. Geburtstag von Beethoven zeigt die Ausstellung „Welt.Bürger.Musik“ in der Bonner Bundeskunsthalle auch private Seiten des Komponisten.

Fast wären wir an ihm vorbeigelaufen: Außen vor steht er in der Bundeskunsthalle, Deutschlands größter Komponist im Scherenschnitt, reinschwarz, nur Silhouette. Der Einstieg zu Bonns großer Beethovenschau ist eine Botschaft für sich. Sie deutet einen seltsamen Widerspruch an: jenen Ruhm, der Dunkelheit in zwei Richtungen sendete. Das waren die gewaltigen Schatten, die der Schöpfer der Eroica, der Mondscheinsonate, der Neunten auf die Nachwelt geworfen hat. Dieses Überväterliche gipfelte bekanntlich in Brahms deprimiertem Lamento: „Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.“

Mehr aber will Bonns Schau Licht auf das andere Dunkel werfen: Schattenhaft blieb zugleich der Mann und Mensch Beethoven. Macht und Magie der alles hinter sich lassenden Werke, das Rebellische und Revolutionäre seiner Sinfonien, Sonaten und Streichquartette, gaben allenfalls noch Kennern Raum, das Wesen hinter dem rasch wuchernden Titanenbild zu erkunden. „Jenseits von Mythen und Klischees“ von Bonns berühmtestem Sohn (1770-1827) zu erzählen, hat sich die Schau „Welt.Bürger.Musik“ zum Ziel gesetzt.

Der Titel „Welt.Bürger.Musik“ lässt Raum für Interpretationen

„Welt.Bürger.Musik“: Was ist das für ein Titel? Einer, den wir Baustein-artig begreifen dürfen. Denn ob wir daraus den Weltmusiker zusammensetzen oder solitär den Bürger: Immer tritt in Bonn eine der vielen Farben Beethovens hervor. Da liegt in einer der vielen Originalhandschriften vor uns ein Brief, der 1795 auf der Höhe der Französischen Revolution illusionslos fragt, „wann wird auch der Zeitpunkt kommen, wo es nur Menschen geben wird“. Und im selben Brief antwortet Beethoven, „da werden wohl noch Jahrhunderte vorübergehen.“

BKaum Hilfe für den Ertaubenden: Hörrohre.
BKaum Hilfe für den Ertaubenden: Hörrohre. © Beethoven Haus Bonn

Eifrig haben die Kuratorinnen versucht, die Welt um Beethoven herum pulsen zu lassen. Der Besucher lernt: Beethovens Geburt fällt mit Cooks erster Südseereise zusammen. Und als Kant den Leuten erklärt, was Aufklärung ist und die Brüder Montgolfier in die Luft gehen, unterstützt das Kind Beethoven mit 12, 13 Jahren seine Familie durch Orgelspiel im Gottesdienst. Als er die Neunte schreibt, kommt die Draisine ins Rollen. Schlage Verbindungen, wer will.

Vom Kaffeekonsum bis zur Kinderarbeit

Auch wenn die Schau sich ordentlich in Volksnähe übt (jede Abteilung gibt es auch in „einfacher Sprache“ und kleine Besucher können an der Hand eines gezeichneten Bibers vom Kaffeekonsum bis zur Kinderarbeit viel über den Komponisten erfahren), bleibt sie natürlich ein Fest für Kenner. Die werden angerührt sein von einem Original jener Konversationshefte, mit denen der Ertaubende sich behalf (Besucher schrieben Fragen auf, Beethoven antwortete). Aber sie werden auch in aller Deutlichkeit dem Schwierigen, Unpopulären begegnen.

Dass der Mann daheim auf den Boden spuckte (aus dem Fenster auch) und mit steigender Reife ein deftiges Hygieneproblem hatte, wissen wir. Dem Beethoven, der flucht wie ein Kutscher, lässt die Bundeskunsthalle aber auch Raum: „Schuft“ kritzelt er auf eine Mietquittung. Den Kopisten, der die Neunte zurückgibt, nennt er dumm, eingebildet, einen „Eselhaften Kerl“.

Die Leibspeise von Beethoven war „Schwarze Brodsuppe“

Die Schau bringt eine Nähe zu Beethoven, die nicht auf-, sondern hinschaut. Sie lässt uns in seine schlamperte Wohnung blicken („meine Haußhaltung sieht einem Schiffbruche beynahe ganz ähnlich), zeigt das permanente Spannungsfeld zwischen beruflichem Triumph und privater Niederlage und hält (für jedermann zum Mitnehmen) gar das Rezept der Leibspeise parat: „schwarze Brodsuppe“.

Die Lebendmaske von Ludwig van Beethoven, 1812.
Die Lebendmaske von Ludwig van Beethoven, 1812. © dpa | Oliver Berg

Wer aber meint, der Rundgang, diene vom Haushaltsbuch bis zum Obduktionsbericht vornehmlich zum Entweihen eines Denkmals, irrt. Wie dieser (nur 1,62 Meter große) Riese der Musikgeschichte eben trotz alledem Wunder vollbrachte, wie er gegen eine brutale Phalanx von Krankheiten (Typhus, Gelbsucht, Sehstörung, „zu Grunde gerichteter Magen“, Leberzirrhose) schöpferisch ankämpfte, das erfüllt uns nur mit noch mehr Respekt.

Beethoven, der Neuerer, der Humanist

Zum Füllhorn der Schau zählen Originalinstrumente, Kleider der Zeit, zarte Papiertheater und ein üppiger historischer Rahmen. Am nächsten aber sind wir dem Meister schließlich doch, wenn wir auf einer der vielen Sitzpolster zum Kopfhörer greifen und: allein die Musik zu uns spricht. Da ist er, der Neuerer, der Humanist, der Wütende, der Fromme, der Kämpfer und der Friedensbote. Das größte Geschenk zum Beethoven-Jahr macht uns am Ende niemand geringerer als der Meister selbst.